Wie dies geendet war, meldete ein an- derer Diener, daß der Wagen, welcher Wil- helmen nach der Stadt führen sollte, ange- spannt sei. Sein Auge suchte Amalien, ein Blick der Liebe stärkte, und versicherte ihn, daß man ihn sehnlich rückerwarten werde. Er nahm dankbaren Abschied von allen, und eilte vorwärts.
Amaliens Eltern sprachen nun offener und freier, jedes entdeckte seine Meinung über den fremden Jüngling. Die gutherzige Mut- ter war voll von Lobsprüchen über sein gefäl- liges und sittsames Betragen, sie glaubte überzeugt zu sein, daß sicher unverdiente Un- glücksfälle den Aermsten bisher so unfreund- lich verfolgt hätten. Strenger und nicht so billig urtheilte der Vater, auch er rühmte des Jünglings höfliche und edle Lebensart, aber er glaubte auch fest, daß nicht unver- dientes Unglück, sondern weit wahrscheinli- cher jugendliche Fehler, Verführung und
Wie dies geendet war, meldete ein an- derer Diener, daß der Wagen, welcher Wil- helmen nach der Stadt fuͤhren ſollte, ange- ſpannt ſei. Sein Auge ſuchte Amalien, ein Blick der Liebe ſtaͤrkte, und verſicherte ihn, daß man ihn ſehnlich ruͤckerwarten werde. Er nahm dankbaren Abſchied von allen, und eilte vorwaͤrts.
Amaliens Eltern ſprachen nun offener und freier, jedes entdeckte ſeine Meinung uͤber den fremden Juͤngling. Die gutherzige Mut- ter war voll von Lobſpruͤchen uͤber ſein gefaͤl- liges und ſittſames Betragen, ſie glaubte uͤberzeugt zu ſein, daß ſicher unverdiente Un- gluͤcksfaͤlle den Aermſten bisher ſo unfreund- lich verfolgt haͤtten. Strenger und nicht ſo billig urtheilte der Vater, auch er ruͤhmte des Juͤnglings hoͤfliche und edle Lebensart, aber er glaubte auch feſt, daß nicht unver- dientes Ungluͤck, ſondern weit wahrſcheinli- cher jugendliche Fehler, Verfuͤhrung und
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Wie dies geendet war, meldete ein an-
derer Diener, daß der Wagen, welcher Wil-
helmen nach der Stadt fuͤhren ſollte, ange-
ſpannt ſei. Sein Auge ſuchte Amalien, ein
Blick der Liebe ſtaͤrkte, und verſicherte ihn,
daß man ihn ſehnlich ruͤckerwarten werde.
Er nahm dankbaren Abſchied von allen, und
eilte vorwaͤrts.
Amaliens Eltern ſprachen nun offener und
freier, jedes entdeckte ſeine Meinung uͤber
den fremden Juͤngling. Die gutherzige Mut-
ter war voll von Lobſpruͤchen uͤber ſein gefaͤl-
liges und ſittſames Betragen, ſie glaubte
uͤberzeugt zu ſein, daß ſicher unverdiente Un-
gluͤcksfaͤlle den Aermſten bisher ſo unfreund-
lich verfolgt haͤtten. Strenger und nicht ſo
billig urtheilte der Vater, auch er ruͤhmte
des Juͤnglings hoͤfliche und edle Lebensart,
aber er glaubte auch feſt, daß nicht unver-
dientes Ungluͤck, ſondern weit wahrſcheinli-
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 3. Leipzig, 1796, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien03_1796/99>, abgerufen am 24.11.2024.
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