than hatten. Wahrscheinlich schreckte sie mein drohender Blick, denn erst später erfuhr ich, daß sie mich weniger als meine Stiefmutter beschuldigt hatten, die Unglückliche wurde zur Folter, und als sie aus Schmerz auf dieser alles bekannte, was die Richter heischten, zum Tode verurtheilt. Ein Brief, den sie in ihrer lezten Stunde an meine Familie schrieb, und worinne sie ihre und meine Un- schuld mit den kräftigsten Worten verthei- digte, rettete mich nach der Hand aus dem Gefängnisse, meine Freunde bestachen, von meiner Unschuld überzeugt, den Kerkermei- ster, und entrissen mich der blinden Rachsucht des immer noch tobenden Vaters.
Amalie glaubte und trauete Wilhelms Worten, denn sie liebte und versicherte ihn, daß er durch die treue Erzählung seines un- glücklichen Schicksals in ihrem Herzen nichts verlohren, vielmehr alles gewonnen habe.
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than hatten. Wahrſcheinlich ſchreckte ſie mein drohender Blick, denn erſt ſpaͤter erfuhr ich, daß ſie mich weniger als meine Stiefmutter beſchuldigt hatten, die Ungluͤckliche wurde zur Folter, und als ſie aus Schmerz auf dieſer alles bekannte, was die Richter heiſchten, zum Tode verurtheilt. Ein Brief, den ſie in ihrer lezten Stunde an meine Familie ſchrieb, und worinne ſie ihre und meine Un- ſchuld mit den kraͤftigſten Worten verthei- digte, rettete mich nach der Hand aus dem Gefaͤngniſſe, meine Freunde beſtachen, von meiner Unſchuld uͤberzeugt, den Kerkermei- ſter, und entriſſen mich der blinden Rachſucht des immer noch tobenden Vaters.
Amalie glaubte und trauete Wilhelms Worten, denn ſie liebte und verſicherte ihn, daß er durch die treue Erzaͤhlung ſeines un- gluͤcklichen Schickſals in ihrem Herzen nichts verlohren, vielmehr alles gewonnen habe.
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than hatten. Wahrſcheinlich ſchreckte ſie mein
drohender Blick, denn erſt ſpaͤter erfuhr ich,
daß ſie mich weniger als meine Stiefmutter
beſchuldigt hatten, die Ungluͤckliche wurde zur
Folter, und als ſie aus Schmerz auf dieſer
alles bekannte, was die Richter heiſchten,
zum Tode verurtheilt. Ein Brief, den ſie
in ihrer lezten Stunde an meine Familie
ſchrieb, und worinne ſie ihre und meine Un-
ſchuld mit den kraͤftigſten Worten verthei-
digte, rettete mich nach der Hand aus dem
Gefaͤngniſſe, meine Freunde beſtachen, von
meiner Unſchuld uͤberzeugt, den Kerkermei-
ſter, und entriſſen mich der blinden Rachſucht
des immer noch tobenden Vaters.
Amalie glaubte und trauete Wilhelms
Worten, denn ſie liebte und verſicherte ihn,
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/129>, abgerufen am 24.11.2024.
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