Schätze der Erden; sie beschäftigte sich stun- denlang damit, und mehrte dadurch ihre Me- lancholie um ein großes, weil jedes Wort, das darinne geschrieben stand, sie überzeugte, daß ihr Liebling unglücklich sei, wahrschein- lich mit Elend und Mangel kämpfte, vielleicht um deswillen unstät und flüchtig umher irre.
Mit diesen Gedanken beschäftigt, ging sie einige Wochen nachher nach einem kleinen Buchenhain spatzieren, ihr folgten zwei Die- ner, welche der besorgte Vater zu ihrem Schutze geordnet hatte, sie waren ihr nicht lä- stig, weil solche sie nie in ihren Gedanken stöhr- ten, nur still hinter ihr her schlenderten. Der Weg nach dem Haine führte durch eine Allee von Obstbäumen, ihre Aeste bogen sich unter der Last der vielen Früchte; ehemals würde dieser Anblick ihr das größte Vergnü- gen gewährt haben, itzt war er ihrem Auge lästig, es weilte nur auf den gelben Blät-
Schaͤtze der Erden; ſie beſchaͤftigte ſich ſtun- denlang damit, und mehrte dadurch ihre Me- lancholie um ein großes, weil jedes Wort, das darinne geſchrieben ſtand, ſie uͤberzeugte, daß ihr Liebling ungluͤcklich ſei, wahrſchein- lich mit Elend und Mangel kaͤmpfte, vielleicht um deswillen unſtaͤt und fluͤchtig umher irre.
Mit dieſen Gedanken beſchaͤftigt, ging ſie einige Wochen nachher nach einem kleinen Buchenhain ſpatzieren, ihr folgten zwei Die- ner, welche der beſorgte Vater zu ihrem Schutze geordnet hatte, ſie waren ihr nicht laͤ- ſtig, weil ſolche ſie nie in ihren Gedanken ſtoͤhr- ten, nur ſtill hinter ihr her ſchlenderten. Der Weg nach dem Haine fuͤhrte durch eine Allee von Obſtbaͤumen, ihre Aeſte bogen ſich unter der Laſt der vielen Fruͤchte; ehemals wuͤrde dieſer Anblick ihr das groͤßte Vergnuͤ- gen gewaͤhrt haben, itzt war er ihrem Auge laͤſtig, es weilte nur auf den gelben Blaͤt-
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Schaͤtze der Erden; ſie beſchaͤftigte ſich ſtun-
denlang damit, und mehrte dadurch ihre Me-
lancholie um ein großes, weil jedes Wort,
das darinne geſchrieben ſtand, ſie uͤberzeugte,
daß ihr Liebling ungluͤcklich ſei, wahrſchein-
lich mit Elend und Mangel kaͤmpfte, vielleicht
um deswillen unſtaͤt und fluͤchtig umher irre.
Mit dieſen Gedanken beſchaͤftigt, ging
ſie einige Wochen nachher nach einem kleinen
Buchenhain ſpatzieren, ihr folgten zwei Die-
ner, welche der beſorgte Vater zu ihrem
Schutze geordnet hatte, ſie waren ihr nicht laͤ-
ſtig, weil ſolche ſie nie in ihren Gedanken ſtoͤhr-
ten, nur ſtill hinter ihr her ſchlenderten.
Der Weg nach dem Haine fuͤhrte durch eine
Allee von Obſtbaͤumen, ihre Aeſte bogen ſich
unter der Laſt der vielen Fruͤchte; ehemals
wuͤrde dieſer Anblick ihr das groͤßte Vergnuͤ-
gen gewaͤhrt haben, itzt war er ihrem Auge
laͤſtig, es weilte nur auf den gelben Blaͤt-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/52>, abgerufen am 24.11.2024.
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