Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796. Franz. Könnten sie in meinem Herzen lesen? Wilhelmine. Könntest du in dem meini- gen lesen! (in seine Arme sinkend) Nein, Theurer, ich bitte nicht für dich! du bleibst bei mir! bei mir! Ich will diese Scene, welche sich endlich mit voller Erklärung, und Versicherung einer ewigen Liebe endigte, nicht weiter fortsetzen, sie würde, sie müßte langweilig werden, weil nur selten ein- zelne, abgebrochne Worte die überströmenden Em- pfindungen ausdrücken konnten. Auch Franz hat- te schon längst den Reizen der schönen Blinden ge- huldigt, auch er hatte innige Liebe in seinem Her- zen zu ihr gefühlt, Ehrfurcht und Unmöglichkeit der Erfüllung fesselten aber seine Empfindung mächtig, jetzt, da die Unvergeßliche selbst in sei- nen Armen ruhte, ihm leise das Geständniß ih- rer Liebe zuflüsterte, wichen beide schnell, und machten der balsamreichen Hoffnung Platz. Ehe Franz wieder schied, ward verabredet, daß er nicht um die erledigte Pfarrstelle anhalten, und seinem Vater berichten solle, daß Wilhelmine in der Hälfte des Unterrichts unmöglich stehen blei- ben könne, ihm aber um der betrogenen Hoff- nung willen, jährlich hundert Thaler, so lange er lebe, auszahlen wolle. Der arme Schulmei- ster war über diese Nachricht hoch erfreut, er meinte nun selbst, daß es ein Beweiß der größ- ten Undankbarkeit seyn würde, wenn sein Sohn Franz. Koͤnnten ſie in meinem Herzen leſen? Wilhelmine. Koͤnnteſt du in dem meini- gen leſen! (in ſeine Arme ſinkend) Nein, Theurer, ich bitte nicht fuͤr dich! du bleibſt bei mir! bei mir! Ich will dieſe Scene, welche ſich endlich mit voller Erklaͤrung, und Verſicherung einer ewigen Liebe endigte, nicht weiter fortſetzen, ſie wuͤrde, ſie muͤßte langweilig werden, weil nur ſelten ein- zelne, abgebrochne Worte die uͤberſtroͤmenden Em- pfindungen ausdruͤcken konnten. Auch Franz hat- te ſchon laͤngſt den Reizen der ſchoͤnen Blinden ge- huldigt, auch er hatte innige Liebe in ſeinem Her- zen zu ihr gefuͤhlt, Ehrfurcht und Unmoͤglichkeit der Erfuͤllung feſſelten aber ſeine Empfindung maͤchtig, jetzt, da die Unvergeßliche ſelbſt in ſei- nen Armen ruhte, ihm leiſe das Geſtaͤndniß ih- rer Liebe zufluͤſterte, wichen beide ſchnell, und machten der balſamreichen Hoffnung Platz. Ehe Franz wieder ſchied, ward verabredet, daß er nicht um die erledigte Pfarrſtelle anhalten, und ſeinem Vater berichten ſolle, daß Wilhelmine in der Haͤlfte des Unterrichts unmoͤglich ſtehen blei- ben koͤnne, ihm aber um der betrogenen Hoff- nung willen, jaͤhrlich hundert Thaler, ſo lange er lebe, auszahlen wolle. Der arme Schulmei- ſter war uͤber dieſe Nachricht hoch erfreut, er meinte nun ſelbſt, daß es ein Beweiß der groͤß- ten Undankbarkeit ſeyn wuͤrde, wenn ſein Sohn <TEI> <text> <body> <div n="1"> <pb facs="#f0082" n="74"/> <sp who="#FRANZ"> <speaker><hi rendition="#g">Franz</hi>.</speaker> <p>Koͤnnten ſie in meinem Herzen<lb/> leſen?</p> </sp><lb/> <sp who="#WILH"> <speaker><hi rendition="#g">Wilhelmine</hi>.