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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Einleitung.
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Als ich im Sommer 1787 die Blume des Waldstorchschnabels
(Geranium sylvaticum) aufmerksam betrachtete, so fand ich,
daß der unterste Theil ihrer Kronenblätter auf der innern Seite
und an den beiden Rändern mit feinen und weichen Haaren ver-
sehen war. Ueberzeugt, daß der weise Urheber der Natur auch
nicht ein einziges Härchen ohne eine gewisse Absicht hervorge-
bracht hat, dachte ich darüber nach, wozu denn wohl diese Haare
dienen möchten. Und hier fiel mir bald ein, daß, wenn man
voraussetzte, daß die fünf Safttröpfchen, welche von eben so vie-
len Drüsen abgesondert werden, gewissen Insekten zur Nahrung
bestimmt seyen, man es zugleich nicht unwahrscheinlich finden
müßte, daß dafür gesorgt sey, daß dieser Saft nicht vom Re-
gen verdorben werde, und daß zur Erreichung dieser Absicht diese
Haare hier angebracht seyen. Die vier ersten Figuren der 18.
Kupfertafel können zur Erläuterung dessen dienen, was ich sage.
Sie stellen den Sumpfstorchschnabel (Geranium palustre) vor,
welcher dem Waldstorchschnabel sehr ähnlich ist. Jedes Saft-
tröpfchen sitzt auf seiner Drüse unmittelbar unter den Haaren,
welche sich an dem Rande der zwey nächsten Kronenblätter befin-
den. Da die Blume aufrecht steht, und ziemlich groß ist:
so müssen, wenn es regnet, Regentropfen in dieselbe hineinfallen.
Es kann aber keiner von den hineingefallenen Regentropfen zu
einem Safttröpfchen gelangen, und sich mit demselben vermischen,
indem er von den Haaren, welche sich über dem Safttröpfchen
befinden, aufgehalten wird, so wie ein Schweißtropfen, welcher
an der Stirn des Menschen herabgeflossen ist, von den Augenbrau-
nen und Augenwimpern aufgehalten, und verhindert wird, in das
Auge hinein zu fließen. Ein Insekt hingegen wird durch diese Haare
keinesweges verhindert, zu den Safttröpfchen zu gelangen. Ich
untersuchte hierauf andere Blumen, und fand, daß verschiedene
von denselben etwas in ihrer Struktnr hatten, welches zu eben
diesem Endzweck zu dienen schien. Je länger ich diese Untersuchung
fortsetzte, desto mehr sahe ich ein, daß diejenigen Blumen, welche
Saft enthalten, so eingerichtet sind, daß zwar die Insekten sehr
leicht zu demselben gelangen können, der Regen aber ihn nicht
[Spaltenumbruch] verderben kann. Ich schloß also hieraus, daß der Saft die-
ser Blumen, wenigstens zunächst, um der Insekten willen abge-
sondert werde, und, damit sie denselben rein und unverdorben
genießen können, gegen den Regen gesichert sey.

Im folgenden Sommer untersuchte ich das Vergiß mein nicht
(Myosotis palustris). Ich fand nicht nur, daß diese Blume
Saft hat, sondern auch, daß dieser Saft gegen den Regen völlig
gesichert ist. Zugleich aber fiel mir der gelbe Ring auf, welcher
die Oeffnung der Kronenröhre umgiebt, und gegen die himmel-
blaue Farbe des Kronensaums so schön absticht. Sollte wohl,
dachte ich, dieser Umstand sich auch auf die Insekten beziehen?
Sollte die Natur wohl diesen Ring zu dem Ende besonders ge-
färbt haben, damit derselbe den Insekten den Weg zum Safthal-
ter zeige? Ich betrachtete in Rücksicht auf diese Hypothese
andere Blumen, und fand, daß die mehresten sie bestätigten.
Denn ich sahe, daß diejenigen Blumen, deren Krone an Ei-
ner Stelle anders gefärbt ist, als sie überhaupt ist, diese Flecken,
Figuren, Linien oder Düpfel von besonderer Farbe immer da haben,
wo sich der Eingang zum Safthalter befindet. Nun schloß ich
vom Theil auf das Ganze. Wenn, dachte ich, die Krone der
Insekten wegen an einer besonderen Stelle besonders gefärbt ist,
so ist sie überhaupt der Insekten wegen gefärbt; und wenn jene
besondere Farbe eines Theils der Krone dazu dient, daß ein In-
sekt, welches sich auf die Blume gesetzt hat, den rechten Weg
zum Saft leicht finden könne, so dienet die Farbe der Krone dazu,
daß die mit einer solchen Krone versehenen Blumen den ihrer
Nahrung wegen in der Luft umherschwärmenden Insekten, als
Saftbehältnisse, schon von weitem in die Augen fallen.

Als ich im Sommer 1789 einige Arten der Iris untersuchte,
so fand ich bald, daß Linne sich in Ansehung sowohl des Stigma,
als auch des Nectarii geirrt habe, daß der Saft gegen den Regen
völlig gesichert sey, daß endlich eine besonders gefärbte Stelle da
sey, welche die Insekten gleichsam zum Saft hinführet. Aber ich
fand noch mehr, nemlich daß diese Blumen schlechterdings nicht
anders befruchtet werden können, als durch Insekten, und zwar

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[Spaltenumbruch]
Einleitung.
[Spaltenumbruch]

Als ich im Sommer 1787 die Blume des Waldſtorchſchnabels
(Geranium ſylvaticum) aufmerkſam betrachtete, ſo fand ich,
daß der unterſte Theil ihrer Kronenblaͤtter auf der innern Seite
und an den beiden Raͤndern mit feinen und weichen Haaren ver-
ſehen war. Ueberzeugt, daß der weiſe Urheber der Natur auch
nicht ein einziges Haͤrchen ohne eine gewiſſe Abſicht hervorge-
bracht hat, dachte ich daruͤber nach, wozu denn wohl dieſe Haare
dienen moͤchten. Und hier fiel mir bald ein, daß, wenn man
vorausſetzte, daß die fuͤnf Safttroͤpfchen, welche von eben ſo vie-
len Druͤſen abgeſondert werden, gewiſſen Inſekten zur Nahrung
beſtimmt ſeyen, man es zugleich nicht unwahrſcheinlich finden
muͤßte, daß dafuͤr geſorgt ſey, daß dieſer Saft nicht vom Re-
gen verdorben werde, und daß zur Erreichung dieſer Abſicht dieſe
Haare hier angebracht ſeyen. Die vier erſten Figuren der 18.
Kupfertafel koͤnnen zur Erlaͤuterung deſſen dienen, was ich ſage.
Sie ſtellen den Sumpfſtorchſchnabel (Geranium paluſtre) vor,
welcher dem Waldſtorchſchnabel ſehr aͤhnlich iſt. Jedes Saft-
troͤpfchen ſitzt auf ſeiner Druͤſe unmittelbar unter den Haaren,
welche ſich an dem Rande der zwey naͤchſten Kronenblaͤtter befin-
den. Da die Blume aufrecht ſteht, und ziemlich groß iſt:
ſo muͤſſen, wenn es regnet, Regentropfen in dieſelbe hineinfallen.
Es kann aber keiner von den hineingefallenen Regentropfen zu
einem Safttroͤpfchen gelangen, und ſich mit demſelben vermiſchen,
indem er von den Haaren, welche ſich uͤber dem Safttroͤpfchen
befinden, aufgehalten wird, ſo wie ein Schweißtropfen, welcher
an der Stirn des Menſchen herabgefloſſen iſt, von den Augenbrau-
nen und Augenwimpern aufgehalten, und verhindert wird, in das
Auge hinein zu fließen. Ein Inſekt hingegen wird durch dieſe Haare
keinesweges verhindert, zu den Safttroͤpfchen zu gelangen. Ich
unterſuchte hierauf andere Blumen, und fand, daß verſchiedene
von denſelben etwas in ihrer Struktnr hatten, welches zu eben
dieſem Endzweck zu dienen ſchien. Je laͤnger ich dieſe Unterſuchung
fortſetzte, deſto mehr ſahe ich ein, daß diejenigen Blumen, welche
Saft enthalten, ſo eingerichtet ſind, daß zwar die Inſekten ſehr
leicht zu demſelben gelangen koͤnnen, der Regen aber ihn nicht
[Spaltenumbruch] verderben kann. Ich ſchloß alſo hieraus, daß der Saft die-
ſer Blumen, wenigſtens zunaͤchſt, um der Inſekten willen abge-
ſondert werde, und, damit ſie denſelben rein und unverdorben
genießen koͤnnen, gegen den Regen geſichert ſey.

Im folgenden Sommer unterſuchte ich das Vergiß mein nicht
(Myoſotis paluſtris). Ich fand nicht nur, daß dieſe Blume
Saft hat, ſondern auch, daß dieſer Saft gegen den Regen voͤllig
geſichert iſt. Zugleich aber fiel mir der gelbe Ring auf, welcher
die Oeffnung der Kronenroͤhre umgiebt, und gegen die himmel-
blaue Farbe des Kronenſaums ſo ſchoͤn abſticht. Sollte wohl,
dachte ich, dieſer Umſtand ſich auch auf die Inſekten beziehen?
Sollte die Natur wohl dieſen Ring zu dem Ende beſonders ge-
faͤrbt haben, damit derſelbe den Inſekten den Weg zum Safthal-
ter zeige? Ich betrachtete in Ruͤckſicht auf dieſe Hypotheſe
andere Blumen, und fand, daß die mehreſten ſie beſtaͤtigten.
Denn ich ſahe, daß diejenigen Blumen, deren Krone an Ei-
ner Stelle anders gefaͤrbt iſt, als ſie uͤberhaupt iſt, dieſe Flecken,
Figuren, Linien oder Duͤpfel von beſonderer Farbe immer da haben,
wo ſich der Eingang zum Safthalter befindet. Nun ſchloß ich
vom Theil auf das Ganze. Wenn, dachte ich, die Krone der
Inſekten wegen an einer beſonderen Stelle beſonders gefaͤrbt iſt,
ſo iſt ſie uͤberhaupt der Inſekten wegen gefaͤrbt; und wenn jene
beſondere Farbe eines Theils der Krone dazu dient, daß ein In-
ſekt, welches ſich auf die Blume geſetzt hat, den rechten Weg
zum Saft leicht finden koͤnne, ſo dienet die Farbe der Krone dazu,
daß die mit einer ſolchen Krone verſehenen Blumen den ihrer
Nahrung wegen in der Luft umherſchwaͤrmenden Inſekten, als
Saftbehaͤltniſſe, ſchon von weitem in die Augen fallen.

Als ich im Sommer 1789 einige Arten der Iris unterſuchte,
ſo fand ich bald, daß Linné ſich in Anſehung ſowohl des Stigma,
als auch des Nectarii geirrt habe, daß der Saft gegen den Regen
voͤllig geſichert ſey, daß endlich eine beſonders gefaͤrbte Stelle da
ſey, welche die Inſekten gleichſam zum Saft hinfuͤhret. Aber ich
fand noch mehr, nemlich daß dieſe Blumen ſchlechterdings nicht
anders befruchtet werden koͤnnen, als durch Inſekten, und zwar

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [13]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/13>, abgerufen am 03.12.2024.