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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Einleitung.
durch Insekten von einer ziemlichen Grösse. Ob ich nun gleich
damals diese Vorstellung noch nicht durch die Erfahrung bestä-
tigt fand (denn dieses geschahe erst im folgenden Sommer, da ich
wirklich Hummeln in die Blumen hineinkriechen sahe): so über-
zeugte mich doch schon der Augenschein von der Richtigkeit dersel-
ben. Ich untersuchte also, ob auch andere Blumen so gebauet
seyen, daß ihre Befruchtung nicht anders, als durch die Insek-
ten, geschehen könne. Meine Untersuchungen überzeugten mich
immer mehr davon, daß viele, ja vielleicht alle Blumen, welche
Saft haben, von den Insekten, die sich von diesem Saft er-
nähren, befruchtet werden, und daß folglich diese Ernährung der
Insekten zwar in Ansehung ihrer selbst Endzweck, in Ansehung der
Blumen aber nur ein Mittel und zwar das einzige Mittel zu einem ge-
wissen Endzweck ist, welcher in ihrer Befruchtung besteht, und daß
die ganze Struktur solcher Blumen sich erklären läßt, wenn man bey
Untersuchung derselben folgende Punkte vor Augen hat:

1. Diese Blumen sollen durch diese oder jene Art von In-
sekten, oder durch mehrere Arten derselben befruchtet werden.

2. Dieses soll also geschehen, daß die Insekten, indem sie dem
Saft der Blumen nachgehen, und deswegen sich entweder auf
den Blumen auf eine unbestimmte Art aufhalten, oder auf eine
bestimmte Art entweder in dieselben hineinkriechen, oder auf den-
selben im Kreise herumlaufen, nothwendig mit ihrem mehrentheils
haarichten Körper, oder nur mit einem Theil desselben, den
Staub der Antheren abstreifen, und denselben auf das Stigma
bringen, welches zu dem Ende entweder mit kurzen und feinen
Haaren, oder mit einer gewissen, oft klebrichten, Feuchtigkeit
überzogen ist.

Im Frühjahr 1790 bemerkte ich, daß Orchis latifolia und
Orchis Morio zwar völlig die Struktur einer Saftblume haben,
daß sie aber keinen Saft enthalten. Diese Bemerkung müste,
dachte ich anfänglich, meine bisher gemachte Entdeckungen, wenn
nicht gänzlich über den Haufen werfen, doch wenigstens sehr
zweifelhaft machen. Denn da diese Blumen z. B. ein Saftmaal
haben (so nenne ich den anders gefärbten Fleck auf der Krone),
und doch dieses nicht für die Insekten ein Wegweiser zum Saft
seyn kann, da kein Saft vorhanden ist: so schien hieraus zu fol-
gen, daß auch dieses Saftmaal bey denen Blumen, welche wirk-
lich Saft enthalten, nicht zu diesem Endzweck da sey, und folg-
lich dasselbe ein bloßes Hirngespinst sey. Ich muß also gestehen,
daß diese Entdeckung mir keinesweges angenehm war. Aber eben
dieses spornte mich an, diese Blumen desto aufmerksamer zu un-
tersuchen, und auf dem Felde zu beobachten. Und da entdeckte
ich endlich, daß diese Blumen von gewissen Fliegen befruchtet
werden, welche, durch das Ansehen derselben getäuscht, im
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Einleitung.
Horn Saft vermuthen, und daher hineinkriechen, indem sie
aber dies thun, die Staubkölbchen aus ihren Fächern her-
ausziehen, und auf das kiebrichte Stigma bringen. Derglei-
chen Blumen, welche völlig das Ansehen der Saftblumen haben,
ohne Saft zu enthalten, nenne ich Scheinsaftblumen. Daß es
mehr solche Blumen giebt, sahe ich in eben demselben Jahr an
der gemeinen Osterluzey (Aristolochia Ciematitis). Ich fand
nemlich, daß auch diese Blume, welche keinen Saft enthält, völ-
lig wie eine Saftblume gebildet ist, und eben deswegen allerley
kleine Fliegen in dieselbe hineinkriechen. Im folgenden Sommer
aber sahe ich vollkommen ein, daß diese Blume ein wahres Wun-
der der Natur ist, daß nemlich diese Fliegen deswegen von
dem Ansehen der Blume verleitet werden, hineinzukriechen,
damit sie dieselbe befruchten, und daß sie so lange darin gefan-
gen gehalten werden, bis sie sie befruchtet haben, so bald
dieses aber geschehen ist, aus ihrem Gefängniß wieder her-
ausgelassen werden.

Im Sommer des vorher genannten Jahres entdeckte ich an
dem Epilobium angustifolium etwas, worauf ich von selbst nie
würde gefallen seyn, nemlich daß diese Zwitterblume von Hum-
meln und Bienen befruchtet wird, aber nicht ein jedes Indivi-
duum vermittelst seines eigenen Staubes, sondern die älteren Blu-
men vermittelst desjenigen Staubes, welchen diese Insekten aus
den jüngeren Blumen in dieselben schleppen. Diese Entdeckung
verbreitete ein großes Licht über viele von meinen früheren Ent-
deckungen. Besonders empfand ich ein großes Vergnügen, als
ich bey dem wilden Schwarzkümmel (Nigella aruensis) eben
diese Befruchtungsart entdeckte. Im Sommer 1788 hatte ich die
schöne Einrichtung der Saftmaschinen dieser Blume entdeckt. Im
folgenden Sommer lehrte mich die Erfahrung, daß sie von
den Bienen befruchtet wird. Ich glaubte damals auch voll-
kommen einzusehen, wie solches geschieht. Nun aber fand ich,
daß ich mich in Ansehung des letzten Punkts geirret hätte,
weil ich damals noch geglaubt, alle Zwitterblumen müßten durch
ihren eigenen Staub befruchtet werden.

Als ich endlich im letztvergangenen Sommer die gemeine
Wolfsmilch (Euphorbia Cyparissias) untersuchte, so fand ich,
daß bey derselben eine Einrichtung Statt findet, welchegkade das
Gegentheil von der so eben angezeigten ist, daß nemlich diese Blume
von Insekten befruchtet wird, aber so, daß sie den Staub der
älteren Blumen auf die Stigmate der jüngeren bringen.

Auf diese sechs in fünf Jahren gemachten Hauptentdeckungen
gründet sich meine Theorie der Blumen.

Ehe ich sie vortrage, muß ich zwey Vorstellungen, welche
man sich bisher von dem Endzweck des süßen Safts der Blumen

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Einleitung.
durch Inſekten von einer ziemlichen Groͤſſe. Ob ich nun gleich
damals dieſe Vorſtellung noch nicht durch die Erfahrung beſtaͤ-
tigt fand (denn dieſes geſchahe erſt im folgenden Sommer, da ich
wirklich Hummeln in die Blumen hineinkriechen ſahe): ſo uͤber-
zeugte mich doch ſchon der Augenſchein von der Richtigkeit derſel-
ben. Ich unterſuchte alſo, ob auch andere Blumen ſo gebauet
ſeyen, daß ihre Befruchtung nicht anders, als durch die Inſek-
ten, geſchehen koͤnne. Meine Unterſuchungen uͤberzeugten mich
immer mehr davon, daß viele, ja vielleicht alle Blumen, welche
Saft haben, von den Inſekten, die ſich von dieſem Saft er-
naͤhren, befruchtet werden, und daß folglich dieſe Ernaͤhrung der
Inſekten zwar in Anſehung ihrer ſelbſt Endzweck, in Anſehung der
Blumen aber nur ein Mittel und zwar das einzige Mittel zu einem ge-
wiſſen Endzweck iſt, welcher in ihrer Befruchtung beſteht, und daß
die ganze Struktur ſolcher Blumen ſich erklaͤren laͤßt, wenn man bey
Unterſuchung derſelben folgende Punkte vor Augen hat:

1. Dieſe Blumen ſollen durch dieſe oder jene Art von In-
ſekten, oder durch mehrere Arten derſelben befruchtet werden.

2. Dieſes ſoll alſo geſchehen, daß die Inſekten, indem ſie dem
Saft der Blumen nachgehen, und deswegen ſich entweder auf
den Blumen auf eine unbeſtimmte Art aufhalten, oder auf eine
beſtimmte Art entweder in dieſelben hineinkriechen, oder auf den-
ſelben im Kreiſe herumlaufen, nothwendig mit ihrem mehrentheils
haarichten Koͤrper, oder nur mit einem Theil deſſelben, den
Staub der Antheren abſtreifen, und denſelben auf das Stigma
bringen, welches zu dem Ende entweder mit kurzen und feinen
Haaren, oder mit einer gewiſſen, oft klebrichten, Feuchtigkeit
uͤberzogen iſt.

Im Fruͤhjahr 1790 bemerkte ich, daß Orchis latifolia und
Orchis Morio zwar voͤllig die Struktur einer Saftblume haben,
daß ſie aber keinen Saft enthalten. Dieſe Bemerkung muͤſte,
dachte ich anfaͤnglich, meine bisher gemachte Entdeckungen, wenn
nicht gaͤnzlich uͤber den Haufen werfen, doch wenigſtens ſehr
zweifelhaft machen. Denn da dieſe Blumen z. B. ein Saftmaal
haben (ſo nenne ich den anders gefaͤrbten Fleck auf der Krone),
und doch dieſes nicht fuͤr die Inſekten ein Wegweiſer zum Saft
ſeyn kann, da kein Saft vorhanden iſt: ſo ſchien hieraus zu fol-
gen, daß auch dieſes Saftmaal bey denen Blumen, welche wirk-
lich Saft enthalten, nicht zu dieſem Endzweck da ſey, und folg-
lich daſſelbe ein bloßes Hirngeſpinſt ſey. Ich muß alſo geſtehen,
daß dieſe Entdeckung mir keinesweges angenehm war. Aber eben
dieſes ſpornte mich an, dieſe Blumen deſto aufmerkſamer zu un-
terſuchen, und auf dem Felde zu beobachten. Und da entdeckte
ich endlich, daß dieſe Blumen von gewiſſen Fliegen befruchtet
werden, welche, durch das Anſehen derſelben getaͤuſcht, im
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Einleitung.
Horn Saft vermuthen, und daher hineinkriechen, indem ſie
aber dies thun, die Staubkoͤlbchen aus ihren Faͤchern her-
ausziehen, und auf das kiebrichte Stigma bringen. Derglei-
chen Blumen, welche voͤllig das Anſehen der Saftblumen haben,
ohne Saft zu enthalten, nenne ich Scheinſaftblumen. Daß es
mehr ſolche Blumen giebt, ſahe ich in eben demſelben Jahr an
der gemeinen Oſterluzey (Ariſtolochia Ciematitis). Ich fand
nemlich, daß auch dieſe Blume, welche keinen Saft enthaͤlt, voͤl-
lig wie eine Saftblume gebildet iſt, und eben deswegen allerley
kleine Fliegen in dieſelbe hineinkriechen. Im folgenden Sommer
aber ſahe ich vollkommen ein, daß dieſe Blume ein wahres Wun-
der der Natur iſt, daß nemlich dieſe Fliegen deswegen von
dem Anſehen der Blume verleitet werden, hineinzukriechen,
damit ſie dieſelbe befruchten, und daß ſie ſo lange darin gefan-
gen gehalten werden, bis ſie ſie befruchtet haben, ſo bald
dieſes aber geſchehen iſt, aus ihrem Gefaͤngniß wieder her-
ausgelaſſen werden.

Im Sommer des vorher genannten Jahres entdeckte ich an
dem Epilobium anguſtifolium etwas, worauf ich von ſelbſt nie
wuͤrde gefallen ſeyn, nemlich daß dieſe Zwitterblume von Hum-
meln und Bienen befruchtet wird, aber nicht ein jedes Indivi-
duum vermittelſt ſeines eigenen Staubes, ſondern die aͤlteren Blu-
men vermittelſt desjenigen Staubes, welchen dieſe Inſekten aus
den juͤngeren Blumen in dieſelben ſchleppen. Dieſe Entdeckung
verbreitete ein großes Licht uͤber viele von meinen fruͤheren Ent-
deckungen. Beſonders empfand ich ein großes Vergnuͤgen, als
ich bey dem wilden Schwarzkuͤmmel (Nigella aruenſis) eben
dieſe Befruchtungsart entdeckte. Im Sommer 1788 hatte ich die
ſchoͤne Einrichtung der Saftmaſchinen dieſer Blume entdeckt. Im
folgenden Sommer lehrte mich die Erfahrung, daß ſie von
den Bienen befruchtet wird. Ich glaubte damals auch voll-
kommen einzuſehen, wie ſolches geſchieht. Nun aber fand ich,
daß ich mich in Anſehung des letzten Punkts geirret haͤtte,
weil ich damals noch geglaubt, alle Zwitterblumen muͤßten durch
ihren eigenen Staub befruchtet werden.

Als ich endlich im letztvergangenen Sommer die gemeine
Wolfsmilch (Euphorbia Cypariſſias) unterſuchte, ſo fand ich,
daß bey derſelben eine Einrichtung Statt findet, welchegkade das
Gegentheil von der ſo eben angezeigten iſt, daß nemlich dieſe Blume
von Inſekten befruchtet wird, aber ſo, daß ſie den Staub der
aͤlteren Blumen auf die Stigmate der juͤngeren bringen.

Auf dieſe ſechs in fuͤnf Jahren gemachten Hauptentdeckungen
gruͤndet ſich meine Theorie der Blumen.

Ehe ich ſie vortrage, muß ich zwey Vorſtellungen, welche
man ſich bisher von dem Endzweck des ſuͤßen Safts der Blumen

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[[14]/0014] Einleitung. Einleitung. durch Inſekten von einer ziemlichen Groͤſſe. Ob ich nun gleich damals dieſe Vorſtellung noch nicht durch die Erfahrung beſtaͤ- tigt fand (denn dieſes geſchahe erſt im folgenden Sommer, da ich wirklich Hummeln in die Blumen hineinkriechen ſahe): ſo uͤber- zeugte mich doch ſchon der Augenſchein von der Richtigkeit derſel- ben. Ich unterſuchte alſo, ob auch andere Blumen ſo gebauet ſeyen, daß ihre Befruchtung nicht anders, als durch die Inſek- ten, geſchehen koͤnne. Meine Unterſuchungen uͤberzeugten mich immer mehr davon, daß viele, ja vielleicht alle Blumen, welche Saft haben, von den Inſekten, die ſich von dieſem Saft er- naͤhren, befruchtet werden, und daß folglich dieſe Ernaͤhrung der Inſekten zwar in Anſehung ihrer ſelbſt Endzweck, in Anſehung der Blumen aber nur ein Mittel und zwar das einzige Mittel zu einem ge- wiſſen Endzweck iſt, welcher in ihrer Befruchtung beſteht, und daß die ganze Struktur ſolcher Blumen ſich erklaͤren laͤßt, wenn man bey Unterſuchung derſelben folgende Punkte vor Augen hat: 1. Dieſe Blumen ſollen durch dieſe oder jene Art von In- ſekten, oder durch mehrere Arten derſelben befruchtet werden. 2. 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Im Sommer des vorher genannten Jahres entdeckte ich an dem Epilobium anguſtifolium etwas, worauf ich von ſelbſt nie wuͤrde gefallen ſeyn, nemlich daß dieſe Zwitterblume von Hum- meln und Bienen befruchtet wird, aber nicht ein jedes Indivi- duum vermittelſt ſeines eigenen Staubes, ſondern die aͤlteren Blu- men vermittelſt desjenigen Staubes, welchen dieſe Inſekten aus den juͤngeren Blumen in dieſelben ſchleppen. Dieſe Entdeckung verbreitete ein großes Licht uͤber viele von meinen fruͤheren Ent- deckungen. Beſonders empfand ich ein großes Vergnuͤgen, als ich bey dem wilden Schwarzkuͤmmel (Nigella aruenſis) eben dieſe Befruchtungsart entdeckte. Im Sommer 1788 hatte ich die ſchoͤne Einrichtung der Saftmaſchinen dieſer Blume entdeckt. Im folgenden Sommer lehrte mich die Erfahrung, daß ſie von den Bienen befruchtet wird. Ich glaubte damals auch voll- kommen einzuſehen, wie ſolches geſchieht. Nun aber fand ich, daß ich mich in Anſehung des letzten Punkts geirret haͤtte, weil ich damals noch geglaubt, alle Zwitterblumen muͤßten durch ihren eigenen Staub befruchtet werden. Als ich endlich im letztvergangenen Sommer die gemeine Wolfsmilch (Euphorbia Cypariſſias) unterſuchte, ſo fand ich, daß bey derſelben eine Einrichtung Statt findet, welchegkade das Gegentheil von der ſo eben angezeigten iſt, daß nemlich dieſe Blume von Inſekten befruchtet wird, aber ſo, daß ſie den Staub der aͤlteren Blumen auf die Stigmate der juͤngeren bringen. Auf dieſe ſechs in fuͤnf Jahren gemachten Hauptentdeckungen gruͤndet ſich meine Theorie der Blumen. Ehe ich ſie vortrage, muß ich zwey Vorſtellungen, welche man ſich bisher von dem Endzweck des ſuͤßen Safts der Blumen

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Kommentar zur DTA-Ausgabe

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [14]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/14>, abgerufen am 21.11.2024.