</speaker> <p>Koͤnnteſt du in dem meini-<lb/> gen leſen! <stage>(<hi rendition="#g">in ſeine Arme ſinkend</hi>)</stage> Nein,<lb/> Theurer, ich bitte nicht fuͤr dich! du bleibſt bei<lb/> mir! bei mir!</p><lb/> <p>Ich will dieſe Scene, welche ſich endlich mit<lb/> voller Erklaͤrung, und Verſicherung einer ewigen<lb/> Liebe endigte, nicht weiter fortſetzen, ſie wuͤrde,<lb/> ſie muͤßte langweilig werden, weil nur ſelten ein-<lb/> zelne, abgebrochne Worte die uͤberſtroͤmenden Em-<lb/> pfindungen ausdruͤcken konnten. Auch Franz hat-<lb/> te ſchon laͤngſt den Reizen der ſchoͤnen Blinden ge-<lb/> huldigt, auch er hatte innige Liebe in ſeinem Her-<lb/> zen zu ihr gefuͤhlt, Ehrfurcht und Unmoͤglichkeit<lb/> der Erfuͤllung feſſelten aber ſeine Empfindung<lb/> maͤchtig, jetzt, da die Unvergeßliche ſelbſt in ſei-<lb/> nen Armen ruhte, ihm leiſe das Geſtaͤndniß ih-<lb/> rer Liebe zufluͤſterte, wichen beide ſchnell, und<lb/> machten der balſamreichen Hoffnung Platz. Ehe<lb/> Franz wieder ſchied, ward verabredet, daß er<lb/> nicht um die erledigte Pfarrſtelle anhalten, und<lb/> ſeinem Vater berichten ſolle, daß Wilhelmine in<lb/> der Haͤlfte des Unterrichts unmoͤglich ſtehen blei-<lb/> ben koͤnne, ihm aber um der betrogenen Hoff-<lb/> nung willen, jaͤhrlich hundert Thaler, ſo lange<lb/> er lebe, auszahlen wolle. Der arme Schulmei-<lb/> ſter war uͤber dieſe Nachricht hoch erfreut, er<lb/> meinte nun ſelbſt, daß es ein Beweiß der groͤß-<lb/> ten Undankbarkeit ſeyn wuͤrde, wenn ſein Sohn<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [74/0082]
Franz. Koͤnnten ſie in meinem Herzen
leſen?
Wilhelmine. Koͤnnteſt du in dem meini-
gen leſen! (in ſeine Arme ſinkend) Nein,
Theurer, ich bitte nicht fuͤr dich! du bleibſt bei
mir! bei mir!
Ich will dieſe Scene, welche ſich endlich mit
voller Erklaͤrung, und Verſicherung einer ewigen
Liebe endigte, nicht weiter fortſetzen, ſie wuͤrde,
ſie muͤßte langweilig werden, weil nur ſelten ein-
zelne, abgebrochne Worte die uͤberſtroͤmenden Em-
pfindungen ausdruͤcken konnten. Auch Franz hat-
te ſchon laͤngſt den Reizen der ſchoͤnen Blinden ge-
huldigt, auch er hatte innige Liebe in ſeinem Her-
zen zu ihr gefuͤhlt, Ehrfurcht und Unmoͤglichkeit
der Erfuͤllung feſſelten aber ſeine Empfindung
maͤchtig, jetzt, da die Unvergeßliche ſelbſt in ſei-
nen Armen ruhte, ihm leiſe das Geſtaͤndniß ih-
rer Liebe zufluͤſterte, wichen beide ſchnell, und
machten der balſamreichen Hoffnung Platz. Ehe
Franz wieder ſchied, ward verabredet, daß er
nicht um die erledigte Pfarrſtelle anhalten, und
ſeinem Vater berichten ſolle, daß Wilhelmine in
der Haͤlfte des Unterrichts unmoͤglich ſtehen blei-
ben koͤnne, ihm aber um der betrogenen Hoff-
nung willen, jaͤhrlich hundert Thaler, ſo lange
er lebe, auszahlen wolle. Der arme Schulmei-
ſter war uͤber dieſe Nachricht hoch erfreut, er
meinte nun ſelbſt, daß es ein Beweiß der groͤß-
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