Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.
Kirche war des Nachts vor jeder Nonne verschlos- sen, sie konnte zwar darinne beten, aber auf ei- nem Chore, dessen Fenster nur in die Kirche gien- gen. Wie sie dort am Abende mit den andern Nonnen das Nachtgebet verrichtete, und ihren Friedrich schon in der Kirche ahndete, bat sie die Sakristanerin um den Schlüssel, welcher die Thü- re zur Kirche öfnete, weil sie, ihrem Vorgeben nach, die Lampe an ihren erbauten Altären an- zünden, und dort noch einige Zeit beten wolle. Ich gebe ihnen solchen, sprach sie angstvoll, in der Metten zurück, und hatte schon ein Geschenk für sie in Bereitschaft, wenn sich solche etwa weigern würde, aber die Arglose ahndete nichts, und gewährte ihre Bitte ohne Anstand. Wie alle Nonnen im Kloster ruhten, stieg Ka- roline zitternd in die Sakristei hinab, öfnete sol- che, und trat wirklich mit einer brennenden Lampe in die Kirche, sie stellte solche auf den Altar des heiligen Friedrichs, eilte nach der Todtenkapelle, hustete dort dreimal, und Friedrich sank in ihre Arme. Pferde und Wagen stehen bereit, flüsterte dieser leise. Wenn du mich noch liebst, wenn du wenigstens Mitleid mit mir hast, und nicht willst, daß ich vor deinen Augen mein Leben enden soll, so folge mir. Karoline. Ich folge dir, Unvergeßlicher, ich folge dir, wenn du mir vorher zwei Fragen beantwortet hast: Warst, oder bist du noch ver- heirathet?
Kirche war des Nachts vor jeder Nonne verſchloſ- ſen, ſie konnte zwar darinne beten, aber auf ei- nem Chore, deſſen Fenſter nur in die Kirche gien- gen. Wie ſie dort am Abende mit den andern Nonnen das Nachtgebet verrichtete, und ihren Friedrich ſchon in der Kirche ahndete, bat ſie die Sakriſtanerin um den Schluͤſſel, welcher die Thuͤ- re zur Kirche oͤfnete, weil ſie, ihrem Vorgeben nach, die Lampe an ihren erbauten Altaͤren an- zuͤnden, und dort noch einige Zeit beten wolle. Ich gebe ihnen ſolchen, ſprach ſie angſtvoll, in der Metten zuruͤck, und hatte ſchon ein Geſchenk fuͤr ſie in Bereitſchaft, wenn ſich ſolche etwa weigern wuͤrde, aber die Argloſe ahndete nichts, und gewaͤhrte ihre Bitte ohne Anſtand. Wie alle Nonnen im Kloſter ruhten, ſtieg Ka- roline zitternd in die Sakriſtei hinab, oͤfnete ſol- che, und trat wirklich mit einer brennenden Lampe in die Kirche, ſie ſtellte ſolche auf den Altar des heiligen Friedrichs, eilte nach der Todtenkapelle, huſtete dort dreimal, und Friedrich ſank in ihre Arme. Pferde und Wagen ſtehen bereit, fluͤſterte dieſer leiſe. Wenn du mich noch liebſt, wenn du wenigſtens Mitleid mit mir haſt, und nicht willſt, daß ich vor deinen Augen mein Leben enden ſoll, ſo folge mir. Karoline. Ich folge dir, Unvergeßlicher, ich folge dir, wenn du mir vorher zwei Fragen beantwortet haſt: Warſt, oder biſt du noch ver- heirathet? