Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880.

Bild:
<< vorherige Seite

"Wo ist das Kind? Dete, wo hast du das Kind gelassen?"
rief sie immer unwilliger zurück: "Droben beim Alm-Oehi!
Nu, beim Alm-Oehi, Ihr hört's ja!"

Sie wurde aber so maßleidig, weil die Frauen von
allen Seiten ihr zuriefen: "Wie kannst du so etwas thun!"
und: "Das arme Tröpfli!" und: "So ein kleines Hülfloses
da droben lassen!" und dann wieder und wieder: "Das
arme Tröpfli!" Die Dete lief, so schnell sie konnte, weiter
und war froh, als sie Nichts mehr hörte, denn es war ihr
nicht wohl bei der Sache; ihre Mutter hatte ihr beim
Sterben das Kind noch übergeben. Aber sie sagte sich zur
Beruhigung, sie könne dann ja eher wieder etwas für das
Kind thun, wenn sie nun viel Geld verdiene, und so war
sie sehr froh, daß sie bald weit von allen Leuten, die ihr drein¬
redeten, weg- und zu einem schönen Verdienst kommen konnte.


2*

„Wo iſt das Kind? Dete, wo haſt du das Kind gelaſſen?“
rief ſie immer unwilliger zurück: „Droben beim Alm-Oehi!
Nu, beim Alm-Oehi, Ihr hört's ja!“

Sie wurde aber ſo maßleidig, weil die Frauen von
allen Seiten ihr zuriefen: „Wie kannſt du ſo etwas thun!“
und: „Das arme Tröpfli!“ und: „So ein kleines Hülfloſes
da droben laſſen!“ und dann wieder und wieder: „Das
arme Tröpfli!“ Die Dete lief, ſo ſchnell ſie konnte, weiter
und war froh, als ſie Nichts mehr hörte, denn es war ihr
nicht wohl bei der Sache; ihre Mutter hatte ihr beim
Sterben das Kind noch übergeben. Aber ſie ſagte ſich zur
Beruhigung, ſie könne dann ja eher wieder etwas für das
Kind thun, wenn ſie nun viel Geld verdiene, und ſo war
ſie ſehr froh, daß ſie bald weit von allen Leuten, die ihr drein¬
redeten, weg- und zu einem ſchönen Verdienſt kommen konnte.


2*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0029" n="19"/>
&#x201E;Wo i&#x017F;t das Kind? Dete, wo ha&#x017F;t du das Kind gela&#x017F;&#x017F;en?&#x201C;<lb/>
rief &#x017F;ie immer unwilliger zurück: &#x201E;Droben beim Alm-Oehi!<lb/>
Nu, beim Alm-Oehi, Ihr hört's ja!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Sie wurde aber &#x017F;o maßleidig, weil die Frauen von<lb/>
allen Seiten ihr zuriefen: &#x201E;Wie kann&#x017F;t du &#x017F;o etwas thun!&#x201C;<lb/>
und: &#x201E;Das arme Tröpfli!&#x201C; und: &#x201E;So ein kleines Hülflo&#x017F;es<lb/>
da droben la&#x017F;&#x017F;en!&#x201C; und dann wieder und wieder: &#x201E;Das<lb/>
arme Tröpfli!&#x201C; Die Dete lief, &#x017F;o &#x017F;chnell &#x017F;ie konnte, weiter<lb/>
und war froh, als &#x017F;ie Nichts mehr hörte, denn es war ihr<lb/>
nicht wohl bei der Sache; ihre Mutter hatte ihr beim<lb/>
Sterben das Kind noch übergeben. Aber &#x017F;ie &#x017F;agte &#x017F;ich zur<lb/>
Beruhigung, &#x017F;ie könne dann ja eher wieder etwas für das<lb/>
Kind thun, wenn &#x017F;ie nun viel Geld verdiene, und &#x017F;o war<lb/>
&#x017F;ie &#x017F;ehr froh, daß &#x017F;ie bald weit von allen Leuten, die ihr drein¬<lb/>
redeten, weg- und zu einem &#x017F;chönen Verdien&#x017F;t kommen konnte.</p><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/>
        <fw place="bottom" type="sig">2*<lb/></fw>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[19/0029] „Wo iſt das Kind? Dete, wo haſt du das Kind gelaſſen?“ rief ſie immer unwilliger zurück: „Droben beim Alm-Oehi! Nu, beim Alm-Oehi, Ihr hört's ja!“ Sie wurde aber ſo maßleidig, weil die Frauen von allen Seiten ihr zuriefen: „Wie kannſt du ſo etwas thun!“ und: „Das arme Tröpfli!“ und: „So ein kleines Hülfloſes da droben laſſen!“ und dann wieder und wieder: „Das arme Tröpfli!“ Die Dete lief, ſo ſchnell ſie konnte, weiter und war froh, als ſie Nichts mehr hörte, denn es war ihr nicht wohl bei der Sache; ihre Mutter hatte ihr beim Sterben das Kind noch übergeben. Aber ſie ſagte ſich zur Beruhigung, ſie könne dann ja eher wieder etwas für das Kind thun, wenn ſie nun viel Geld verdiene, und ſo war ſie ſehr froh, daß ſie bald weit von allen Leuten, die ihr drein¬ redeten, weg- und zu einem ſchönen Verdienſt kommen konnte. 2*

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/29
Zitationshilfe: Spyri, Johanna: Heidi's Lehr- und Wanderjahre. Gotha, 1880, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/spyri_heidi_1880/29>, abgerufen am 23.11.2024.