Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796. Vater. Prüfe dein Herz wohl! Ist er die- sem nicht vielleicht schon unentbehrlich? Esther. Theuer, Vater, theuer ist er diesem Herzen schon lange; aber unentbehrlich ist ihm nur die Liebe des Vaters, und dieser Gedanke wird meinen Vorsatz unterstützen. Vater. Weh mir Unvorsichtigem, ich fachte selbst die Flamme an, die mein Haus verzehren kann! Ich! ich! Nicht du, hätte vorsichtiger seyn sollen! Gott segne, Gott stärke dich in dei- nem Vorsatze, nur dann, wenn er Monate lang anhält, werde ich wieder ruhig leben können. Be- denke, daß er dich nie heirathen kann, daß seine Liebe dich unglücklich machen muß. Bedenke dies, und sei weise! Esther. Dieß alles habe ich mir schon oft selbst gesagt, es ist recht gut, daß auch sie mich daran erinnern, es wird jetzt doppelt wirken! Vater. Um dich wenigstens auf einige Zeit vor seinem Besuche zu schützen, will ich morgen allen meinen Bekannten und auch ihm kund ma- chen, daß ein Bruder von mir zu Amsterdam ge- storben sei, dessen Tod wir nun durch einen Mo- nat betrauern müssen, und daher keinen Besuch annehmen können. Esther. Das thun sie, lieber Vater! Unter dieser langen Zeit werde ich ihn, oder er wenig- stens mich vergessen, und dieß ist ja alles eins. Nicht wahr, lieber Vater? Vater. Pruͤfe dein Herz wohl! Iſt er die- ſem nicht vielleicht ſchon unentbehrlich? Eſther. Theuer, Vater, theuer iſt er dieſem Herzen ſchon lange; aber unentbehrlich iſt ihm nur die Liebe des Vaters, und dieſer Gedanke wird meinen Vorſatz unterſtuͤtzen. Vater. Weh mir Unvorſichtigem, ich fachte ſelbſt die Flamme an, die mein Haus verzehren kann! Ich! ich! Nicht du, haͤtte vorſichtiger ſeyn ſollen! Gott ſegne, Gott ſtaͤrke dich in dei- nem Vorſatze, nur dann, wenn er Monate lang anhaͤlt, werde ich wieder ruhig leben koͤnnen. Be- denke, daß er dich nie heirathen kann, daß ſeine Liebe dich ungluͤcklich machen muß. Bedenke dies, und ſei weiſe! Eſther. Dieß alles habe ich mir ſchon oft ſelbſt geſagt, es iſt recht gut, daß auch ſie mich daran erinnern, es wird jetzt doppelt wirken! Vater. Um dich wenigſtens auf einige Zeit vor ſeinem Beſuche zu ſchuͤtzen, will ich morgen allen meinen Bekannten und auch ihm kund ma- chen, daß ein Bruder von mir zu Amſterdam ge- ſtorben ſei, deſſen Tod wir nun durch einen Mo- nat betrauern muͤſſen, und daher keinen Beſuch annehmen koͤnnen. Eſther. Das thun ſie, lieber Vater! Unter dieſer langen Zeit werde ich ihn, oder er wenig- ſtens mich vergeſſen, und dieß iſt ja alles eins. Nicht wahr, lieber Vater? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0015" n="7"/> <sp who="#VATER"> <speaker><hi rendition="#g">Vater</hi>.</speaker> <p>Pruͤfe dein Herz wohl! Iſt er die-<lb/> ſem nicht vielleicht ſchon unentbehrlich?</p> </sp><lb/> <sp who="#ESTHER"> <speaker><hi rendition="#g">Eſther</hi>.