Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

Die zahlreichen Bürger der großen Resi-
denzstadt liebten den gerechten Präsidenten,
keiner hatte, gleich ihm, so willig einen je-
den gehört, keiner so anhaltend die Sache des
Unterdrückten vertheidigt, ihr Herz nahm da-
her Antheil an seinem unglücklichen Schicksale,
sie versammelten sich und beschlossen einstim-
mig, nach Hofe zu gehen, und den Fürsten
anzuflehen, daß er ihm wenigstens das Leben
schenken möge. Aller Augen weinten, wie sie
am andern Tage würklich in schwarzen Män-
teln und mit traurendem Blicke nach der Burg
zogen, und Audienz forderten. Der Fürst
trat willig unter sie, er hörte ihre Bitte ge-
duldig an, aber er versicherte sie eben so stand-
haft, daß er Gerechtigkeit in seinem Staate
üben müsse, und denjenigen nicht begnadigen
könne, der seine Hände in unschuldiges Blut
getaucht, nach einstimmigen Beweisen vor-
sezlich gemordet habe. Er blickte gerührt um-
her, er seufzte tief, als die ganze Menge

Die zahlreichen Buͤrger der großen Reſi-
denzſtadt liebten den gerechten Praͤſidenten,
keiner hatte, gleich ihm, ſo willig einen je-
den gehoͤrt, keiner ſo anhaltend die Sache des
Unterdruͤckten vertheidigt, ihr Herz nahm da-
her Antheil an ſeinem ungluͤcklichen Schickſale,
ſie verſammelten ſich und beſchloſſen einſtim-
mig, nach Hofe zu gehen, und den Fuͤrſten
anzuflehen, daß er ihm wenigſtens das Leben
ſchenken moͤge. Aller Augen weinten, wie ſie
am andern Tage wuͤrklich in ſchwarzen Maͤn-
teln und mit traurendem Blicke nach der Burg
zogen, und Audienz forderten. Der Fuͤrſt
trat willig unter ſie, er hoͤrte ihre Bitte ge-
duldig an, aber er verſicherte ſie eben ſo ſtand-
haft, daß er Gerechtigkeit in ſeinem Staate
uͤben muͤſſe, und denjenigen nicht begnadigen
koͤnne, der ſeine Haͤnde in unſchuldiges Blut
getaucht, nach einſtimmigen Beweiſen vor-
ſezlich gemordet habe. Er blickte geruͤhrt um-
her, er ſeufzte tief, als die ganze Menge

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0129" n="119"/>
        <p>Die zahlreichen Bu&#x0364;rger der großen Re&#x017F;i-<lb/>
denz&#x017F;tadt liebten den gerechten Pra&#x0364;&#x017F;identen,<lb/>
keiner hatte, gleich ihm, &#x017F;o willig einen je-<lb/>
den geho&#x0364;rt, keiner &#x017F;o anhaltend die Sache des<lb/>
Unterdru&#x0364;ckten vertheidigt, ihr Herz nahm da-<lb/>
her Antheil an &#x017F;einem unglu&#x0364;cklichen Schick&#x017F;ale,<lb/>
&#x017F;ie ver&#x017F;ammelten &#x017F;ich und be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en ein&#x017F;tim-<lb/>
mig, nach Hofe zu gehen, und den Fu&#x0364;r&#x017F;ten<lb/>
anzuflehen, daß er ihm wenig&#x017F;tens das Leben<lb/>
&#x017F;chenken mo&#x0364;ge. Aller Augen weinten, wie &#x017F;ie<lb/>
am andern Tage wu&#x0364;rklich in &#x017F;chwarzen Ma&#x0364;n-<lb/>
teln und mit traurendem Blicke nach der Burg<lb/>
zogen, und Audienz forderten. Der Fu&#x0364;r&#x017F;t<lb/>
trat willig unter &#x017F;ie, er ho&#x0364;rte ihre Bitte ge-<lb/>
duldig an, aber er ver&#x017F;icherte &#x017F;ie eben &#x017F;o &#x017F;tand-<lb/>
haft, daß er Gerechtigkeit in &#x017F;einem Staate<lb/>
u&#x0364;ben mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, und denjenigen nicht begnadigen<lb/>
ko&#x0364;nne, der &#x017F;eine Ha&#x0364;nde in un&#x017F;chuldiges Blut<lb/>
getaucht, nach ein&#x017F;timmigen Bewei&#x017F;en vor-<lb/>
&#x017F;ezlich gemordet habe. Er blickte geru&#x0364;hrt um-<lb/>
her, er &#x017F;eufzte tief, als die ganze Menge<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[119/0129] Die zahlreichen Buͤrger der großen Reſi- denzſtadt liebten den gerechten Praͤſidenten, keiner hatte, gleich ihm, ſo willig einen je- den gehoͤrt, keiner ſo anhaltend die Sache des Unterdruͤckten vertheidigt, ihr Herz nahm da- her Antheil an ſeinem ungluͤcklichen Schickſale, ſie verſammelten ſich und beſchloſſen einſtim- mig, nach Hofe zu gehen, und den Fuͤrſten anzuflehen, daß er ihm wenigſtens das Leben ſchenken moͤge. Aller Augen weinten, wie ſie am andern Tage wuͤrklich in ſchwarzen Maͤn- teln und mit traurendem Blicke nach der Burg zogen, und Audienz forderten. Der Fuͤrſt trat willig unter ſie, er hoͤrte ihre Bitte ge- duldig an, aber er verſicherte ſie eben ſo ſtand- haft, daß er Gerechtigkeit in ſeinem Staate uͤben muͤſſe, und denjenigen nicht begnadigen koͤnne, der ſeine Haͤnde in unſchuldiges Blut getaucht, nach einſtimmigen Beweiſen vor- ſezlich gemordet habe. Er blickte geruͤhrt um- her, er ſeufzte tief, als die ganze Menge

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/129
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 119. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/129>, abgerufen am 21.11.2024.