Kerker verwahrt werden! Allmächtiger, gü- tiger Schöpfer! Sie ist das Meisterstück dei- ner Allmacht, ein Theil deines göttlichen Ur- stofs, und doch -- O daß ich nicht Ankläger meiner Mitbrüder werden müßte! -- und doch achtet man dein unschäzbares Geschenk so wenig! Eine namlose Menge spielt und tän- delt mit ihr gleich einer Puppe, giebt sie den wilden Leidenschaften zum Raube, und läßt sie schmachten und mißhandeln unter ih- rer Geissel! Nur wenige schätzen, bilden sie, und suchen durch sie zu schöpfen im Meere der höhern Kenntnisse, sich an ihrer Hand, der Urquelle des ächten Glücks, zu nahen. O daß meine Stimme der Stärke meines Ge- fühls gleichen möchte, sie würde wie Posau- nenruf des lezten Gerichts durch die weite Welt ertönen, und jedem Bewohner derselben zurufen: Mensch! achte den Werth deiner Vernunft! Ohne sie gleichst du dem Löwen, welchen man im eng vergitterten Kasten zur
Kerker verwahrt werden! Allmaͤchtiger, guͤ- tiger Schoͤpfer! Sie iſt das Meiſterſtuͤck dei- ner Allmacht, ein Theil deines goͤttlichen Ur- ſtofs, und doch — O daß ich nicht Anklaͤger meiner Mitbruͤder werden muͤßte! — und doch achtet man dein unſchaͤzbares Geſchenk ſo wenig! Eine namloſe Menge ſpielt und taͤn- delt mit ihr gleich einer Puppe, giebt ſie den wilden Leidenſchaften zum Raube, und laͤßt ſie ſchmachten und mißhandeln unter ih- rer Geiſſel! Nur wenige ſchaͤtzen, bilden ſie, und ſuchen durch ſie zu ſchoͤpfen im Meere der hoͤhern Kenntniſſe, ſich an ihrer Hand, der Urquelle des aͤchten Gluͤcks, zu nahen. O daß meine Stimme der Staͤrke meines Ge- fuͤhls gleichen moͤchte, ſie wuͤrde wie Poſau- nenruf des lezten Gerichts durch die weite Welt ertoͤnen, und jedem Bewohner derſelben zurufen: Menſch! achte den Werth deiner Vernunft! Ohne ſie gleichſt du dem Loͤwen, welchen man im eng vergitterten Kaſten zur
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0226"n="212"/>
Kerker verwahrt werden! Allmaͤchtiger, guͤ-<lb/>
tiger Schoͤpfer! Sie iſt das Meiſterſtuͤck dei-<lb/>
ner Allmacht, ein Theil deines goͤttlichen Ur-<lb/>ſtofs, und doch — O daß ich nicht Anklaͤger<lb/>
meiner Mitbruͤder werden muͤßte! — und<lb/>
doch achtet man dein unſchaͤzbares Geſchenk ſo<lb/>
wenig! Eine namloſe Menge ſpielt und taͤn-<lb/>
delt mit ihr gleich einer Puppe, giebt ſie<lb/>
den wilden Leidenſchaften zum Raube, und<lb/>
laͤßt ſie ſchmachten und mißhandeln unter ih-<lb/>
rer Geiſſel! Nur wenige ſchaͤtzen, bilden ſie,<lb/>
und ſuchen durch ſie zu ſchoͤpfen im Meere<lb/>
der hoͤhern Kenntniſſe, ſich an ihrer Hand,<lb/>
der Urquelle des aͤchten Gluͤcks, zu nahen.<lb/>
O daß meine Stimme der Staͤrke meines Ge-<lb/>
fuͤhls gleichen moͤchte, ſie wuͤrde wie Poſau-<lb/>
nenruf des lezten Gerichts durch die weite<lb/>
Welt ertoͤnen, und jedem Bewohner derſelben<lb/>
zurufen: Menſch! achte den Werth deiner<lb/>
Vernunft! Ohne ſie gleichſt du dem Loͤwen,<lb/>
welchen man im eng vergitterten Kaſten zur<lb/></p></div></body></text></TEI>
[212/0226]
Kerker verwahrt werden! Allmaͤchtiger, guͤ-
tiger Schoͤpfer! Sie iſt das Meiſterſtuͤck dei-
ner Allmacht, ein Theil deines goͤttlichen Ur-
ſtofs, und doch — O daß ich nicht Anklaͤger
meiner Mitbruͤder werden muͤßte! — und
doch achtet man dein unſchaͤzbares Geſchenk ſo
wenig! Eine namloſe Menge ſpielt und taͤn-
delt mit ihr gleich einer Puppe, giebt ſie
den wilden Leidenſchaften zum Raube, und
laͤßt ſie ſchmachten und mißhandeln unter ih-
rer Geiſſel! Nur wenige ſchaͤtzen, bilden ſie,
und ſuchen durch ſie zu ſchoͤpfen im Meere
der hoͤhern Kenntniſſe, ſich an ihrer Hand,
der Urquelle des aͤchten Gluͤcks, zu nahen.
O daß meine Stimme der Staͤrke meines Ge-
fuͤhls gleichen moͤchte, ſie wuͤrde wie Poſau-
nenruf des lezten Gerichts durch die weite
Welt ertoͤnen, und jedem Bewohner derſelben
zurufen: Menſch! achte den Werth deiner
Vernunft! Ohne ſie gleichſt du dem Loͤwen,
welchen man im eng vergitterten Kaſten zur
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 212. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/226>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.