Wie Kleta die Jahre des Mädchens ver- ließ, in den Stand der Jungfrauen trat, nach- zudenken und zu überlegen begann, heischte sie oft von ihrer Mutter die Erklärung ihres ehe- maligen wunderbaren Schicksals, aber die Mutter erwiederte allemal, daß dieses ihr izt noch nicht Frucht bringe, mehr Schaden als Nutzen verursachen könne.
Ich will, schrieb sie ihr einst mit Thrä- nen, dies Geheimniß nicht mit in mein Grab nehmen, du wirst die ganze Erzählung mei- nes äusserst grausamen Schicksals nach meinem Tode in meinem Kleinodienkästchen verwahrt finden. Bis dahin erlaube mir aber zu schwei- gen, denn es würde mir äusserst wehthun, wenn ich durch ächte Erzählung zwar dein Mitleid reitzen, vielleicht aber deine Liebe vermindert sehen müßte. Es fiel mir schwer, meinen Vater todt zu sehen, aber ich würde noch weit stärker an seinem Grabe gejammert
Wie Kleta die Jahre des Maͤdchens ver- ließ, in den Stand der Jungfrauen trat, nach- zudenken und zu uͤberlegen begann, heiſchte ſie oft von ihrer Mutter die Erklaͤrung ihres ehe- maligen wunderbaren Schickſals, aber die Mutter erwiederte allemal, daß dieſes ihr izt noch nicht Frucht bringe, mehr Schaden als Nutzen verurſachen koͤnne.
Ich will, ſchrieb ſie ihr einſt mit Thraͤ- nen, dies Geheimniß nicht mit in mein Grab nehmen, du wirſt die ganze Erzaͤhlung mei- nes aͤuſſerſt grauſamen Schickſals nach meinem Tode in meinem Kleinodienkaͤſtchen verwahrt finden. Bis dahin erlaube mir aber zu ſchwei- gen, denn es wuͤrde mir aͤuſſerſt wehthun, wenn ich durch aͤchte Erzaͤhlung zwar dein Mitleid reitzen, vielleicht aber deine Liebe vermindert ſehen muͤßte. Es fiel mir ſchwer, meinen Vater todt zu ſehen, aber ich wuͤrde noch weit ſtaͤrker an ſeinem Grabe gejammert
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Wie Kleta die Jahre des Maͤdchens ver-
ließ, in den Stand der Jungfrauen trat, nach-
zudenken und zu uͤberlegen begann, heiſchte ſie
oft von ihrer Mutter die Erklaͤrung ihres ehe-
maligen wunderbaren Schickſals, aber die
Mutter erwiederte allemal, daß dieſes ihr izt
noch nicht Frucht bringe, mehr Schaden als
Nutzen verurſachen koͤnne.
Ich will, ſchrieb ſie ihr einſt mit Thraͤ-
nen, dies Geheimniß nicht mit in mein Grab
nehmen, du wirſt die ganze Erzaͤhlung mei-
nes aͤuſſerſt grauſamen Schickſals nach meinem
Tode in meinem Kleinodienkaͤſtchen verwahrt
finden. Bis dahin erlaube mir aber zu ſchwei-
gen, denn es wuͤrde mir aͤuſſerſt wehthun,
wenn ich durch aͤchte Erzaͤhlung zwar dein
Mitleid reitzen, vielleicht aber deine Liebe
vermindert ſehen muͤßte. Es fiel mir ſchwer,
meinen Vater todt zu ſehen, aber ich wuͤrde
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 324. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/338>, abgerufen am 24.11.2024.
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