Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796.

Bild:
<< vorherige Seite

chen solle. Ich ergrif diesen Rath mit ungestü-
mer Freude, aber ich schauderte zurück, als ich
überlegte, daß ich sie hülflos unglücklich ma-
chen würde, wenn man das grausame Gesetz
an ihr üben, ihr die Zunge abschneiden werde,
die izt immer so andächtig betete. Laßt mich
sterben, sprach ich zu den Räubern, ich liebe
nicht gleich euch, ich kann den Gegenstand mei-
ner innigsten Liebe nicht verunstaltet sehen.
Die Räuber schienen mein Leid zu fühlen, sie
sahen nebenbei ein, daß ich unthätig verschmach-
ten würde, sie traten an mein Lager, und ver-
sprachen mir, des Gesetzes Vollstreckung nicht
zu fordern, aus ächter Neigung zu ihrem
Hauptmanne eine Ausnahme zu machen, und
meines künftigen Weibes Zunge nicht zu berüh-
ren. Dieses Gelübde machte mich wieder froh
und thätig, ich zog bald hernach mit den Ta-
pfersten meiner Gefährten auf Spähe, lauerte
drei Tage lang bei der Kapelle, und raubte

P 2

chen ſolle. Ich ergrif dieſen Rath mit ungeſtuͤ-
mer Freude, aber ich ſchauderte zuruͤck, als ich
uͤberlegte, daß ich ſie huͤlflos ungluͤcklich ma-
chen wuͤrde, wenn man das grauſame Geſetz
an ihr uͤben, ihr die Zunge abſchneiden werde,
die izt immer ſo andaͤchtig betete. Laßt mich
ſterben, ſprach ich zu den Raͤubern, ich liebe
nicht gleich euch, ich kann den Gegenſtand mei-
ner innigſten Liebe nicht verunſtaltet ſehen.
Die Raͤuber ſchienen mein Leid zu fuͤhlen, ſie
ſahen nebenbei ein, daß ich unthaͤtig verſchmach-
ten wuͤrde, ſie traten an mein Lager, und ver-
ſprachen mir, des Geſetzes Vollſtreckung nicht
zu fordern, aus aͤchter Neigung zu ihrem
Hauptmanne eine Ausnahme zu machen, und
meines kuͤnftigen Weibes Zunge nicht zu beruͤh-
ren. Dieſes Geluͤbde machte mich wieder froh
und thaͤtig, ich zog bald hernach mit den Ta-
pferſten meiner Gefaͤhrten auf Spaͤhe, lauerte
drei Tage lang bei der Kapelle, und raubte

P 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0237" n="227"/>
chen &#x017F;olle. Ich ergrif die&#x017F;en Rath mit unge&#x017F;tu&#x0364;-<lb/>
mer Freude, aber ich &#x017F;chauderte zuru&#x0364;ck, als ich<lb/>
u&#x0364;berlegte, daß ich &#x017F;ie hu&#x0364;lflos unglu&#x0364;cklich ma-<lb/>
chen wu&#x0364;rde, wenn man das grau&#x017F;ame Ge&#x017F;etz<lb/>
an ihr u&#x0364;ben, ihr die Zunge ab&#x017F;chneiden werde,<lb/>
die izt immer &#x017F;o anda&#x0364;chtig betete. Laßt mich<lb/>
&#x017F;terben, &#x017F;prach ich zu den Ra&#x0364;ubern, ich liebe<lb/>
nicht gleich euch, ich kann den Gegen&#x017F;tand mei-<lb/>
ner innig&#x017F;ten Liebe nicht verun&#x017F;taltet &#x017F;ehen.<lb/>
Die Ra&#x0364;uber &#x017F;chienen mein Leid zu fu&#x0364;hlen, &#x017F;ie<lb/>
&#x017F;ahen nebenbei ein, daß ich untha&#x0364;tig ver&#x017F;chmach-<lb/>
ten wu&#x0364;rde, &#x017F;ie traten an mein Lager, und ver-<lb/>
&#x017F;prachen mir, des Ge&#x017F;etzes Voll&#x017F;treckung nicht<lb/>
zu fordern, aus a&#x0364;chter Neigung zu ihrem<lb/>
Hauptmanne eine Ausnahme zu machen, und<lb/>
meines ku&#x0364;nftigen Weibes Zunge nicht zu beru&#x0364;h-<lb/>
ren. Die&#x017F;es Gelu&#x0364;bde machte mich wieder froh<lb/>
und tha&#x0364;tig, ich zog bald hernach mit den Ta-<lb/>
pfer&#x017F;ten meiner Gefa&#x0364;hrten auf Spa&#x0364;he, lauerte<lb/>
drei Tage lang bei der Kapelle, und raubte<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">P 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[227/0237] chen ſolle. Ich ergrif dieſen Rath mit ungeſtuͤ- mer Freude, aber ich ſchauderte zuruͤck, als ich uͤberlegte, daß ich ſie huͤlflos ungluͤcklich ma- chen wuͤrde, wenn man das grauſame Geſetz an ihr uͤben, ihr die Zunge abſchneiden werde, die izt immer ſo andaͤchtig betete. Laßt mich ſterben, ſprach ich zu den Raͤubern, ich liebe nicht gleich euch, ich kann den Gegenſtand mei- ner innigſten Liebe nicht verunſtaltet ſehen. Die Raͤuber ſchienen mein Leid zu fuͤhlen, ſie ſahen nebenbei ein, daß ich unthaͤtig verſchmach- ten wuͤrde, ſie traten an mein Lager, und ver- ſprachen mir, des Geſetzes Vollſtreckung nicht zu fordern, aus aͤchter Neigung zu ihrem Hauptmanne eine Ausnahme zu machen, und meines kuͤnftigen Weibes Zunge nicht zu beruͤh- ren. Dieſes Geluͤbde machte mich wieder froh und thaͤtig, ich zog bald hernach mit den Ta- pferſten meiner Gefaͤhrten auf Spaͤhe, lauerte drei Tage lang bei der Kapelle, und raubte P 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/237
Zitationshilfe: Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/237>, abgerufen am 21.11.2024.