Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 2. Leipzig, 1796.Sie verkauften nun alles, was sie noch besa- sen, vermehrten dadurch ihr Vermögen auf vier- hundert Thaler, und zogen mit der Hofnung fort, daß Gottes Strafe sich wieder endigen, und seine Barmherzigkeit sie nicht ganz verlassen wer- de. Es war ein äußerst rührender Anblick für Franzen, als er, mit seinem kleinen Haabe bela- stet, am frühen Morgen zum Thore hinaus schlich, und hinter ihm sein blindes Weib folgte, welches der älteste seiner Söhne leitete, indes die zwei jüngern sorglos nebenher schlenderten, und sich des kommenden Tags freuten. Das kleinste seiner Kinder trug die gute Mutter auf ihrem Ar- me, Franz bat vergebens, daß sie diese Bürde auch ihm anvertrauen sollte, sie weigerte sich standhaft, und versicherte ihm, daß solch eine süße Bürde ihr nicht schwer falle. Wenn sie ruhten, und dieß geschah der Klei- nen wegen sehr oft, so sprachen die Unglücklichen stets von ihrer künftigen Lebensart. Sie beschlos- sen, den kleinen Ueberrest ihres Vermögens sorg- fältig aufzubewahren, nicht einen Thaler davon zu nehmen, und bloß von ihrer Hände Arbeit zu leben, damit, wenn Krankheit oder irgend ein an- drer Unglücksfall Franzen am täglichen Verdienste hindere, sie ihre Zuflucht zu diesem Nothpfennige nehmen könnten. Leben so viele Tausende, sprach Wilhelmine, von dem Wenigen, was sie durch Handarbeit gewinnen, warum sollten wirs nicht auch vermögen? Der strengste Vorsatz wird zur Sie verkauften nun alles, was ſie noch beſa- ſen, vermehrten dadurch ihr Vermoͤgen auf vier- hundert Thaler, und zogen mit der Hofnung fort, daß Gottes Strafe ſich wieder endigen, und ſeine Barmherzigkeit ſie nicht ganz verlaſſen wer- de. Es war ein aͤußerſt ruͤhrender Anblick fuͤr Franzen, als er, mit ſeinem kleinen Haabe bela- ſtet, am fruͤhen Morgen zum Thore hinaus ſchlich, und hinter ihm ſein blindes Weib folgte, welches der aͤlteſte ſeiner Soͤhne leitete, indes die zwei juͤngern ſorglos nebenher ſchlenderten, und ſich des kommenden Tags freuten. Das kleinſte ſeiner Kinder trug die gute Mutter auf ihrem Ar- me, Franz bat vergebens, daß ſie dieſe Buͤrde auch ihm anvertrauen ſollte, ſie weigerte ſich ſtandhaft, und verſicherte ihm, daß ſolch eine ſuͤße Buͤrde ihr nicht ſchwer falle. Wenn ſie ruhten, und dieß geſchah der Klei- nen wegen ſehr oft, ſo ſprachen die Ungluͤcklichen ſtets von ihrer kuͤnftigen Lebensart. Sie beſchloſ- ſen, den kleinen Ueberreſt ihres Vermoͤgens ſorg- faͤltig aufzubewahren, nicht einen Thaler davon zu nehmen, und bloß von ihrer Haͤnde Arbeit zu leben, damit, wenn Krankheit oder irgend ein an- drer Ungluͤcksfall Franzen am taͤglichen Verdienſte hindere, ſie ihre Zuflucht zu dieſem Nothpfennige nehmen koͤnnten. Leben ſo viele Tauſende, ſprach Wilhelmine, von dem Wenigen, was ſie durch Handarbeit gewinnen, warum ſollten wirs nicht auch vermoͤgen? Der ſtrengſte Vorſatz wird zur <TEI> <text> <body> <div n="1"> <sp who="#WILH"> <pb facs="#f0095" n="87"/> <p>Sie verkauften nun