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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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gebracht durch eingeschleppte Thiere, und was halten Sie
überhaupt von diesem Umgang für mein Töchterchen?"

"Ich möchte dem jungen Mädchen in keiner Art zu
nahe treten", begann der Herr Candidat wieder, "denn
wenn es auch auf der einen Seite in einer Art von gesell¬
schaftlicher Unerfahrenheit, welche mit dem mehr oder we¬
niger uncultivirten Leben, in welchem das junge Mädchen
bis zu dem Augenblick seiner Versetzung nach Frankfurt sich
bewegte, welche Versetzung allerdings in die Entwicklung
dieses, ich möchte sagen noch völlig, wenigstens theilweise
unentwickelten, aber anderseits mit nicht zu verachtenden
Anlagen begabten und wenn allseitig umsichtig geleitet --"

"Entschuldigen Sie, Herr Candidat, bitte, lassen Sie
sich nicht stören, ich werde -- ich muß schnell einmal nach
meiner Tochter sehen." Damit lief Herr Sesemann zur
Thür hinaus und kam nicht wieder. Drüben im Studier¬
zimmer setzte er sich zu seinem Töchterchen hin; Heidi war
aufgestanden. Herr Sesemann wandte sich nach dem Kinde
um: "Hör' 'mal, Kleine, hol' mir doch schnell -- wart'
einmal -- hol' mir mal --" (Herr Sesemann wußte nicht
recht, was er bedurfte, Heidi sollte aber ein wenig ausge¬
schickt werden) -- "hol' mir doch 'mal ein Glas Wasser."

"Frisches?" fragte Heidi.

"Ja wohl! Ja wohl! Recht frisches!" gab Herr Sese¬
mann zurück. Heidi verschwand.

"Nun, mein liebes Klärchen", sagte der Papa, indem

Kleine Geschichten. III. 10

gebracht durch eingeſchleppte Thiere, und was halten Sie
überhaupt von dieſem Umgang für mein Töchterchen?“

„Ich möchte dem jungen Mädchen in keiner Art zu
nahe treten“, begann der Herr Candidat wieder, „denn
wenn es auch auf der einen Seite in einer Art von geſell¬
ſchaftlicher Unerfahrenheit, welche mit dem mehr oder we¬
niger uncultivirten Leben, in welchem das junge Mädchen
bis zu dem Augenblick ſeiner Verſetzung nach Frankfurt ſich
bewegte, welche Verſetzung allerdings in die Entwicklung
dieſes, ich möchte ſagen noch völlig, wenigſtens theilweiſe
unentwickelten, aber anderſeits mit nicht zu verachtenden
Anlagen begabten und wenn allſeitig umſichtig geleitet —“

„Entſchuldigen Sie, Herr Candidat, bitte, laſſen Sie
ſich nicht ſtören, ich werde — ich muß ſchnell einmal nach
meiner Tochter ſehen.“ Damit lief Herr Seſemann zur
Thür hinaus und kam nicht wieder. Drüben im Studier¬
zimmer ſetzte er ſich zu ſeinem Töchterchen hin; Heidi war
aufgeſtanden. Herr Seſemann wandte ſich nach dem Kinde
um: „Hör' 'mal, Kleine, hol' mir doch ſchnell — wart'
einmal — hol' mir mal —“ (Herr Seſemann wußte nicht
recht, was er bedurfte, Heidi ſollte aber ein wenig ausge¬
ſchickt werden) — „hol' mir doch 'mal ein Glas Waſſer.“

„Friſches?“ fragte Heidi.

„Ja wohl! Ja wohl! Recht friſches!“ gab Herr Seſe¬
mann zurück. Heidi verſchwand.

„Nun, mein liebes Klärchen“, ſagte der Papa, indem

Kleine Geſchichten. III. 10
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[145/0155] gebracht durch eingeſchleppte Thiere, und was halten Sie überhaupt von dieſem Umgang für mein Töchterchen?“ „Ich möchte dem jungen Mädchen in keiner Art zu nahe treten“, begann der Herr Candidat wieder, „denn wenn es auch auf der einen Seite in einer Art von geſell¬ ſchaftlicher Unerfahrenheit, welche mit dem mehr oder we¬ niger uncultivirten Leben, in welchem das junge Mädchen bis zu dem Augenblick ſeiner Verſetzung nach Frankfurt ſich bewegte, welche Verſetzung allerdings in die Entwicklung dieſes, ich möchte ſagen noch völlig, wenigſtens theilweiſe unentwickelten, aber anderſeits mit nicht zu verachtenden Anlagen begabten und wenn allſeitig umſichtig geleitet —“ „Entſchuldigen Sie, Herr Candidat, bitte, laſſen Sie ſich nicht ſtören, ich werde — ich muß ſchnell einmal nach meiner Tochter ſehen.“ Damit lief Herr Seſemann zur Thür hinaus und kam nicht wieder. Drüben im Studier¬ zimmer ſetzte er ſich zu ſeinem Töchterchen hin; Heidi war aufgeſtanden. Herr Seſemann wandte ſich nach dem Kinde um: „Hör' 'mal, Kleine, hol' mir doch ſchnell — wart' einmal — hol' mir mal —“ (Herr Seſemann wußte nicht recht, was er bedurfte, Heidi ſollte aber ein wenig ausge¬ ſchickt werden) — „hol' mir doch 'mal ein Glas Waſſer.“ „Friſches?“ fragte Heidi. „Ja wohl! Ja wohl! Recht friſches!“ gab Herr Seſe¬ mann zurück. Heidi verſchwand. „Nun, mein liebes Klärchen“, ſagte der Papa, indem Kleine Geſchichten. III. 10

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/155>, abgerufen am 23.11.2024.