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Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793.

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Einleitung.
den Blumen einen köstlichen Saft für die Insekten bereitet hat,
auch die zweckmäßigsten und vortrefflichsten Anstalten getroffen,
damit dieser Saft vor aller Verderbung durch den Regen gesichert
sey. Daß auch die erste angeführte Absicht hiebey Statt finde,
daß nemlich der Saft nicht verdünste, glaube ich nicht. Der
Verfasser der oben angeführten Dissertation behauptet dieses von
der Campanula und einigen andern Gattungen. So wie ich,
wenigstens was die Campanula betrifft, an seinem Ort beweisen
werde, daß er sich geirret hat: so findet theils bey diesen Gattun-
gen die zweyte Absicht unfehlbar Statt, theils aber giebt es viele
Gattungen, bey welchen man an die erste Absicht schlechterdings
nicht denken kann. Denn der Saft derselben ist der Luft ganz
ausgesetzt, so daß, wofern er anders ausdünstet, dieses durch
nichts verhindert wird, zugleich aber gegen die Vermischung mit
einem Regentropfen, sollte derselbe sich auch ganz nahe befinden,
völlig gesichert. Diese Absicht wird nun entweder durch die Struk-
tur und Stellung einer Blume schon hinlänglich erreicht, oder es ist
noch etwas besonderes irgendwo in derselben vorhanden, welches
bloß zu Erreichung derselben dienet. Dieses nenne ich die Saftdecke.

So wie sich die Weisheit eines Menschen in ihrem stärksten
Licht zeiget, wenn er zwey Absichten zugleich zu erreichen weiß,
deren eine die Erreichung der andern zu verhindern, oder wohl
gar unmöglich zu machen scheint: eben so kann man sich schon
a priori vorstellen, daß diejenige Veranstaltung in den Blumen,
durch welche zwey sich einander aufzuheben scheinende Absichten,
nemlich daß der Zugang zum Saft den Insekten offen stehe, den
Regentropfen aber verschlossen sey, zugleich völlig erreicht werden,
die Weisheit des Blumenschöpfers aufs deutlichste an den Tag
legen müsse, besonders wenn man bedenkt, daß dieselbe wegen
der höchst mannigfaltigen Bildung der Blumen höchst mannig-
faltig seyn muß.

Damit ich vorläufig einige öfters vorkommende Mittel anzeige,
welche zu diesem Endzweck dienen, so gehört dahin vornemlich, daß
die Krone mehrentheils sehr dünne ist, und folglich, well sie nur wenig
körperliche Masse hat, auch nur wenig Anziehungskraft besitzt, daß
ihre innere Oberfläche, zuweilen auch die äußere, mit feinen Haaren,
oder Wolle, oder Puder überzogen ist, daß, wenn diese Oberfläche
glatt ist, die Krone ein subtiles Oel auszuschwitzen scheint. In
allen diesen Fällen äußern die Theile eines auf die Krone gefallnen
Regentropfens, weil sie von derselben wenig angezogen werden,
ihre Anziehungskraft mehr gegen einander selbst, und der Regen-
tropfen bekömmt eine sphäroidische Gestalt, so daß die Fläche, mit
welcher er die Krone berührt, kleiner ist, als diejenige, welche
jener parallel durch seinen Mittelpunkt geht. Auf solche Art kann
er nicht lange in oder auf der Krone haften, sondern muß, sobald
[Spaltenumbruch]