</speaker> <p>Theuer, Vater, theuer iſt er dieſem<lb/> Herzen ſchon lange; aber unentbehrlich iſt ihm nur<lb/> die Liebe des Vaters, und dieſer Gedanke wird<lb/> meinen Vorſatz unterſtuͤtzen.</p> </sp><lb/> <sp who="#VATER"> <speaker><hi rendition="#g">Vater</hi>.</speaker> <p>Weh mir Unvorſichtigem, ich fachte<lb/> ſelbſt die Flamme an, die mein Haus verzehren<lb/> kann! Ich! ich! Nicht du, haͤtte vorſichtiger<lb/> ſeyn ſollen! Gott ſegne, Gott ſtaͤrke dich in dei-<lb/> nem Vorſatze, nur dann, wenn er Monate lang<lb/> anhaͤlt, werde ich wieder ruhig leben koͤnnen. Be-<lb/> denke, daß er dich nie heirathen kann, daß ſeine<lb/> Liebe dich ungluͤcklich machen muß. Bedenke dies,<lb/> und ſei weiſe!</p> </sp><lb/> <sp who="#ESTHER"> <speaker><hi rendition="#g">Eſther</hi>.</speaker> <p>Dieß alles habe ich mir ſchon oft<lb/> ſelbſt geſagt, es iſt recht gut, daß auch ſie mich<lb/> daran erinnern, es wird jetzt doppelt wirken!</p> </sp><lb/> <sp who="#VATER"> <speaker><hi rendition="#g">Vater</hi>.</speaker> <p>Um dich wenigſtens auf einige Zeit<lb/> vor ſeinem Beſuche zu ſchuͤtzen, will ich morgen<lb/> allen meinen Bekannten und auch ihm kund ma-<lb/> chen, daß ein Bruder von mir zu Amſterdam ge-<lb/> ſtorben ſei, deſſen Tod wir nun durch einen Mo-<lb/> nat betrauern muͤſſen, und daher keinen Beſuch<lb/> annehmen koͤnnen.</p> </sp><lb/> <sp who="#ESTHER"> <speaker><hi rendition="#g">Eſther</hi>.</speaker> <p>Das thun ſie, lieber Vater! Unter<lb/> dieſer langen Zeit werde ich ihn, oder er wenig-<lb/> ſtens mich vergeſſen, und dieß iſt ja alles eins.<lb/> Nicht wahr, lieber Vater?</p> </sp><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [7/0015]
Vater. Pruͤfe dein Herz wohl! Iſt er die-
ſem nicht vielleicht ſchon unentbehrlich?
Eſther. Theuer, Vater, theuer iſt er dieſem
Herzen ſchon lange; aber unentbehrlich iſt ihm nur
die Liebe des Vaters, und dieſer Gedanke wird
meinen Vorſatz unterſtuͤtzen.
Vater. Weh mir Unvorſichtigem, ich fachte
ſelbſt die Flamme an, die mein Haus verzehren
kann! Ich! ich! Nicht du, haͤtte vorſichtiger
ſeyn ſollen! Gott ſegne, Gott ſtaͤrke dich in dei-
nem Vorſatze, nur dann, wenn er Monate lang
anhaͤlt, werde ich wieder ruhig leben koͤnnen. Be-
denke, daß er dich nie heirathen kann, daß ſeine
Liebe dich ungluͤcklich machen muß. Bedenke dies,
und ſei weiſe!
Eſther. Dieß alles habe ich mir ſchon oft
ſelbſt geſagt, es iſt recht gut, daß auch ſie mich
daran erinnern, es wird jetzt doppelt wirken!
Vater. Um dich wenigſtens auf einige Zeit
vor ſeinem Beſuche zu ſchuͤtzen, will ich morgen
allen meinen Bekannten und auch ihm kund ma-
chen, daß ein Bruder von mir zu Amſterdam ge-
ſtorben ſei, deſſen Tod wir nun durch einen Mo-
nat betrauern muͤſſen, und daher keinen Beſuch
annehmen koͤnnen.
Eſther. Das thun ſie, lieber Vater! Unter
dieſer langen Zeit werde ich ihn, oder er wenig-
ſtens mich vergeſſen, und dieß iſt ja alles eins.
Nicht wahr, lieber Vater?
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