Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.sah mich vor sich stehen. Darf ich wohl so frei Ehe ich eine neue Entschuldigung wagen konn- Erst. Bändch. C
ſah mich vor ſich ſtehen. Darf ich wohl ſo frei Ehe ich eine neue Entſchuldigung wagen konn- Erſt. Baͤndch. C
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0047" n="33"/> ſah mich vor ſich ſtehen. Darf ich wohl ſo frei<lb/> ſeyn, ſprach ich mit der <hi rendition="#aq">ad captationem benevolen-<lb/> tiae</hi> erforderlichen Ehrfurcht, und Sie, beſter<lb/> Herr, auf einige Augenblicke in ihren tiefen Be-<lb/> trachtungen ſtoͤhren? — Ein langer, anhaltender<lb/> Blick war ſeine ganze Antwort; aber es lag ſo<lb/> viel in dieſem einzigen Blicke, daß ich einige Sei-<lb/> ten brauchen wuͤrde, um alles zu beſchreiben,<lb/> was ich darinne eben ſo deutlich las, als wenn<lb/> er mir's mit den ausdruckvollſten Worten geſagt<lb/> haͤtte. Anfangs ſchien ſein Blick Zorn zu verkuͤn-<lb/> digen. So, dachte ich, zuͤrnt ein Koͤnig, der<lb/> eben das Wohl ſeines Landes entſcheiden will,<lb/> und in dieſer Entſcheidung durch einen unver-<lb/> ſchaͤmten Bettler geſtoͤhrt wird. — Bald hernach<lb/> wandelte ſich dieſer grimmige Blick in ein unnach-<lb/> ahmliches Laͤcheln um, welches uͤber ſein ganzes<lb/> Geſicht eine herablaſſende Freundlichkeit oder viel-<lb/> mehr Huld verbreitete, die mir großmuͤthige Ver-<lb/> zeihung ankuͤndigte. So, dachte ich dankend, ver-<lb/> zeiht ein Koͤnig die unverſchaͤmte Kuͤhnheit, und<lb/> winkt dem Verbrecher Gnade zu. Der ganze Blick,<lb/> im Zuſammenhange uͤberſetzt, ſchien ungefaͤhr zu<lb/> ſagen: Kuͤhner Sterblicher! deine Keckheit iſt<lb/> groß, aber meine Milde kennt keine Graͤnzen, ich<lb/> verzeihe ſie dir willig! —</p><lb/> <p>Ehe ich eine neue Entſchuldigung wagen konn-<lb/> te, wandte er ſich abſeits, ſteckte ſein Blatt in<lb/> <fw place="bottom" type="sig"><hi rendition="#fr">Erſt. Baͤndch.</hi> C</fw><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [33/0047]
ſah mich vor ſich ſtehen. Darf ich wohl ſo frei
ſeyn, ſprach ich mit der ad captationem benevolen-
tiae erforderlichen Ehrfurcht, und Sie, beſter
Herr, auf einige Augenblicke in ihren tiefen Be-
trachtungen ſtoͤhren? — Ein langer, anhaltender
Blick war ſeine ganze Antwort; aber es lag ſo
viel in dieſem einzigen Blicke, daß ich einige Sei-
ten brauchen wuͤrde, um alles zu beſchreiben,
was ich darinne eben ſo deutlich las, als wenn
er mir's mit den ausdruckvollſten Worten geſagt
haͤtte. Anfangs ſchien ſein Blick Zorn zu verkuͤn-
digen. So, dachte ich, zuͤrnt ein Koͤnig, der
eben das Wohl ſeines Landes entſcheiden will,
und in dieſer Entſcheidung durch einen unver-
ſchaͤmten Bettler geſtoͤhrt wird. — Bald hernach
wandelte ſich dieſer grimmige Blick in ein unnach-
ahmliches Laͤcheln um, welches uͤber ſein ganzes
Geſicht eine herablaſſende Freundlichkeit oder viel-
mehr Huld verbreitete, die mir großmuͤthige Ver-
zeihung ankuͤndigte. So, dachte ich dankend, ver-
zeiht ein Koͤnig die unverſchaͤmte Kuͤhnheit, und
winkt dem Verbrecher Gnade zu. Der ganze Blick,
im Zuſammenhange uͤberſetzt, ſchien ungefaͤhr zu
ſagen: Kuͤhner Sterblicher! deine Keckheit iſt
groß, aber meine Milde kennt keine Graͤnzen, ich
verzeihe ſie dir willig! —
Ehe ich eine neue Entſchuldigung wagen konn-
te, wandte er ſich abſeits, ſteckte ſein Blatt in
Erſt. Baͤndch. C
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |