und Wasserströme den gewöhnlichen Pfad ver- nichtet hatten. Wie der Zug dort anlangte, sah man erst, daß das Erdbeben auch seine Macht an der Kapelle bewiesen habe; sie stand auf einer Felsenspitze, die ihren Schatten von der senkrechten Höhe herab ins tiefe Thal warf, von der andern Seite aber gemächlich bestiegen werden konnte, weil des Felsens breiter Rük- ken sich hier nur langsam erhob. Das Erdbe- ben hatte die Grundveste der Kapelle erschüt- tert, und der wüthende Sturm sie ins Thal hinab geschleudert. Die Felsenspitze, die man wahrscheinlich einst durchgehauen hatte, theilte sich izt in zwei gleiche Theile, und bildete eine Höhlung, welche eine gereizte Einbildungskraft für ein absichtlich gemachtes Lager halten konn- te. Kleta starrte lange nach dieser Oefnung hin, endlich sprang sie rasch hinzu, und legte sich darein. Der Mutter Fluch, schrie sie mit wildem Gelächter, ist nun erfüllt! Mein Braut- bette hat sich in Stein verwandelt, bald wer- den Schwefelflammen über mich empor lodern! Betet, betet, daß ich glücklich ende!
Keine Worte des Trostes fanden Eingang in ihrem Herzen, keine Vorstellung vermochte
und Waſſerſtroͤme den gewoͤhnlichen Pfad ver- nichtet hatten. Wie der Zug dort anlangte, ſah man erſt, daß das Erdbeben auch ſeine Macht an der Kapelle bewieſen habe; ſie ſtand auf einer Felſenſpitze, die ihren Schatten von der ſenkrechten Hoͤhe herab ins tiefe Thal warf, von der andern Seite aber gemaͤchlich beſtiegen werden konnte, weil des Felſens breiter Ruͤk- ken ſich hier nur langſam erhob. Das Erdbe- ben hatte die Grundveſte der Kapelle erſchuͤt- tert, und der wuͤthende Sturm ſie ins Thal hinab geſchleudert. Die Felſenſpitze, die man wahrſcheinlich einſt durchgehauen hatte, theilte ſich izt in zwei gleiche Theile, und bildete eine Hoͤhlung, welche eine gereizte Einbildungskraft fuͤr ein abſichtlich gemachtes Lager halten konn- te. Kleta ſtarrte lange nach dieſer Oefnung hin, endlich ſprang ſie raſch hinzu, und legte ſich darein. Der Mutter Fluch, ſchrie ſie mit wildem Gelaͤchter, iſt nun erfuͤllt! Mein Braut- bette hat ſich in Stein verwandelt, bald wer- den Schwefelflammen uͤber mich empor lodern! Betet, betet, daß ich gluͤcklich ende!
Keine Worte des Troſtes fanden Eingang in ihrem Herzen, keine Vorſtellung vermochte
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und Waſſerſtroͤme den gewoͤhnlichen Pfad ver-
nichtet hatten. Wie der Zug dort anlangte,
ſah man erſt, daß das Erdbeben auch ſeine
Macht an der Kapelle bewieſen habe; ſie ſtand
auf einer Felſenſpitze, die ihren Schatten von
der ſenkrechten Hoͤhe herab ins tiefe Thal warf,
von der andern Seite aber gemaͤchlich beſtiegen
werden konnte, weil des Felſens breiter Ruͤk-
ken ſich hier nur langſam erhob. Das Erdbe-
ben hatte die Grundveſte der Kapelle erſchuͤt-
tert, und der wuͤthende Sturm ſie ins Thal
hinab geſchleudert. Die Felſenſpitze, die man
wahrſcheinlich einſt durchgehauen hatte, theilte
ſich izt in zwei gleiche Theile, und bildete eine
Hoͤhlung, welche eine gereizte Einbildungskraft
fuͤr ein abſichtlich gemachtes Lager halten konn-
te. Kleta ſtarrte lange nach dieſer Oefnung
hin, endlich ſprang ſie raſch hinzu, und legte
ſich darein. Der Mutter Fluch, ſchrie ſie mit
wildem Gelaͤchter, iſt nun erfuͤllt! Mein Braut-
bette hat ſich in Stein verwandelt, bald wer-
den Schwefelflammen uͤber mich empor lodern!
Betet, betet, daß ich gluͤcklich ende!
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Spiess, Christian Heinrich: Biographien der Wahnsinnigen. Bd. 4. Leipzig, 1796, S. 281. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spiess_biographien04_1796/291>, abgerufen am 21.11.2024.
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