Anfangs bestand die rachsüchtige Gräfin R -- hartnäckig auf der Erfüllung ihres Ge- lübdes, als ihr aber der liebende Fürst deut- lich bewies, daß er nicht allwissend sei, nicht strafen könne, wenn der Verurtheilte entflo- hen sei, da berechnete die Eigennützige den Vortheil der Versöhnung, den Nachtheil der Rache, und fand, daß die Erstere die Letztere um vieles überwiege. Sie heischte den Schwur des Fürsten, daß er den entflohenen Thäter nie begnadigen; ihn, wenn er entdeckt würde, nach aller Strenge strafen wolle, der Fürst leistete diesen Schwur, und bald wards am Hofe und in der Stadt bekannt, daß die Grä- fin R -- die erklärte Geliebte des Fürsten sei.
Als sie zum erstenmale wieder bei Hofe erschien, und jeder das Betragen der Für- stin gegen sie beobachtete, erstaunten alle, als diese sie aufs freundlichste empfing, und
Anfangs beſtand die rachſuͤchtige Graͤfin R — hartnaͤckig auf der Erfuͤllung ihres Ge- luͤbdes, als ihr aber der liebende Fuͤrſt deut- lich bewies, daß er nicht allwiſſend ſei, nicht ſtrafen koͤnne, wenn der Verurtheilte entflo- hen ſei, da berechnete die Eigennuͤtzige den Vortheil der Verſoͤhnung, den Nachtheil der Rache, und fand, daß die Erſtere die Letztere um vieles uͤberwiege. Sie heiſchte den Schwur des Fuͤrſten, daß er den entflohenen Thaͤter nie begnadigen; ihn, wenn er entdeckt wuͤrde, nach aller Strenge ſtrafen wolle, der Fuͤrſt leiſtete dieſen Schwur, und bald wards am Hofe und in der Stadt bekannt, daß die Graͤ- fin R — die erklaͤrte Geliebte des Fuͤrſten ſei.
Als ſie zum erſtenmale wieder bei Hofe erſchien, und jeder das Betragen der Fuͤr- ſtin gegen ſie beobachtete, erſtaunten alle, als dieſe ſie aufs freundlichſte empfing, und
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0135"n="125"/><p>Anfangs beſtand die rachſuͤchtige Graͤfin<lb/>
R — hartnaͤckig auf der Erfuͤllung ihres Ge-<lb/>
luͤbdes, als ihr aber der liebende Fuͤrſt deut-<lb/>
lich bewies, daß er nicht allwiſſend ſei, nicht<lb/>ſtrafen koͤnne, wenn der Verurtheilte entflo-<lb/>
hen ſei, da berechnete die Eigennuͤtzige den<lb/>
Vortheil der Verſoͤhnung, den Nachtheil der<lb/>
Rache, und fand, daß die Erſtere die Letztere<lb/>
um vieles uͤberwiege. Sie heiſchte den Schwur<lb/>
des Fuͤrſten, daß er den entflohenen Thaͤter<lb/>
nie begnadigen; ihn, wenn er entdeckt wuͤrde,<lb/>
nach aller Strenge ſtrafen wolle, der Fuͤrſt<lb/>
leiſtete dieſen Schwur, und bald wards am<lb/>
Hofe und in der Stadt bekannt, daß die Graͤ-<lb/>
fin R — die erklaͤrte Geliebte des Fuͤrſten<lb/>ſei.</p><lb/><p>Als ſie zum erſtenmale wieder bei Hofe<lb/>
erſchien, und jeder das Betragen der Fuͤr-<lb/>ſtin gegen ſie beobachtete, erſtaunten alle,<lb/>
als dieſe ſie aufs freundlichſte empfing, und<lb/></p></div></body></text></TEI>
[125/0135]
Anfangs beſtand die rachſuͤchtige Graͤfin
R — hartnaͤckig auf der Erfuͤllung ihres Ge-
luͤbdes, als ihr aber der liebende Fuͤrſt deut-
lich bewies, daß er nicht allwiſſend ſei, nicht
ſtrafen koͤnne, wenn der Verurtheilte entflo-
hen ſei, da berechnete die Eigennuͤtzige den
Vortheil der Verſoͤhnung, den Nachtheil der
Rache, und fand, daß die Erſtere die Letztere
um vieles uͤberwiege. Sie heiſchte den Schwur
des Fuͤrſten, daß er den entflohenen Thaͤter
nie begnadigen; ihn, wenn er entdeckt wuͤrde,
nach aller Strenge ſtrafen wolle, der Fuͤrſt
leiſtete dieſen Schwur, und bald wards am
Hofe und in der Stadt bekannt, daß die Graͤ-
fin R — die erklaͤrte Geliebte des Fuͤrſten
ſei.
Als ſie zum erſtenmale wieder bei Hofe
erſchien, und jeder das Betragen der Fuͤr-
ſtin gegen ſie beobachtete, erſtaunten alle,
als dieſe ſie aufs freundlichſte empfing, und
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/135>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.