Einleitung.
die Blume vom Winde geschüttelt wird, heraus- oder herabfallen.
Wenn er aber auch sitzen bleibt, so kann er doch nicht bis zum
Saft kommen. Er trifft, indem er hinabfließt, eine Reihe von
Haaren an, welche über dem Safthalter angebracht sind, und
mehrentheils nach oben zu mit der Oberfläche der Krone einen
spitzen Winkel machen, folglich ihm ihre Spitzen zukehren, und
ihn vom Safthalter abhalten; oder er geräth an einen Ansatz,
vor welchem er stehen bleiben muß. Zuweilen berührt er einige
Antheren. Weil nun diese dicker sind, als die Filamente, so zie-
hen sie ihn auch stärker an. Er bleibt also zwischen den Antheren
und der Krone sitzen, und kann nicht zu dem Safttröpfchen, wel-
ches unten an den Filamenten sitzt, gelangen. Oft sind die Fi-
lamente oben dicker) als unten. Fällt also ein Regentropfen auf
den obersten Theil derselben, so bleibt er aus gleicher Ursache hier
sitzen. Eine ähnliche Erscheinung kann man nach einem Regen
an den Nadeln der Kiefer bemerken. Besiehet man solche Na-
deln, welche ihre Spitze der Erde zukehren, so findet man einen
Regentropfen nicht unten an der Spitze, sondern etwas über der-
selben. Denn wenn ein Regentropfen auf eine solche Nadel ge-
fallen ist, so muß er wegen seiner Schwere an derselben hinab-
fließen, und die Nadel kann dieses nicht verhindern, weil sie nach
ihrer ganzen Länge gleich dicke ist. Ist er aber bis dahin hinab-
geflossen, wo die Nadel anfängt sich in eine kegelförmige Spitze
zu endigen, so muß er hier stehen bleiben, weil er von diesem
Theil der Nadel stärker angezogen wird, als von ihrer Spitze.
Viele röhrenförmige Blumen haben eine ziemlich weite Oeffnung.
Weil aber dieselbe durch fünf oder mehr Filamente in eben so viel
kleinere Oeffnungen getheilet wird, so kann kein Regentropfen durch
dieselben in die Röhre hineinfließen. Oder es sitzen an der Oeff-
nung fünf oder mehr Antheren, welche den Raum derselben bey-
nahe ausfüllen. Auch hier kann kein Regentropfen hineindrin-
gen. In beyden Fällen aber können kleinere Insekten leicht hinein-
kriechen, und größere ihren Saugerüssel hineinstecken. Oft hat
sich die Natur, um diesen doppelten Endzweck zu erreichen, der
Elasticität bedient. Sie hat gewisse Deckel angebracht, welche
von einem Insekt leicht in die Höhe gehoben, oder herabgedrückt
werden können, damit es zum Saft gelange, welche aber wenn
das Insekt sich wieder zurückbegiebt, wieder zufallen, damit kein
Regentropfen hindurchdringen könne. Die Elasticität findet nun
freylich bey den Blumen nicht in dem Grade Statt, in welchem
sie einige Samenbehältnisse besitzen. Dieses ist theils nicht mög-
lich, da eine Blume von viel weicherer Substanz ist, als ein Sa-
menbehältniß, theils auch nicht nöthig, da es hier nur darauf
angesehen ist, daß ein von einem Insekt aufgehobener Deckel wie-
der zufalle, keinesweges aber, daß gewisse Körper weit fortgewor-

[Spaltenumbruch]

Einleitung.
den Blumen einen koͤſtlichen Saft fuͤr die Inſekten bereitet hat,
auch die zweckmaͤßigſten und vortrefflichſten Anſtalten getroffen,
damit dieſer Saft vor aller Verderbung durch den Regen geſichert
ſey. Daß auch die erſte angefuͤhrte Abſicht hiebey Statt finde,
daß nemlich der Saft nicht verduͤnſte, glaube ich nicht. Der
Verfaſſer der oben angefuͤhrten Diſſertation behauptet dieſes von
der Campanula und einigen andern Gattungen. So wie ich,
wenigſtens was die Campanula betrifft, an ſeinem Ort beweiſen
werde, daß er ſich geirret hat: ſo findet theils bey dieſen Gattun-
gen die zweyte Abſicht unfehlbar Statt, theils aber giebt es viele
Gattungen, bey welchen man an die erſte Abſicht ſchlechterdings
nicht denken kann. Denn der Saft derſelben iſt der Luft ganz
ausgeſetzt, ſo daß, wofern er anders ausduͤnſtet, dieſes durch
nichts verhindert wird, zugleich aber gegen die Vermiſchung mit
einem Regentropfen, ſollte derſelbe ſich auch ganz nahe befinden,
voͤllig geſichert. Dieſe Abſicht wird nun entweder durch die Struk-
tur und Stellung einer Blume ſchon hinlaͤnglich erreicht, oder es iſt
noch etwas beſonderes irgendwo in derſelben vorhanden, welches
bloß zu Erreichung derſelben dienet. Dieſes nenne ich die Saftdecke.

So wie ſich die Weisheit eines Menſchen in ihrem ſtaͤrkſten
Licht zeiget, wenn er zwey Abſichten zugleich zu erreichen weiß,
deren eine die Erreichung der andern zu verhindern, oder wohl
gar unmoͤglich zu machen ſcheint: eben ſo kann man ſich ſchon
a priori vorſtellen, daß diejenige Veranſtaltung in den Blumen,
durch welche zwey ſich einander aufzuheben ſcheinende Abſichten,
nemlich daß der Zugang zum Saft den Inſekten offen ſtehe, den
Regentropfen aber verſchloſſen ſey, zugleich voͤllig erreicht werden,
die Weisheit des Blumenſchoͤpfers aufs deutlichſte an den Tag
legen muͤſſe, beſonders wenn man bedenkt, daß dieſelbe wegen
der hoͤchſt mannigfaltigen Bildung der Blumen hoͤchſt mannig-
faltig ſeyn muß.

