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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.

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Der Herr des Schlosses. Wie lange
war er denn dort?

Der graue Mann. Acht volle Wochen,
sie schwanden mir wie Stunden! Ich bat um
längere Erlaubniß, aber sie wurde mir abge-
schlagen.

Der Herr des Schlosses. Wie sieht's
denn aber oben aus? Eben so wie in unsrer
Welt?

Der graue Mann. Eben so! Nur viel
schöner, ach, viel schöner! Es herrscht ewiger
Frühling, kein Winter. Alles wächst von sich
selbst, und gedeiht vortreflich! Kühe giebt's da
wie die Elephanten, und die Kornähren sind so
lang, als ich bin!

Der Herr des Schlosses. (lächelnd)
Da hätte er uns einigen Saamen mitbringen
sollen!

Der graue Mann. Was hätte es genützt!
Er wäre hier doch nicht gerathen. Unsre Sün-
den, unsre Missethaten machen das Vieh so klein!
die Kornähren so dünn, und den Boden so un-
fruchtbar. Oben giebt es bessere, andächtigere
Menschen! Ich war dort alle Tage in der Kir-
che, wenn der Name Gottes genennt wurde, da
stürzte die ganze Schaar zu Boden, und betete
an den Mächtigen, der alle Himmel, und alle

unzähl-

Der Herr des Schloſſes. Wie lange
war er denn dort?

Der graue Mann. Acht volle Wochen,
ſie ſchwanden mir wie Stunden! Ich bat um
laͤngere Erlaubniß, aber ſie wurde mir abge-
ſchlagen.

Der Herr des Schloſſes. Wie ſieht's
denn aber oben aus? Eben ſo wie in unſrer
Welt?

Der graue Mann. Eben ſo! Nur viel
ſchoͤner, ach, viel ſchoͤner! Es herrſcht ewiger
Fruͤhling, kein Winter. Alles waͤchſt von ſich
ſelbſt, und gedeiht vortreflich! Kuͤhe giebt's da
wie die Elephanten, und die Kornaͤhren ſind ſo
lang, als ich bin!

Der Herr des Schloſſes. (laͤchelnd)
Da haͤtte er uns einigen Saamen mitbringen
ſollen!

Der graue Mann. Was haͤtte es genuͤtzt!
Er waͤre hier doch nicht gerathen. Unſre Suͤn-
den, unſre Miſſethaten machen das Vieh ſo klein!
die Kornaͤhren ſo duͤnn, und den Boden ſo un-
fruchtbar. Oben giebt es beſſere, andaͤchtigere
Menſchen! Ich war dort alle Tage in der Kir-
che, wenn der Name Gottes genennt wurde, da
ſtuͤrzte die ganze Schaar zu Boden, und betete
an den Maͤchtigen, der alle Himmel, und alle

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[48/0062] Der Herr des Schloſſes. Wie lange war er denn dort? Der graue Mann. Acht volle Wochen, ſie ſchwanden mir wie Stunden! Ich bat um laͤngere Erlaubniß, aber ſie wurde mir abge- ſchlagen. Der Herr des Schloſſes. Wie ſieht's denn aber oben aus? Eben ſo wie in unſrer Welt? Der graue Mann. Eben ſo! Nur viel ſchoͤner, ach, viel ſchoͤner! Es herrſcht ewiger Fruͤhling, kein Winter. Alles waͤchſt von ſich ſelbſt, und gedeiht vortreflich! Kuͤhe giebt's da wie die Elephanten, und die Kornaͤhren ſind ſo lang, als ich bin! Der Herr des Schloſſes. (laͤchelnd) Da haͤtte er uns einigen Saamen mitbringen ſollen! Der graue Mann. Was haͤtte es genuͤtzt! Er waͤre hier doch nicht gerathen. Unſre Suͤn- den, unſre Miſſethaten machen das Vieh ſo klein! die Kornaͤhren ſo duͤnn, und den Boden ſo un- fruchtbar. Oben giebt es beſſere, andaͤchtigere Menſchen! Ich war dort alle Tage in der Kir- che, wenn der Name Gottes genennt wurde, da ſtuͤrzte die ganze Schaar zu Boden, und betete an den Maͤchtigen, der alle Himmel, und alle unzaͤhl-

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Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien01_1796/62>, abgerufen am 21.11.2024.