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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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ABC anfangen müsse, sondern daß auch sie auf jedem
Punkte der menschlichen Erziehung mit dem Uranfang zu
beginnen hätte. Aus dieser unheilvollen Lage sehe sie nur
Ein Rettungsmittel, wenn der Herr Candidat erklären
werde, zwei so verschiedene Wesen könnten nicht mit einander
unterrichtet werden, ohne großen Schaden des vorgerückteren
Theiles; das wäre für Herrn Sesemann ein triftiger Grund,
die Sache rückgängig zu machen, und so würde er zugeben,
daß das Kind gleich wieder dahin zurückgeschickt würde, woher
es gekommen war; ohne seine Zustimmung aber dürfte sie das
nicht unternehmen, nun der Hausherr wisse, daß das Kind an¬
gekommen sei. Aber der Herr Candidat war behutsam und
niemals einseitig im Urtheilen. Er tröstete Fräulein Rotten¬
meier mit vielen Worten und der Ansicht, wenn die junge
Tochter auf der einen Seite so sehr zurück sei, so möchte sie
auf der andern um so geförderter sein, was bei einem ge¬
regelten Unterricht bald in's Gleichgewicht kommen werde.
Als Fräulein Rottenmeier sah, daß der Herr Candidat sie
nicht unterstützen, sondern seinen ABC-Unterricht übernehmen
wollte, machte sie ihm die Thüre zum Studierzimmer auf,
und nachdem er hineingetreten war, schloß sie schnell hinter
ihm zu und blieb auf der andern Seite, denn vor dem
ABC hatte sie einen Schrecken. Sie ging jetzt mit großen
Schritten im Zimmer auf und nieder, denn sie hatte zu
überlegen, wie die Dienstboten Adelheid zu benennen hätten.
Herr Sesemann hatte ja geschrieben, sie müßte wie seine

ABC anfangen müſſe, ſondern daß auch ſie auf jedem
Punkte der menſchlichen Erziehung mit dem Uranfang zu
beginnen hätte. Aus dieſer unheilvollen Lage ſehe ſie nur
Ein Rettungsmittel, wenn der Herr Candidat erklären
werde, zwei ſo verſchiedene Weſen könnten nicht mit einander
unterrichtet werden, ohne großen Schaden des vorgerückteren
Theiles; das wäre für Herrn Seſemann ein triftiger Grund,
die Sache rückgängig zu machen, und ſo würde er zugeben,
daß das Kind gleich wieder dahin zurückgeſchickt würde, woher
es gekommen war; ohne ſeine Zuſtimmung aber dürfte ſie das
nicht unternehmen, nun der Hausherr wiſſe, daß das Kind an¬
gekommen ſei. Aber der Herr Candidat war behutſam und
niemals einſeitig im Urtheilen. Er tröſtete Fräulein Rotten¬
meier mit vielen Worten und der Anſicht, wenn die junge
Tochter auf der einen Seite ſo ſehr zurück ſei, ſo möchte ſie
auf der andern um ſo geförderter ſein, was bei einem ge¬
regelten Unterricht bald in's Gleichgewicht kommen werde.
Als Fräulein Rottenmeier ſah, daß der Herr Candidat ſie
nicht unterſtützen, ſondern ſeinen ABC-Unterricht übernehmen
wollte, machte ſie ihm die Thüre zum Studierzimmer auf,
und nachdem er hineingetreten war, ſchloß ſie ſchnell hinter
ihm zu und blieb auf der andern Seite, denn vor dem
ABC hatte ſie einen Schrecken. Sie ging jetzt mit großen
Schritten im Zimmer auf und nieder, denn ſie hatte zu
überlegen, wie die Dienſtboten Adelheid zu benennen hätten.
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[107/0117] ABC anfangen müſſe, ſondern daß auch ſie auf jedem Punkte der menſchlichen Erziehung mit dem Uranfang zu beginnen hätte. Aus dieſer unheilvollen Lage ſehe ſie nur Ein Rettungsmittel, wenn der Herr Candidat erklären werde, zwei ſo verſchiedene Weſen könnten nicht mit einander unterrichtet werden, ohne großen Schaden des vorgerückteren Theiles; das wäre für Herrn Seſemann ein triftiger Grund, die Sache rückgängig zu machen, und ſo würde er zugeben, daß das Kind gleich wieder dahin zurückgeſchickt würde, woher es gekommen war; ohne ſeine Zuſtimmung aber dürfte ſie das nicht unternehmen, nun der Hausherr wiſſe, daß das Kind an¬ gekommen ſei. Aber der Herr Candidat war behutſam und niemals einſeitig im Urtheilen. Er tröſtete Fräulein Rotten¬ meier mit vielen Worten und der Anſicht, wenn die junge Tochter auf der einen Seite ſo ſehr zurück ſei, ſo möchte ſie auf der andern um ſo geförderter ſein, was bei einem ge¬ regelten Unterricht bald in's Gleichgewicht kommen werde. Als Fräulein Rottenmeier ſah, daß der Herr Candidat ſie nicht unterſtützen, ſondern ſeinen ABC-Unterricht übernehmen wollte, machte ſie ihm die Thüre zum Studierzimmer auf, und nachdem er hineingetreten war, ſchloß ſie ſchnell hinter ihm zu und blieb auf der andern Seite, denn vor dem ABC hatte ſie einen Schrecken. Sie ging jetzt mit großen Schritten im Zimmer auf und nieder, denn ſie hatte zu überlegen, wie die Dienſtboten Adelheid zu benennen hätten. Herr Seſemann hatte ja geſchrieben, ſie müßte wie ſeine

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/117>, abgerufen am 25.11.2024.