Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 1. Leipzig, 1796.den Stab über sich brechen, ward zum Schwerte den Stab uͤber ſich brechen, ward zum Schwerte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0099" n="85"/> den Stab uͤber ſich brechen, ward zum Schwerte<lb/> verurtheilt, und hoͤrte ihr Urtheil mit Standhaf-<lb/> tigkeit an. Aeußerſt ruͤhrend und traurig war es<lb/> fuͤr die Waͤrterinnen, wenn ſie ſich durch Huͤlfe<lb/> ihres Wahnſinns nach dem Rabenſtein fuͤhren<lb/> ließ, ſie wurde dann vergnuͤgt und froh, verſoͤhnte<lb/> ſich innig mit Gott, ſprach mit den Anweſenden<lb/> ernſtlich, und warnte jedes Maͤdchen mit den<lb/> nachdruͤcklichſten Worten vor Verfuͤhrung und Ver-<lb/> luſt der Unſchuld. Eine lange, anhaltende Ohn-<lb/> macht, in welcher ſie ſich hingerichtet waͤhnte,<lb/> endete dann immer die ſchreckliche Szene, welche<lb/> ſie ſtets mehr und mehr entkraͤftete. Niemand<lb/> hofte auf gluͤckliche Entbindung, jeder weiſſagte<lb/> ihr im Voraus mit dieſer das Ende ihrer Leiden;<lb/> endlich nahten ſich ihre Schmerzen, ſie waren der<lb/> armen Wahnſinnigen neue, noch nie gefuͤhlte Em-<lb/> pfindungen, ihre Einbildungskraft waͤhnte, daß<lb/> ſie am Hochgericht ſtehe, und mit gluͤhenden<lb/> Zangen gezwickt werde. Sie flehte oft ihre Hen-<lb/> ker um Barmherzigkeit an, und nannte ſie un-<lb/> menſchliche Barbaren. Nach vier und zwanzig-<lb/> ſtuͤndigem Leiden gebahr ſie, zum Erſtaunen aller<lb/> Anweſenden, ein geſundes, wohlgeſtaltes Maͤd-<lb/> chen; die Aenderung, welche der verſtaͤndige Arzt<lb/> prophezeiht hatte, erfolgte ſchnell. Alle Anweſen-<lb/> de jubelten und frohlockten, als ſie ihr Schmer-<lb/> zenskind forderte, und es mit allen Beweiſen der<lb/> reinſten Zaͤrtlichkeit einer Mutter an ihr Herz<lb/> druͤckte, ſie war aͤußerſt ſchwach, aber bei voll-<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [85/0099]
den Stab uͤber ſich brechen, ward zum Schwerte
verurtheilt, und hoͤrte ihr Urtheil mit Standhaf-
tigkeit an. Aeußerſt ruͤhrend und traurig war es
fuͤr die Waͤrterinnen, wenn ſie ſich durch Huͤlfe
ihres Wahnſinns nach dem Rabenſtein fuͤhren
ließ, ſie wurde dann vergnuͤgt und froh, verſoͤhnte
ſich innig mit Gott, ſprach mit den Anweſenden
ernſtlich, und warnte jedes Maͤdchen mit den
nachdruͤcklichſten Worten vor Verfuͤhrung und Ver-
luſt der Unſchuld. Eine lange, anhaltende Ohn-
macht, in welcher ſie ſich hingerichtet waͤhnte,
endete dann immer die ſchreckliche Szene, welche
ſie ſtets mehr und mehr entkraͤftete. Niemand
hofte auf gluͤckliche Entbindung, jeder weiſſagte
ihr im Voraus mit dieſer das Ende ihrer Leiden;
endlich nahten ſich ihre Schmerzen, ſie waren der
armen Wahnſinnigen neue, noch nie gefuͤhlte Em-
pfindungen, ihre Einbildungskraft waͤhnte, daß
ſie am Hochgericht ſtehe, und mit gluͤhenden
Zangen gezwickt werde. Sie flehte oft ihre Hen-
ker um Barmherzigkeit an, und nannte ſie un-
menſchliche Barbaren. Nach vier und zwanzig-
ſtuͤndigem Leiden gebahr ſie, zum Erſtaunen aller
Anweſenden, ein geſundes, wohlgeſtaltes Maͤd-
chen; die Aenderung, welche der verſtaͤndige Arzt
prophezeiht hatte, erfolgte ſchnell. Alle Anweſen-
de jubelten und frohlockten, als ſie ihr Schmer-
zenskind forderte, und es mit allen Beweiſen der
reinſten Zaͤrtlichkeit einer Mutter an ihr Herz
druͤckte, ſie war aͤußerſt ſchwach, aber bei voll-
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |