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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

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"Frau Sesemann wird unstreitig billigen", fiel hier die
eben Eingetretene ein, "daß ich einen Namen wählen mußte,
den man doch aussprechen kann, ohne sich selbst geniren
zu müssen, schon um der Dienstboten willen."

"Wertheste Rottenmeier", entgegnete Frau Sesemann,
"wenn ein Mensch einmal Heidi heißt und an den Namen
gewöhnt ist, so nenn' ich ihn so, und dabei bleibt's!"

Es war Fräulein Rottenmeier sehr genierlich, daß die
alte Dame sie beständig nur bei ihrem Namen nannte, ohne
weitere Titulatur; aber da war Nichts zu machen; die
Großmama hatte einmal ihre eigenen Wege, und diese ging
sie, da half kein Mittel dagegen. Auch ihre fünf Sinne
hatte die Großmama noch ganz scharf und gesund und sie
bemerkte, was im Hause vorging, sobald sie es betreten
hatte.

Als am Tage nach ihrer Ankunft Klara sich zur ge¬
wohnten Zeit nach Tisch niederlegte, setzte die Großmama
sich neben sie auf einen Lehnstuhl und schloß ihre Augen
für einige Minuten, dann stand sie schon wieder auf, denn
sie war gleich wieder munter und trat in's Eßzimmer
hinaus; da war Niemand. "Die schläft", sagte sie vor
sich hin, ging dann nach dem Zimmer der Dame Rotten¬
meier und klopfte kräftig an die Thüre. Nach einiger Zeit
erschien diese und fuhr erschrocken ein wenig zurück bei dem
unerwarteten Besuch.

"Wo hält sich das Kind auf um diese Zeit, und

„Frau Seſemann wird unſtreitig billigen“, fiel hier die
eben Eingetretene ein, „daß ich einen Namen wählen mußte,
den man doch ausſprechen kann, ohne ſich ſelbſt geniren
zu müſſen, ſchon um der Dienſtboten willen.“

„Wertheſte Rottenmeier“, entgegnete Frau Seſemann,
„wenn ein Menſch einmal Heidi heißt und an den Namen
gewöhnt iſt, ſo nenn' ich ihn ſo, und dabei bleibt's!“

Es war Fräulein Rottenmeier ſehr genierlich, daß die
alte Dame ſie beſtändig nur bei ihrem Namen nannte, ohne
weitere Titulatur; aber da war Nichts zu machen; die
Großmama hatte einmal ihre eigenen Wege, und dieſe ging
ſie, da half kein Mittel dagegen. Auch ihre fünf Sinne
hatte die Großmama noch ganz ſcharf und geſund und ſie
bemerkte, was im Hauſe vorging, ſobald ſie es betreten
hatte.

Als am Tage nach ihrer Ankunft Klara ſich zur ge¬
wohnten Zeit nach Tiſch niederlegte, ſetzte die Großmama
ſich neben ſie auf einen Lehnſtuhl und ſchloß ihre Augen
für einige Minuten, dann ſtand ſie ſchon wieder auf, denn
ſie war gleich wieder munter und trat in's Eßzimmer
hinaus; da war Niemand. „Die ſchläft“, ſagte ſie vor
ſich hin, ging dann nach dem Zimmer der Dame Rotten¬
meier und klopfte kräftig an die Thüre. Nach einiger Zeit
erſchien dieſe und fuhr erſchrocken ein wenig zurück bei dem
unerwarteten Beſuch.

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[153/0163] „Frau Seſemann wird unſtreitig billigen“, fiel hier die eben Eingetretene ein, „daß ich einen Namen wählen mußte, den man doch ausſprechen kann, ohne ſich ſelbſt geniren zu müſſen, ſchon um der Dienſtboten willen.“ „Wertheſte Rottenmeier“, entgegnete Frau Seſemann, „wenn ein Menſch einmal Heidi heißt und an den Namen gewöhnt iſt, ſo nenn' ich ihn ſo, und dabei bleibt's!“ Es war Fräulein Rottenmeier ſehr genierlich, daß die alte Dame ſie beſtändig nur bei ihrem Namen nannte, ohne weitere Titulatur; aber da war Nichts zu machen; die Großmama hatte einmal ihre eigenen Wege, und dieſe ging ſie, da half kein Mittel dagegen. Auch ihre fünf Sinne hatte die Großmama noch ganz ſcharf und geſund und ſie bemerkte, was im Hauſe vorging, ſobald ſie es betreten hatte. Als am Tage nach ihrer Ankunft Klara ſich zur ge¬ wohnten Zeit nach Tiſch niederlegte, ſetzte die Großmama ſich neben ſie auf einen Lehnſtuhl und ſchloß ihre Augen für einige Minuten, dann ſtand ſie ſchon wieder auf, denn ſie war gleich wieder munter und trat in's Eßzimmer hinaus; da war Niemand. „Die ſchläft“, ſagte ſie vor ſich hin, ging dann nach dem Zimmer der Dame Rotten¬ meier und klopfte kräftig an die Thüre. Nach einiger Zeit erſchien dieſe und fuhr erſchrocken ein wenig zurück bei dem unerwarteten Beſuch. „Wo hält ſich das Kind auf um dieſe Zeit, und

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Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/163>, abgerufen am 23.11.2024.