Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.Fräulein Rottenmeier führte ihn nicht, wie gewöhnlich, in's Sie hatte nämlich vor einiger Zeit Herrn Sesemann Fräulein Rottenmeier führte ihn nicht, wie gewöhnlich, in's Sie hatte nämlich vor einiger Zeit Herrn Seſemann <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0116" n="106"/> Fräulein Rottenmeier führte ihn nicht, wie gewöhnlich, in's<lb/> Studierzimmer, denn ſie mußte ſich erſt ausſprechen und<lb/> geleitete ihn zu dieſem Zweck in's Eßzimmer, wo ſie ſich<lb/> vor ihn hinſetzte und ihm in großer Aufregung ihre be¬<lb/> drängte Lage ſchilderte und wie ſie in dieſe hineingekommen<lb/> war.</p><lb/> <p>Sie hatte nämlich vor einiger Zeit Herrn Seſemann<lb/> nach Paris geſchrieben, wo er eben verweilte, ſeine Tochter<lb/> habe längſt gewünſcht, es möchte eine Geſpielin für ſie in's<lb/> Haus aufgenommen werden, und auch ſie ſelbſt glaube, daß<lb/> eine ſolche in den Unterrichtsſtunden ein Sporn, in der<lb/> übrigen Zeit eine anregende Geſellſchaft für Klara ſein<lb/> würde. Eigentlich war die Sache für Fräulein Rottenmeier<lb/> ſelbſt ſehr wünſchbar, denn ſie wollte gern, daß Jemand da<lb/> ſei, der ihr die Unterhaltung der kranken Klara abnehme,<lb/> wenn es ihr zu viel war, was öfters geſchah. Herr Seſe¬<lb/> mann hatte geantwortet, er erfülle gern den Wunſch ſeiner<lb/> Tochter, doch mit der Bedingung, daß eine ſolche Geſpielin<lb/> in Allem ganz gehalten werde wie jene, er wolle keine<lb/> Kinderquälerei in ſeinem Hauſe, was freilich eine ſehr un¬<lb/> nütze Bemerkung von dem Herrn war, ſetzte Fräulein Rotten¬<lb/> meier hinzu, denn wer wollte Kinder quälen! Nun aber<lb/> erzählte ſie weiter, wie ganz erſchrecklich ſie hineingefallen ſei<lb/> mit dem Kinde, und führte alle Beiſpiele von ſeinem völlig be¬<lb/> griffsloſen Daſein an, die es bis jetzt geliefert hatte, daß nicht<lb/> nur der Unterricht des Herrn Candidaten buchſtäblich beim<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [106/0116]
Fräulein Rottenmeier führte ihn nicht, wie gewöhnlich, in's
Studierzimmer, denn ſie mußte ſich erſt ausſprechen und
geleitete ihn zu dieſem Zweck in's Eßzimmer, wo ſie ſich
vor ihn hinſetzte und ihm in großer Aufregung ihre be¬
drängte Lage ſchilderte und wie ſie in dieſe hineingekommen
war.
Sie hatte nämlich vor einiger Zeit Herrn Seſemann
nach Paris geſchrieben, wo er eben verweilte, ſeine Tochter
habe längſt gewünſcht, es möchte eine Geſpielin für ſie in's
Haus aufgenommen werden, und auch ſie ſelbſt glaube, daß
eine ſolche in den Unterrichtsſtunden ein Sporn, in der
übrigen Zeit eine anregende Geſellſchaft für Klara ſein
würde. Eigentlich war die Sache für Fräulein Rottenmeier
ſelbſt ſehr wünſchbar, denn ſie wollte gern, daß Jemand da
ſei, der ihr die Unterhaltung der kranken Klara abnehme,
wenn es ihr zu viel war, was öfters geſchah. Herr Seſe¬
mann hatte geantwortet, er erfülle gern den Wunſch ſeiner
Tochter, doch mit der Bedingung, daß eine ſolche Geſpielin
in Allem ganz gehalten werde wie jene, er wolle keine
Kinderquälerei in ſeinem Hauſe, was freilich eine ſehr un¬
nütze Bemerkung von dem Herrn war, ſetzte Fräulein Rotten¬
meier hinzu, denn wer wollte Kinder quälen! Nun aber
erzählte ſie weiter, wie ganz erſchrecklich ſie hineingefallen ſei
mit dem Kinde, und führte alle Beiſpiele von ſeinem völlig be¬
griffsloſen Daſein an, die es bis jetzt geliefert hatte, daß nicht
nur der Unterricht des Herrn Candidaten buchſtäblich beim
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