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#ESTHER"> <p><pb facs="#f0038" n="30"/> Kirche war des Nachts vor jeder Nonne verſchloſ-<lb/> ſen, ſie konnte zwar darinne beten, aber auf ei-<lb/> nem Chore, deſſen Fenſter nur in die Kirche gien-<lb/> gen. Wie ſie dort am Abende mit den andern<lb/> Nonnen das Nachtgebet verrichtete, und ihren<lb/> Friedrich ſchon in der Kirche ahndete, bat ſie die<lb/> Sakriſtanerin um den Schluͤſſel, welcher die Thuͤ-<lb/> re zur Kirche oͤfnete, weil ſie, ihrem Vorgeben<lb/> nach, die Lampe an ihren erbauten Altaͤren an-<lb/> zuͤnden, und dort noch einige Zeit beten wolle.<lb/> Ich gebe ihnen ſolchen, ſprach ſie angſtvoll, in<lb/> der Metten zuruͤck, und hatte ſchon ein Geſchenk<lb/> fuͤr ſie in Bereitſchaft, wenn ſich ſolche etwa<lb/> weigern wuͤrde, aber die Argloſe ahndete nichts,<lb/> und gewaͤhrte ihre Bitte ohne Anſtand.</p><lb/> <p>Wie alle Nonnen im Kloſter ruhten, ſtieg Ka-<lb/> roline zitternd in die Sakriſtei hinab, oͤfnete ſol-<lb/> che, und trat wirklich mit einer brennenden Lampe<lb/> in die Kirche, ſie ſtellte ſolche auf den Altar des<lb/> heiligen Friedrichs, eilte nach der Todtenkapelle,<lb/> huſtete dort dreimal, und Friedrich ſank in ihre<lb/> Arme. Pferde und Wagen ſtehen bereit, fluͤſterte<lb/> dieſer leiſe. Wenn du mich noch liebſt, wenn du<lb/> wenigſtens Mitleid mit mir haſt, und nicht willſt,<lb/> daß ich vor deinen Augen mein Leben enden ſoll,<lb/> ſo folge mir.</p> </sp><lb/> <sp who="#KARO"> <speaker><hi rendition="#g">Karoline</hi>.</speaker> <p>Ich folge dir, Unvergeßlicher,<lb/> ich folge dir, wenn du mir vorher zwei Fragen<lb/> beantwortet haſt: Warſt, oder biſt du noch ver-<lb/> heirathet?</p> </sp><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [30/0038]
Kirche war des Nachts vor jeder Nonne verſchloſ-
ſen, ſie konnte zwar darinne beten, aber auf ei-
nem Chore, deſſen Fenſter nur in die Kirche gien-
gen. Wie ſie dort am Abende mit den andern
Nonnen das Nachtgebet verrichtete, und ihren
Friedrich ſchon in der Kirche ahndete, bat ſie die
Sakriſtanerin um den Schluͤſſel, welcher die Thuͤ-
re zur Kirche oͤfnete, weil ſie, ihrem Vorgeben
nach, die Lampe an ihren erbauten Altaͤren an-
zuͤnden, und dort noch einige Zeit beten wolle.
Ich gebe ihnen ſolchen, ſprach ſie angſtvoll, in
der Metten zuruͤck, und hatte ſchon ein Geſchenk
fuͤr ſie in Bereitſchaft, wenn ſich ſolche etwa
weigern wuͤrde, aber die Argloſe ahndete nichts,
und gewaͤhrte ihre Bitte ohne Anſtand.
Wie alle Nonnen im Kloſter ruhten, ſtieg Ka-
roline zitternd in die Sakriſtei hinab, oͤfnete ſol-
che, und trat wirklich mit einer brennenden Lampe
in die Kirche, ſie ſtellte ſolche auf den Altar des
heiligen Friedrichs, eilte nach der Todtenkapelle,
huſtete dort dreimal, und Friedrich ſank in ihre
Arme. Pferde und Wagen ſtehen bereit, fluͤſterte
dieſer leiſe. Wenn du mich noch liebſt, wenn du
wenigſtens Mitleid mit mir haſt, und nicht willſt,
daß ich vor deinen Augen mein Leben enden ſoll,
ſo folge mir.
Karoline. Ich folge dir, Unvergeßlicher,
ich folge dir, wenn du mir vorher zwei Fragen
beantwortet haſt: Warſt, oder biſt du noch ver-
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