was thut es? das wollte ich wissen", sagte Frau Sese¬ mann.
"In seinem Zimmer sitzt es, wo es sich nützlich be¬ schäftigen könnte, wenn es den leisesten Thätigkeitstrieb hätte; aber Frau Sesemann sollte nur wissen, was für verkehrtes Zeug sich dieses Wesen oft ausdenkt und wirklich ausführt, Dinge, die ich in gebildeter Gesellschaft kaum erzählen könnte."
"Das würde ich gerade auch thun, wenn ich so da drinnen säße, wie dieses Kind, das kann ich Ihnen sagen, und Sie könnten zusehen, wie Sie mein Zeug in gebildeter Gesellschaft erzählen wollten! Jetzt holen Sie mir das Kind heraus und bringen Sie mir's in meine Stube, daß ich ihm einige hübsche Bücher gebe, die ich mitgebracht habe."
"Das ist ja gerade das Unglück, das ist es ja eben", rief Fräulein Rottenmeier aus und schlug die Hände zu¬ sammen. "Was sollte das Kind mit Büchern thun? In all dieser Zeit hat es noch nicht einmal das ABC erlernt, es ist völlig unmöglich, diesem Wesen auch nur Einen Be¬ griff beizubringen; davon kann der Herr Candidat reden! Wenn dieser treffliche Mensch nicht die Geduld eines himm¬ lischen Engels besäße, er hätte diesen Unterricht längst auf¬ gegeben."
"So, das ist merkwürdig, das Kind sieht nicht aus wie Eines, das das ABC nicht erlernen kann", sagte Frau
was thut es? das wollte ich wiſſen“, ſagte Frau Seſe¬ mann.
„In ſeinem Zimmer ſitzt es, wo es ſich nützlich be¬ ſchäftigen könnte, wenn es den leiſeſten Thätigkeitstrieb hätte; aber Frau Seſemann ſollte nur wiſſen, was für verkehrtes Zeug ſich dieſes Weſen oft ausdenkt und wirklich ausführt, Dinge, die ich in gebildeter Geſellſchaft kaum erzählen könnte.“
„Das würde ich gerade auch thun, wenn ich ſo da drinnen ſäße, wie dieſes Kind, das kann ich Ihnen ſagen, und Sie könnten zuſehen, wie Sie mein Zeug in gebildeter Geſellſchaft erzählen wollten! Jetzt holen Sie mir das Kind heraus und bringen Sie mir's in meine Stube, daß ich ihm einige hübſche Bücher gebe, die ich mitgebracht habe.“
„Das iſt ja gerade das Unglück, das iſt es ja eben“, rief Fräulein Rottenmeier aus und ſchlug die Hände zu¬ ſammen. „Was ſollte das Kind mit Büchern thun? In all dieſer Zeit hat es noch nicht einmal das ABC erlernt, es iſt völlig unmöglich, dieſem Weſen auch nur Einen Be¬ griff beizubringen; davon kann der Herr Candidat reden! Wenn dieſer treffliche Menſch nicht die Geduld eines himm¬ liſchen Engels beſäße, er hätte dieſen Unterricht längſt auf¬ gegeben.“
„So, das iſt merkwürdig, das Kind ſieht nicht aus wie Eines, das das ABC nicht erlernen kann“, ſagte Frau
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was thut es? das wollte ich wiſſen“, ſagte Frau Seſe¬
mann.
„In ſeinem Zimmer ſitzt es, wo es ſich nützlich be¬
ſchäftigen könnte, wenn es den leiſeſten Thätigkeitstrieb hätte;
aber Frau Seſemann ſollte nur wiſſen, was für verkehrtes
Zeug ſich dieſes Weſen oft ausdenkt und wirklich ausführt,
Dinge, die ich in gebildeter Geſellſchaft kaum erzählen
könnte.“
„Das würde ich gerade auch thun, wenn ich ſo da
drinnen ſäße, wie dieſes Kind, das kann ich Ihnen ſagen,
und Sie könnten zuſehen, wie Sie mein Zeug in gebildeter
Geſellſchaft erzählen wollten! Jetzt holen Sie mir das
Kind heraus und bringen Sie mir's in meine Stube,
daß ich ihm einige hübſche Bücher gebe, die ich mitgebracht
habe.“
„Das iſt ja gerade das Unglück, das iſt es ja eben“,
rief Fräulein Rottenmeier aus und ſchlug die Hände zu¬
ſammen. „Was ſollte das Kind mit Büchern thun? In
all dieſer Zeit hat es noch nicht einmal das ABC erlernt,
es iſt völlig unmöglich, dieſem Weſen auch nur Einen Be¬
griff beizubringen; davon kann der Herr Candidat reden!
Wenn dieſer treffliche Menſch nicht die Geduld eines himm¬
liſchen Engels beſäße, er hätte dieſen Unterricht längſt auf¬
gegeben.“
„So, das iſt merkwürdig, das Kind ſieht nicht aus
wie Eines, das das ABC nicht erlernen kann“, ſagte Frau
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Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 154. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/164>, abgerufen am 26.06.2024.
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