Damit ich vorlaͤufig einige oͤfters vorkommende Mittel anzeige,
welche zu dieſem Endzweck dienen, ſo gehoͤrt dahin vornemlich, daß
die Krone mehrentheils ſehr duͤnne iſt, und folglich, well ſie nur wenig
koͤrperliche Maſſe hat, auch nur wenig Anziehungskraft beſitzt, daß
ihre innere Oberflaͤche, zuweilen auch die aͤußere, mit feinen Haaren,
oder Wolle, oder Puder uͤberzogen iſt, daß, wenn dieſe Oberflaͤche
glatt iſt, die Krone ein ſubtiles Oel auszuſchwitzen ſcheint. In
allen dieſen Faͤllen aͤußern die Theile eines auf die Krone gefallnen
Regentropfens, weil ſie von derſelben wenig angezogen werden,
ihre Anziehungskraft mehr gegen einander ſelbſt, und der Regen-
tropfen bekoͤmmt eine ſphaͤroidiſche Geſtalt, ſo daß die Flaͤche, mit
welcher er die Krone beruͤhrt, kleiner iſt, als diejenige, welche
jener parallel durch ſeinen Mittelpunkt geht. Auf ſolche Art kann
er nicht lange in oder auf der Krone haften, ſondern muß, ſobald
[Spaltenumbruch]

Einleitung.
die Blume vom Winde geſchuͤttelt wird, heraus- oder herabfallen.
Wenn er aber auch ſitzen bleibt, ſo kann er doch nicht bis zum
Saft kommen. Er trifft, indem er hinabfließt, eine Reihe von
Haaren an, welche uͤber dem Safthalter angebracht ſind, und
mehrentheils nach oben zu mit der Oberflaͤche der Krone einen
ſpitzen Winkel machen, folglich ihm ihre Spitzen zukehren, und
ihn vom Safthalter abhalten; oder er geraͤth an einen Anſatz,
vor welchem er ſtehen bleiben muß. Zuweilen beruͤhrt er einige
Antheren. Weil nun dieſe dicker ſind, als die Filamente, ſo zie-
hen ſie ihn auch ſtaͤrker an. Er bleibt alſo zwiſchen den Antheren
und der Krone ſitzen, und kann nicht zu dem Safttroͤpfchen, wel-
ches unten an den Filamenten ſitzt, gelangen. Oft ſind die Fi-
lamente oben dicker) als unten. Faͤllt alſo ein Regentropfen auf
den oberſten Theil derſelben, ſo bleibt er aus gleicher Urſache hier
ſitzen. Eine aͤhnliche Erſcheinung kann man nach einem Regen
an den Nadeln der Kiefer bemerken. Beſiehet man ſolche Na-
deln, welche ihre Spitze der Erde zukehren, ſo findet man einen
Regentropfen nicht unten an der Spitze, ſondern etwas uͤber der-
ſelben. Denn wenn ein Regentropfen auf eine ſolche Nadel ge-
fallen iſt, ſo muß er wegen ſeiner Schwere an derſelben hinab-
fließen, und die Nadel kann dieſes nicht verhindern, weil ſie nach
ihrer ganzen Laͤnge gleich dicke iſt. Iſt er aber bis dahin hinab-
gefloſſen, wo die Nadel anfaͤngt ſich in eine kegelfoͤrmige Spitze
zu endigen, ſo muß er hier ſtehen bleiben, weil er von dieſem
Theil der Nadel ſtaͤrker angezogen wird, als von ihrer Spitze.
Viele roͤhrenfoͤrmige Blumen haben eine ziemlich weite Oeffnung.
Weil aber dieſelbe durch fuͤnf oder mehr Filamente in eben ſo viel
kleinere Oeffnungen getheilet wird, ſo kann kein Regentropfen durch
dieſelben in die Roͤhre hineinfließen. Oder es ſitzen an der Oeff-
nung fuͤnf oder mehr Antheren, welche den Raum derſelben bey-
nahe ausfuͤllen. Auch hier kann kein Regentropfen hineindrin-
gen. In beyden Faͤllen aber koͤnnen kleinere Inſekten leicht hinein-
kriechen, und groͤßere ihren Saugeruͤſſel hineinſtecken. Oft hat
ſich die Natur, um dieſen doppelten Endzweck zu erreichen, der
Elaſticitaͤt bedient. Sie hat gewiſſe Deckel angebracht, welche
von einem Inſekt leicht in die Hoͤhe gehoben, oder herabgedruͤckt
werden koͤnnen, damit es zum Saft gelange, welche aber wenn
das Inſekt ſich wieder zuruͤckbegiebt, wieder zufallen, damit kein
Regentropfen hindurchdringen koͤnne. Die Elaſticitaͤt findet nun
freylich bey den Blumen nicht in dem Grade Statt, in welchem
ſie einige Samenbehaͤltniſſe beſitzen. Dieſes iſt theils nicht moͤg-
lich, da eine Blume von viel weicherer Subſtanz iſt, als ein Sa-
menbehaͤltniß, theils auch nicht noͤthig, da es hier nur darauf
angeſehen iſt, daß ein von einem Inſekt aufgehobener Deckel wie-
der zufalle, keinesweges aber, daß gewiſſe Koͤrper weit fortgewor-

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[[18]/0018] Einleitung. Einleitung. den Blumen einen koͤſtlichen Saft fuͤr die Inſekten bereitet hat, auch die zweckmaͤßigſten und vortrefflichſten Anſtalten getroffen, damit dieſer Saft vor aller Verderbung durch den Regen geſichert ſey. Daß auch die erſte angefuͤhrte Abſicht hiebey Statt finde, daß nemlich der Saft nicht verduͤnſte, glaube ich nicht. Der Verfaſſer der oben angefuͤhrten Diſſertation behauptet dieſes von der Campanula und einigen andern Gattungen. So wie ich, wenigſtens was die Campanula betrifft, an ſeinem Ort beweiſen werde, daß er ſich geirret hat: ſo findet theils bey dieſen Gattun- gen die zweyte Abſicht unfehlbar Statt, theils aber giebt es viele Gattungen, bey welchen man an die erſte Abſicht ſchlechterdings nicht denken kann. Denn der Saft derſelben iſt der Luft ganz ausgeſetzt, ſo daß, wofern er anders ausduͤnſtet, dieſes durch nichts verhindert wird, zugleich aber gegen die Vermiſchung mit einem Regentropfen, ſollte derſelbe ſich auch ganz nahe befinden, voͤllig geſichert. Dieſe Abſicht wird nun entweder durch die Struk- tur und Stellung einer Blume ſchon hinlaͤnglich erreicht, oder es iſt noch etwas beſonderes irgendwo in derſelben vorhanden, welches bloß zu Erreichung derſelben dienet. Dieſes nenne ich die Saftdecke. So wie ſich die Weisheit eines Menſchen in ihrem ſtaͤrkſten Licht zeiget, wenn er zwey Abſichten zugleich zu erreichen weiß, deren eine die Erreichung der andern zu verhindern, oder wohl gar unmoͤglich zu machen ſcheint: eben ſo kann man ſich ſchon a priori vorſtellen, daß diejenige Veranſtaltung in den Blumen, durch welche zwey ſich einander aufzuheben ſcheinende Abſichten, nemlich daß der Zugang zum Saft den Inſekten offen ſtehe, den Regentropfen aber verſchloſſen ſey, zugleich voͤllig erreicht werden, die Weisheit des Blumenſchoͤpfers aufs deutlichſte an den Tag legen muͤſſe, beſonders wenn man bedenkt, daß dieſelbe wegen der hoͤchſt mannigfaltigen Bildung der Blumen hoͤchſt mannig- faltig ſeyn muß. Damit ich vorlaͤufig einige oͤfters vorkommende Mittel anzeige, welche zu dieſem Endzweck dienen, ſo gehoͤrt dahin vornemlich, daß die Krone mehrentheils ſehr duͤnne iſt, und folglich, well ſie nur wenig koͤrperliche Maſſe hat, auch nur wenig Anziehungskraft beſitzt, daß ihre innere Oberflaͤche, zuweilen auch die aͤußere, mit feinen Haaren, oder Wolle, oder Puder uͤberzogen iſt, daß, wenn dieſe Oberflaͤche glatt iſt, die Krone ein ſubtiles Oel auszuſchwitzen ſcheint. In allen dieſen Faͤllen aͤußern die Theile eines auf die Krone gefallnen Regentropfens, weil ſie von derſelben wenig angezogen werden, ihre Anziehungskraft mehr gegen einander ſelbſt, und der Regen- tropfen bekoͤmmt eine ſphaͤroidiſche Geſtalt, ſo daß die Flaͤche, mit welcher er die Krone beruͤhrt, kleiner iſt, als diejenige, welche jener parallel durch ſeinen Mittelpunkt geht. Auf ſolche Art kann er nicht lange in oder auf der Krone haften, ſondern muß, ſobald die Blume vom Winde geſchuͤttelt wird, heraus- oder herabfallen. Wenn er aber auch ſitzen bleibt, ſo kann er doch