Im Hintergrunde des Vorhofes stand ein großer, runder Thurm vor meinem Blik- ke. Kleine, vergitterte Fenster, das dum- pfe Kettengerassel, welches daraus ertönte, gaben ihm das Ansehen eines Gefängnisses, und bewiesen zugleich, daß man Wahrheit geahndet habe. Ich schauderte zurück, als mir mein Freund kund machte, daß in die- sem Gefängnisse nur schuldlose Menschen schmachteten, welche meistens ohne Hofnung die Beute des Wahnsinnes wären, oft hart gefesselt werden müßten, damit sie im An- falle der Raserei nicht ihre Wohlthäter und Wärter unglücklich machten.
Nie fühlte ich's lebhafter, als izt: Welch ein kostbares Kleinod die Vernunft sei! Nur sie unterscheidet den eingebildeten, stolzen Menschen vom reissenden, grimmigen Thiere! Ohne sie muß er, gleich diesem, um un- schädlich zu sein, mit Ketten belastet und im
O 2
Im Hintergrunde des Vorhofes ſtand ein großer, runder Thurm vor meinem Blik- ke. Kleine, vergitterte Fenſter, das dum- pfe Kettengeraſſel, welches daraus ertoͤnte, gaben ihm das Anſehen eines Gefaͤngniſſes, und bewieſen zugleich, daß man Wahrheit geahndet habe. Ich ſchauderte zuruͤck, als mir mein Freund kund machte, daß in die- ſem Gefaͤngniſſe nur ſchuldloſe Menſchen ſchmachteten, welche meiſtens ohne Hofnung die Beute des Wahnſinnes waͤren, oft hart gefeſſelt werden muͤßten, damit ſie im An- falle der Raſerei nicht ihre Wohlthaͤter und Waͤrter ungluͤcklich machten.
Nie fuͤhlte ich's lebhafter, als izt: Welch ein koſtbares Kleinod die Vernunft ſei! Nur ſie unterſcheidet den eingebildeten, ſtolzen Menſchen vom reiſſenden, grimmigen Thiere! Ohne ſie muß er, gleich dieſem, um un- ſchaͤdlich zu ſein, mit Ketten belaſtet und im
O 2
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0225"n="211"/><p>Im Hintergrunde des Vorhofes ſtand<lb/>
ein großer, runder Thurm vor meinem Blik-<lb/>
ke. Kleine, vergitterte Fenſter, das dum-<lb/>
pfe Kettengeraſſel, welches daraus ertoͤnte,<lb/>
gaben ihm das Anſehen eines Gefaͤngniſſes,<lb/>
und bewieſen zugleich, daß man Wahrheit<lb/>
geahndet habe. Ich ſchauderte zuruͤck, als<lb/>
mir mein Freund kund machte, daß in die-<lb/>ſem Gefaͤngniſſe nur ſchuldloſe Menſchen<lb/>ſchmachteten, welche meiſtens ohne Hofnung<lb/>
die Beute des Wahnſinnes waͤren, oft hart<lb/>
gefeſſelt werden muͤßten, damit ſie im An-<lb/>
falle der Raſerei nicht ihre Wohlthaͤter und<lb/>
Waͤrter ungluͤcklich machten.</p><lb/><p>Nie fuͤhlte ich's lebhafter, als izt: Welch<lb/>
ein koſtbares Kleinod die Vernunft ſei! Nur<lb/>ſie unterſcheidet den eingebildeten, ſtolzen<lb/>
Menſchen vom reiſſenden, grimmigen Thiere!<lb/>
Ohne ſie muß er, gleich dieſem, um un-<lb/>ſchaͤdlich zu ſein, mit Ketten belaſtet und im<lb/><fwplace="bottom"type="sig">O 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[211/0225]
Im Hintergrunde des Vorhofes ſtand
ein großer, runder Thurm vor meinem Blik-
ke. Kleine, vergitterte Fenſter, das dum-
pfe Kettengeraſſel, welches daraus ertoͤnte,
gaben ihm das Anſehen eines Gefaͤngniſſes,
und bewieſen zugleich, daß man Wahrheit
geahndet habe. Ich ſchauderte zuruͤck, als
mir mein Freund kund machte, daß in die-
ſem Gefaͤngniſſe nur ſchuldloſe Menſchen
ſchmachteten, welche meiſtens ohne Hofnung
die Beute des Wahnſinnes waͤren, oft hart
gefeſſelt werden muͤßten, damit ſie im An-
falle der Raſerei nicht ihre Wohlthaͤter und
Waͤrter ungluͤcklich machten.
Nie fuͤhlte ich's lebhafter, als izt: Welch
ein koſtbares Kleinod die Vernunft ſei! Nur
ſie unterſcheidet den eingebildeten, ſtolzen
Menſchen vom reiſſenden, grimmigen Thiere!
Ohne ſie muß er, gleich dieſem, um un-
ſchaͤdlich zu ſein, mit Ketten belaſtet und im
O 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/225>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.