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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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Dete that, wie ihr geheißen war, und der Bediente des
Hauses kam die Treppe herunter mit großen, runden
Knöpfen auf seinem Aufwärterrock und fast ebenso großen,
runden Augen im Kopf.

"Ich wollte fragen, ob ich um diese Zeit Fräulein
Rottenmeier noch stören dürfe", brachte die Dete wieder an.

"Das ist nicht meine Sache", gab der Bediente zurück;
"klingeln Sie die Jungfer Tinette herunter an der andern
Klingel", und ohne weitere Auskunft verschwand der Se¬
bastian.

Dete klingelte wieder. Jetzt erschien auf der Treppe
die Jungfer Tinette mit einem blendend weißen Deckelchen
auf der Mitte des Kopfes und einer spöttischen Miene auf
dem Gesicht.

"Was ist?" fragte sie auf der Treppe, ohne herunter¬
zukommen. Dete wiederholte ihr Gesuch. Jungfer Tinette
verschwand, kam aber bald wieder und rief von der Treppe
herunter: "Sie sind erwartet."

Jetzt stieg Dete mit Heidi die Treppe hinauf und trat,
der Jungfer Tinette folgend, in das Studierzimmer ein.
Hier blieb Dete höflich an der Thüre stehn, Heidi immer
fest an der Hand haltend, denn sie war gar nicht sicher,
was mit dem Kinde etwa begegnen konnte auf diesem ihm
so fremden Boden.

Fräulein Rottenmeier erhob sich langsam von ihrem
Sitz und kam näher, um die angekommene Gespielin der

Dete that, wie ihr geheißen war, und der Bediente des
Hauſes kam die Treppe herunter mit großen, runden
Knöpfen auf ſeinem Aufwärterrock und faſt ebenſo großen,
runden Augen im Kopf.

„Ich wollte fragen, ob ich um dieſe Zeit Fräulein
Rottenmeier noch ſtören dürfe“, brachte die Dete wieder an.

„Das iſt nicht meine Sache“, gab der Bediente zurück;
„klingeln Sie die Jungfer Tinette herunter an der andern
Klingel“, und ohne weitere Auskunft verſchwand der Se¬
baſtian.

Dete klingelte wieder. Jetzt erſchien auf der Treppe
die Jungfer Tinette mit einem blendend weißen Deckelchen
auf der Mitte des Kopfes und einer ſpöttiſchen Miene auf
dem Geſicht.

„Was iſt?“ fragte ſie auf der Treppe, ohne herunter¬
zukommen. Dete wiederholte ihr Geſuch. Jungfer Tinette
verſchwand, kam aber bald wieder und rief von der Treppe
herunter: „Sie ſind erwartet.“

Jetzt ſtieg Dete mit Heidi die Treppe hinauf und trat,
der Jungfer Tinette folgend, in das Studierzimmer ein.
Hier blieb Dete höflich an der Thüre ſtehn, Heidi immer
feſt an der Hand haltend, denn ſie war gar nicht ſicher,
was mit dem Kinde etwa begegnen konnte auf dieſem ihm
ſo fremden Boden.

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[91/0101] Dete that, wie ihr geheißen war, und der Bediente des Hauſes kam die Treppe herunter mit großen, runden Knöpfen auf ſeinem Aufwärterrock und faſt ebenſo großen, runden Augen im Kopf. „Ich wollte fragen, ob ich um dieſe Zeit Fräulein Rottenmeier noch ſtören dürfe“, brachte die Dete wieder an. „Das iſt nicht meine Sache“, gab der Bediente zurück; „klingeln Sie die Jungfer Tinette herunter an der andern Klingel“, und ohne weitere Auskunft verſchwand der Se¬ baſtian. Dete klingelte wieder. Jetzt erſchien auf der Treppe die Jungfer Tinette mit einem blendend weißen Deckelchen auf der Mitte des Kopfes und einer ſpöttiſchen Miene auf dem Geſicht. „Was iſt?“ fragte ſie auf der Treppe, ohne herunter¬ zukommen. Dete wiederholte ihr Geſuch. Jungfer Tinette verſchwand, kam aber bald wieder und rief von der Treppe herunter: „Sie ſind erwartet.“ Jetzt ſtieg Dete mit Heidi die Treppe hinauf und trat, der Jungfer Tinette folgend, in das Studierzimmer ein. Hier blieb Dete höflich an der Thüre ſtehn, Heidi immer feſt an der Hand haltend, denn ſie war gar nicht ſicher, was mit dem Kinde etwa begegnen konnte auf dieſem ihm ſo fremden Boden. Fräulein Rottenmeier erhob ſich langſam von ihrem Sitz und kam näher, um die angekommene Geſpielin der

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/101>, abgerufen am 23.11.2024.