Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_098.001 Die Sprache gründet nach Herder in der "Besinnung" pst_098.002 "Der Mensch beweiset Reflexion, wenn die Kraft seiner pst_098.004 wodurch geschahe die Anerkennung? Durch ein pst_098.021 Lasset jenes Lamm, als Bild, sein Auge vorbeigehn: pst_098.027 pst_098.001 Die Sprache gründet nach Herder in der «Besinnung» pst_098.002 «Der Mensch beweiset Reflexion, wenn die Kraft seiner pst_098.004 wodurch geschahe die Anerkennung? Durch ein pst_098.021 Lasset jenes Lamm, als Bild, sein Auge vorbeigehn: pst_098.027 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0102" n="98"/> <lb n="pst_098.001"/> <p> Die Sprache gründet nach Herder in der «Besinnung» <lb n="pst_098.002"/> oder «Reflexion»:</p> <lb n="pst_098.003"/> <p> «Der Mensch beweiset Reflexion, wenn die Kraft seiner <lb n="pst_098.004"/> Seele so frei würket, daß sie aus dem ganzen Ozean <lb n="pst_098.005"/> von Empfindungen, der sie durch alle Sinnen durchrauschet, <lb n="pst_098.006"/> Eine Welle, wenn ich so sagen darf, absondern, <lb n="pst_098.007"/> sie anhalten, die Aufmerksamkeit auf sie richten, <lb n="pst_098.008"/> und sich bewußt sein kann, daß sie aufmerke. Er beweiset <lb n="pst_098.009"/> Reflexion, wenn er aus dem ganzen schwebenden <lb n="pst_098.010"/> Traum der Bilder, die seine Seele vorbeistreichen, <lb n="pst_098.011"/> sich in ein Moment des Wachens sammeln, auf Einem <lb n="pst_098.012"/> Bilde freiwillig verweilen, es in helle, ruhigere Obacht <lb n="pst_098.013"/> nehmen, und sich Merkmale absondern kann, daß dies <lb n="pst_098.014"/> der Gegenstand und kein andrer sei. Er beweiset also <lb n="pst_098.015"/> Reflexion, wenn er nicht bloß alle Eigenschaften lebhaft <lb n="pst_098.016"/> oder klar erkennen; sondern Eine oder mehrere als <lb n="pst_098.017"/> unterscheidende Eigenschaften bei sich <hi rendition="#g">anerkennen</hi> <lb n="pst_098.018"/> kann: der erste Aktus dieser Anerkenntnis gibt deutlichen <lb n="pst_098.019"/> Begriff; es ist das erste Urteil der Seele – und –</p> <lb n="pst_098.020"/> <p> wodurch geschahe die Anerkennung? Durch ein <lb n="pst_098.021"/> Merkmal, was er absondern mußte, und was, als Merkmal <lb n="pst_098.022"/> der Besinnung, deutlich in ihn fiel. Wohlan, lasset <lb n="pst_098.023"/> uns ihm das <foreign xml:lang="grc">Εὕρηκα</foreign> zurufen! <hi rendition="#g">Dies Erste Merkmal <lb n="pst_098.024"/> der Besinnung war Wort der Seele! Mit ihm <lb n="pst_098.025"/> ist die Menschliche Sprache erfunden!</hi></p> <lb n="pst_098.026"/> <p> Lasset jenes Lamm, als Bild, sein Auge vorbeigehn: <lb n="pst_098.027"/> ihm wie keinem andern Tiere. Sobald er in die Bedürfnis <lb n="pst_098.028"/> kommt, das Schaf kennen zu lernen: so störet <lb n="pst_098.029"/> ihn kein Instinkt; so reißt ihn kein Sinn auf dasselbe zu <lb n="pst_098.030"/> nahe hin, oder davon ab; es steht da, ganz wie es sich <lb n="pst_098.031"/> seinen Sinnen äußert. Weiß, sanft, wollicht – seine besonnen </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [98/0102]
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Die Sprache gründet nach Herder in der «Besinnung» pst_098.002
oder «Reflexion»:
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«Der Mensch beweiset Reflexion, wenn die Kraft seiner pst_098.004
Seele so frei würket, daß sie aus dem ganzen Ozean pst_098.005
von Empfindungen, der sie durch alle Sinnen durchrauschet, pst_098.006
Eine Welle, wenn ich so sagen darf, absondern, pst_098.007
sie anhalten, die Aufmerksamkeit auf sie richten, pst_098.008
und sich bewußt sein kann, daß sie aufmerke. Er beweiset pst_098.009
Reflexion, wenn er aus dem ganzen schwebenden pst_098.010
Traum der Bilder, die seine Seele vorbeistreichen, pst_098.011
sich in ein Moment des Wachens sammeln, auf Einem pst_098.012
Bilde freiwillig verweilen, es in helle, ruhigere Obacht pst_098.013
nehmen, und sich Merkmale absondern kann, daß dies pst_098.014
der Gegenstand und kein andrer sei. Er beweiset also pst_098.015
Reflexion, wenn er nicht bloß alle Eigenschaften lebhaft pst_098.016
oder klar erkennen; sondern Eine oder mehrere als pst_098.017
unterscheidende Eigenschaften bei sich anerkennen pst_098.018
kann: der erste Aktus dieser Anerkenntnis gibt deutlichen pst_098.019
Begriff; es ist das erste Urteil der Seele – und –
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wodurch geschahe die Anerkennung? Durch ein pst_098.021
Merkmal, was er absondern mußte, und was, als Merkmal pst_098.022
der Besinnung, deutlich in ihn fiel. Wohlan, lasset pst_098.023
uns ihm das Εὕρηκα zurufen! Dies Erste Merkmal pst_098.024
der Besinnung war Wort der Seele! Mit ihm pst_098.025
ist die Menschliche Sprache erfunden!
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Lasset jenes Lamm, als Bild, sein Auge vorbeigehn: pst_098.027
ihm wie keinem andern Tiere. Sobald er in die Bedürfnis pst_098.028
kommt, das Schaf kennen zu lernen: so störet pst_098.029
ihn kein Instinkt; so reißt ihn kein Sinn auf dasselbe zu pst_098.030
nahe hin, oder davon ab; es steht da, ganz wie es sich pst_098.031
seinen Sinnen äußert. Weiß, sanft, wollicht – seine besonnen
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