nicht bis zum Saft kommen. Er trifft, indem er hinabfließt, eine Reihe von Haaren an, welche uͤber dem Safthalter angebracht ſind, und mehrentheils nach oben zu mit der Oberflaͤche der Krone einen ſpitzen Winkel machen, folglich ihm ihre Spitzen zukehren, und ihn vom Safthalter abhalten; oder er geraͤth an einen Anſatz, vor welchem er ſtehen bleiben muß. Zuweilen beruͤhrt er einige Antheren. Weil nun dieſe dicker ſind, als die Filamente, ſo zie- hen ſie ihn auch ſtaͤrker an. Er bleibt alſo zwiſchen den Antheren und der Krone ſitzen, und kann nicht zu dem Safttroͤpfchen, wel- ches unten an den Filamenten ſitzt, gelangen. Oft ſind die Fi- lamente oben dicker) als unten. Faͤllt alſo ein Regentropfen auf den oberſten Theil derſelben, ſo bleibt er aus gleicher Urſache hier ſitzen. Eine aͤhnliche Erſcheinung kann man nach einem Regen an den Nadeln der Kiefer bemerken. Beſiehet man ſolche Na- deln, welche ihre Spitze der Erde zukehren, ſo findet man einen Regentropfen nicht unten an der Spitze, ſondern etwas uͤber der- ſelben. Denn wenn ein Regentropfen auf eine ſolche Nadel ge- fallen iſt, ſo muß er wegen ſeiner Schwere an derſelben hinab- fließen, und die Nadel kann dieſes nicht verhindern, weil ſie nach ihrer ganzen Laͤnge gleich dicke iſt. Iſt er aber bis dahin hinab- gefloſſen, wo die Nadel anfaͤngt ſich in eine kegelfoͤrmige Spitze zu endigen, ſo muß er hier ſtehen bleiben, weil er von dieſem Theil der Nadel ſtaͤrker angezogen wird, als von ihrer Spitze. Viele roͤhrenfoͤrmige Blumen haben eine ziemlich weite Oeffnung. Weil aber dieſelbe durch fuͤnf oder mehr Filamente in eben ſo viel kleinere Oeffnungen getheilet wird, ſo kann kein Regentropfen durch dieſelben in die Roͤhre hineinfließen. Oder es ſitzen an der Oeff- nung fuͤnf oder mehr Antheren, welche den Raum derſelben bey- nahe ausfuͤllen. Auch hier kann kein Regentropfen hineindrin- gen. In beyden Faͤllen aber koͤnnen kleinere Inſekten leicht hinein- kriechen, und groͤßere ihren Saugeruͤſſel hineinſtecken. Oft hat ſich die Natur, um dieſen doppelten Endzweck zu erreichen, der Elaſticitaͤt bedient. Sie hat gewiſſe Deckel angebracht, welche von einem Inſekt leicht in die Hoͤhe gehoben, oder herabgedruͤckt werden koͤnnen, damit es zum Saft gelange, welche aber wenn das Inſekt ſich wieder zuruͤckbegiebt, wieder zufallen, damit kein Regentropfen hindurchdringen koͤnne. Die Elaſticitaͤt findet nun freylich bey den Blumen nicht in dem Grade Statt, in welchem ſie einige Samenbehaͤltniſſe beſitzen. Dieſes iſt theils nicht moͤg- lich, da eine Blume von viel weicherer Subſtanz iſt, als ein Sa- menbehaͤltniß, theils auch nicht noͤthig, da es hier nur darauf angeſehen iſt, daß ein von einem Inſekt aufgehobener Deckel wie- der zufalle, keinesweges aber, daß gewiſſe Koͤrper weit fortgewor-

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Zitationshilfe: Sprengel, Christian Konrad: Das entdeckte Geheimniss der Natur im Bau und in der Befruchtung der Blumen. Berlin, 1793, S. [18]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/sprengel_blumen_1793/18>, abgerufen am 21.11.2024.