alles, was ſie noch beſa-<lb/> ſen, vermehrten dadurch ihr Vermoͤgen auf vier-<lb/> hundert Thaler, und zogen mit der Hofnung<lb/> fort, daß Gottes Strafe ſich wieder endigen, und<lb/> ſeine Barmherzigkeit ſie nicht ganz verlaſſen wer-<lb/> de. Es war ein aͤußerſt ruͤhrender Anblick fuͤr<lb/> Franzen, als er, mit ſeinem kleinen Haabe bela-<lb/> ſtet, am fruͤhen Morgen zum Thore hinaus<lb/> ſchlich, und hinter ihm ſein blindes Weib folgte,<lb/> welches der aͤlteſte ſeiner Soͤhne leitete, indes die<lb/> zwei juͤngern ſorglos nebenher ſchlenderten, und<lb/> ſich des kommenden Tags freuten. Das kleinſte<lb/> ſeiner Kinder trug die gute Mutter auf ihrem Ar-<lb/> me, Franz bat vergebens, daß ſie dieſe Buͤrde<lb/> auch ihm anvertrauen ſollte, ſie weigerte ſich<lb/> ſtandhaft, und verſicherte ihm, daß ſolch eine<lb/> ſuͤße Buͤrde ihr nicht ſchwer falle.</p><lb/> <p>Wenn ſie ruhten, und dieß geſchah der Klei-<lb/> nen wegen ſehr oft, ſo ſprachen die Ungluͤcklichen<lb/> ſtets von ihrer kuͤnftigen Lebensart. Sie beſchloſ-<lb/> ſen, den kleinen Ueberreſt ihres Vermoͤgens ſorg-<lb/> faͤltig aufzubewahren, nicht einen Thaler davon<lb/> zu nehmen, und bloß von ihrer Haͤnde Arbeit zu<lb/> leben, damit, wenn Krankheit oder irgend ein an-<lb/> drer Ungluͤcksfall Franzen am taͤglichen Verdienſte<lb/> hindere, ſie ihre Zuflucht zu dieſem Nothpfennige<lb/> nehmen koͤnnten. Leben ſo viele Tauſende, ſprach<lb/> Wilhelmine, von dem Wenigen, was ſie durch<lb/> Handarbeit gewinnen, warum ſollten wirs nicht<lb/> auch vermoͤgen? Der ſtrengſte Vorſatz wird zur<lb/></p> </sp> </div> </body> </text> </TEI> [87/0095]
Sie verkauften nun alles, was ſie noch beſa-
ſen, vermehrten dadurch ihr Vermoͤgen auf vier-
hundert Thaler, und zogen mit der Hofnung
fort, daß Gottes Strafe ſich wieder endigen, und
ſeine Barmherzigkeit ſie nicht ganz verlaſſen wer-
de. Es war ein aͤußerſt ruͤhrender Anblick fuͤr
Franzen, als er, mit ſeinem kleinen Haabe bela-
ſtet, am fruͤhen Morgen zum Thore hinaus
ſchlich, und hinter ihm ſein blindes Weib folgte,
welches der aͤlteſte ſeiner Soͤhne leitete, indes die
zwei juͤngern ſorglos nebenher ſchlenderten, und
ſich des kommenden Tags freuten. Das kleinſte
ſeiner Kinder trug die gute Mutter auf ihrem Ar-
me, Franz bat vergebens, daß ſie dieſe Buͤrde
auch ihm anvertrauen ſollte, ſie weigerte ſich
ſtandhaft, und verſicherte ihm, daß ſolch eine
ſuͤße Buͤrde ihr nicht ſchwer falle.
Wenn ſie ruhten, und dieß geſchah der Klei-
nen wegen ſehr oft, ſo ſprachen die Ungluͤcklichen
ſtets von ihrer kuͤnftigen Lebensart. Sie beſchloſ-
ſen, den kleinen Ueberreſt ihres Vermoͤgens ſorg-
faͤltig aufzubewahren, nicht einen Thaler davon
zu nehmen, und bloß von ihrer Haͤnde Arbeit zu
leben, damit, wenn Krankheit oder irgend ein an-
drer Ungluͤcksfall Franzen am taͤglichen Verdienſte
hindere, ſie ihre Zuflucht zu dieſem Nothpfennige
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Wilhelmine, von dem Wenigen, was ſie durch
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