Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.ten, und erregte Staunen. Sie war in allen Ihr Geruch war eben so fein, durch seine Ihr reicher Vater sparte keine Kosten, um seine ten, und erregte Staunen. Sie war in allen Ihr Geruch war eben ſo fein, durch ſeine Ihr reicher Vater ſparte keine Koſten, um ſeine <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0077" n="69"/> ten, und erregte Staunen. Sie war in allen<lb/> weiblichen Kuͤnſten erfahren, ſie konnte ſtricken,<lb/> naͤhen und Spitzen kloͤppeln, ſie ſchrieb nicht al-<lb/> lein ſchoͤne Buchſtaben, ſondern auch ſehr ſchoͤne<lb/> Briefe. Das feine, unglaublich zarte Gefuͤhl ih-<lb/> rer Finger vertrat beinahe die Stelle ihrer Au-<lb/> gen, ſie konnte durch bloßes Beruͤhren die Far-<lb/> ben der leinenen und wollenen Zeuge beſtimmen,<lb/> wer ihr einmal ſeine Hand reichte, der ward zum<lb/> zweitenmale ſicher an dieſer von ihr erkannt.</p><lb/> <p>Ihr Geruch war eben ſo fein, durch ſeine<lb/> Huͤlfe unterſchied ſie jede Gattung des Holzes,<lb/> der Blumen, Kraͤuter, Thiere, Voͤgel und Fiſche,<lb/> wenn ſie ſolche auch nicht beruͤhrt hatte. Sie<lb/> war Meiſterin all ihrer Gebaͤrden, und ſprach mit<lb/> einem reizenden, bezaubernden Ausdrucke. Die<lb/> Idee einer weiblichen oder maͤnnlichen Schoͤnheit,<lb/> war ihr freilich unbekannt, aber ſie erſchuf ſich<lb/> eine eigene. Schoͤn war bei ihr der Mann, wel-<lb/> cher vernuͤnftig und melodiſch ſprach, er mußte<lb/> uͤberdieß groß von Perſon ſeyn, denn nach ihrer<lb/> Idee konnte ein kleiner Mann nicht Anſpruch<lb/> auf Schoͤnheit machen.</p><lb/> <p>Ihr reicher Vater ſparte keine Koſten, um ſeine<lb/> Wilhelmine immer mehr zu vervollkommnen, und<lb/> ihr Gelegenheit zu verſchaffen, neue Kenntniſſe<lb/> zu ſammeln. Er wohnte zwar mit ihr auf einem<lb/> ſeiner Landguͤter, aber er beſoldete mehrere Lehr-<lb/> meiſter und Lehrerinnen, welche ſeine Tochter un-<lb/> terrichten, und ihr alle neue Buͤcher vorleſen<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [69/0077]
ten, und erregte Staunen. Sie war in allen
weiblichen Kuͤnſten erfahren, ſie konnte ſtricken,
naͤhen und Spitzen kloͤppeln, ſie ſchrieb nicht al-
lein ſchoͤne Buchſtaben, ſondern auch ſehr ſchoͤne
Briefe. Das feine, unglaublich zarte Gefuͤhl ih-
rer Finger vertrat beinahe die Stelle ihrer Au-
gen, ſie konnte durch bloßes Beruͤhren die Far-
ben der leinenen und wollenen Zeuge beſtimmen,
wer ihr einmal ſeine Hand reichte, der ward zum
zweitenmale ſicher an dieſer von ihr erkannt.
Ihr Geruch war eben ſo fein, durch ſeine
Huͤlfe unterſchied ſie jede Gattung des Holzes,
der Blumen, Kraͤuter, Thiere, Voͤgel und Fiſche,
wenn ſie ſolche auch nicht beruͤhrt hatte. Sie
war Meiſterin all ihrer Gebaͤrden, und ſprach mit
einem reizenden, bezaubernden Ausdrucke. Die
Idee einer weiblichen oder maͤnnlichen Schoͤnheit,
war ihr freilich unbekannt, aber ſie erſchuf ſich
eine eigene. Schoͤn war bei ihr der Mann, wel-
cher vernuͤnftig und melodiſch ſprach, er mußte
uͤberdieß groß von Perſon ſeyn, denn nach ihrer
Idee konnte ein kleiner Mann nicht Anſpruch
auf Schoͤnheit machen.
Ihr reicher Vater ſparte keine Koſten, um ſeine
Wilhelmine immer mehr zu vervollkommnen, und
ihr Gelegenheit zu verſchaffen, neue Kenntniſſe
zu ſammeln. Er wohnte zwar mit ihr auf einem
ſeiner Landguͤter, aber er beſoldete mehrere Lehr-
meiſter und Lehrerinnen, welche ſeine Tochter un-
terrichten, und ihr alle neue Buͤcher vorleſen
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