Ein scharfer, anhaltender Blick welchen dieser am andern Morgen auf Marien warf, vernichtete ihre Verstellung, sie stürzte schluch- zend zu seinen Füssen nieder, bekannte ihr Ver- brechen und flehte um Mitleid. Er fühlte sein und ihr Unglück tief, aber er vergab, und wil- ligte nicht in den Plan, welchen die Stiefmut- ter entworfen hatte, und izt erneuerte.
Was ich und du so leicht entdeckten, sprach er, kann dem ganzen Dorfe nicht mehr verborgen sein, man würde grössere Verbrechen ahnden, wenn sie sich entfernte, und ihr noch stärkere Verachtung bereiten. Sie muß bleiben, und mags der ganzen Welt be- weisen, daß sie eine sorglose Stiefmutter hatte!
Im ganzen Dorfe behauptete man anfangs mit Recht, daß die Krämersfrau es mit den Soldaten halte, und ihres Mannes Ehre ver- kaufe; als man aber Mariens Zustand -- wie
Biogr. d. W. 3. B. N
Ein ſcharfer, anhaltender Blick welchen dieſer am andern Morgen auf Marien warf, vernichtete ihre Verſtellung, ſie ſtuͤrzte ſchluch- zend zu ſeinen Fuͤſſen nieder, bekannte ihr Ver- brechen und flehte um Mitleid. Er fuͤhlte ſein und ihr Ungluͤck tief, aber er vergab, und wil- ligte nicht in den Plan, welchen die Stiefmut- ter entworfen hatte, und izt erneuerte.
Was ich und du ſo leicht entdeckten, ſprach er, kann dem ganzen Dorfe nicht mehr verborgen ſein, man wuͤrde groͤſſere Verbrechen ahnden, wenn ſie ſich entfernte, und ihr noch ſtaͤrkere Verachtung bereiten. Sie muß bleiben, und mags der ganzen Welt be- weiſen, daß ſie eine ſorgloſe Stiefmutter hatte!
Im ganzen Dorfe behauptete man anfangs mit Recht, daß die Kraͤmersfrau es mit den Soldaten halte, und ihres Mannes Ehre ver- kaufe; als man aber Mariens Zuſtand — wie
Biogr. d. W. 3. B. N
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[209[193]/0207]
Ein ſcharfer, anhaltender Blick welchen
dieſer am andern Morgen auf Marien warf,
vernichtete ihre Verſtellung, ſie ſtuͤrzte ſchluch-
zend zu ſeinen Fuͤſſen nieder, bekannte ihr Ver-
brechen und flehte um Mitleid. Er fuͤhlte ſein
und ihr Ungluͤck tief, aber er vergab, und wil-
ligte nicht in den Plan, welchen die Stiefmut-
ter entworfen hatte, und izt erneuerte.
Was ich und du ſo leicht entdeckten,
ſprach er, kann dem ganzen Dorfe nicht
mehr verborgen ſein, man wuͤrde groͤſſere
Verbrechen ahnden, wenn ſie ſich entfernte,
und ihr noch ſtaͤrkere Verachtung bereiten. Sie
muß bleiben, und mags der ganzen Welt be-
weiſen, daß ſie eine ſorgloſe Stiefmutter hatte!
Im ganzen Dorfe behauptete man anfangs
mit Recht, daß die Kraͤmersfrau es mit den
Soldaten halte, und ihres Mannes Ehre ver-
kaufe; als man aber Mariens Zuſtand — wie
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 209[193]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/207>, abgerufen am 29.11.2024.
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