Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_125.001 1 pst_125.029 Vgl. W. Schadewaldt, Iliasstudien, Abh. der sächs. Akad. der Wiss., pst_125.030 phil.-hist. Klasse, 1938; Renata von Scheliha, Patroklos, Basel 1943. 2 pst_125.031
Kant: Kritik der Urteilskraft, Inselausgabe 1924, S. 260 ff. pst_125.001 1 pst_125.029 Vgl. W. Schadewaldt, Iliasstudien, Abh. der sächs. Akad. der Wiss., pst_125.030 phil.-hist. Klasse, 1938; Renata von Scheliha, Patroklos, Basel 1943. 2 pst_125.031
Kant: Kritik der Urteilskraft, Inselausgabe 1924, S. 260 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0129" n="125"/><lb n="pst_125.001"/> stand die Sache so, daß die Philologie mit nachsichtigem <lb n="pst_125.002"/> Lächeln auf Leser herabsah, die sich die eine <lb n="pst_125.003"/> Dichterpersönlichkeit und das einheitliche Kunstwerk <lb n="pst_125.004"/> um keinen Preis ausreden lassen wollten. Gegenwärtig <lb n="pst_125.005"/> scheinen auch Philologen wieder eher geneigt, auf <lb n="pst_125.006"/> große kompositionelle Bezüge in der «Ilias» aufmerksam <lb n="pst_125.007"/> zu machen und demgemäß zum mindesten von der <lb n="pst_125.008"/> Vorherrschaft eines einzigen gewaltigen dichterischen <lb n="pst_125.009"/> Genius zu sprechen<note xml:id="PST_125_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_125.029"/> Vgl. W. Schadewaldt, Iliasstudien, Abh. der sächs. Akad. der Wiss., <lb n="pst_125.030"/> phil.-hist. Klasse, 1938; Renata von Scheliha, Patroklos, Basel 1943.</note>. An solchen Untersuchungen mag <lb n="pst_125.010"/> uns manches vielleicht gewaltsam, künstlich oder gelehrtenhaft <lb n="pst_125.011"/> anmuten. Vieles ist jedoch überzeugend und <lb n="pst_125.012"/> dürfte als bleibende Erkenntnis in die Homerforschung <lb n="pst_125.013"/> eingehen. Trotzdem wird es nie gelingen, die «Ilias» <lb n="pst_125.014"/> so zu interpretieren, daß sie sich, wie die Liebhaber <lb n="pst_125.015"/> möchten, als ein <hi rendition="#g">organisches</hi> Gebilde darstellt. Denn <lb n="pst_125.016"/> darum dreht sich im Grunde der Streit. Noch immer <lb n="pst_125.017"/> protestiert der Laie im Namen Goethes gegen Wolf. <lb n="pst_125.018"/> Und Goethe fühlte sich von dem Ergebnis der Wolfschen <lb n="pst_125.019"/> Kritik so beunruhigt, weil er sich eine Dichtung <lb n="pst_125.020"/> nicht anders denn als organisches Gebilde vorstellen <lb n="pst_125.021"/> konnte. Nehmen wir diesen Begriff aber ernst – so ernst, <lb n="pst_125.022"/> wie ihn Goethe selber nahm – dann müssen wir sagen: <lb n="pst_125.023"/> ein Organismus ist ein Gebilde, in dem jeder einzelne <lb n="pst_125.024"/> Teil zugleich Zweck und Mittel ist<note xml:id="PST_125_2" place="foot" n="2"><lb n="pst_125.031"/> Kant: Kritik der Urteilskraft, Inselausgabe 1924, S. 260 ff.</note>, also selbständig <lb n="pst_125.025"/> <hi rendition="#g">und</hi> funktional in einem, wertvoll an sich selbst und <lb n="pst_125.026"/> gleichzeitig auf das Ganze bezogen. Ein solcher Organismus <lb n="pst_125.027"/> ist zweifellos Goethes «Hermann und Dorothea», <lb n="pst_125.028"/> die «Odyssee» und die «Ilias» aber nicht. Aus einem </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [125/0129]
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stand die Sache so, daß die Philologie mit nachsichtigem pst_125.002
Lächeln auf Leser herabsah, die sich die eine pst_125.003
Dichterpersönlichkeit und das einheitliche Kunstwerk pst_125.004
um keinen Preis ausreden lassen wollten. Gegenwärtig pst_125.005
scheinen auch Philologen wieder eher geneigt, auf pst_125.006
große kompositionelle Bezüge in der «Ilias» aufmerksam pst_125.007
zu machen und demgemäß zum mindesten von der pst_125.008
Vorherrschaft eines einzigen gewaltigen dichterischen pst_125.009
Genius zu sprechen 1. An solchen Untersuchungen mag pst_125.010
uns manches vielleicht gewaltsam, künstlich oder gelehrtenhaft pst_125.011
anmuten. Vieles ist jedoch überzeugend und pst_125.012
dürfte als bleibende Erkenntnis in die Homerforschung pst_125.013
eingehen. Trotzdem wird es nie gelingen, die «Ilias» pst_125.014
so zu interpretieren, daß sie sich, wie die Liebhaber pst_125.015
möchten, als ein organisches Gebilde darstellt. Denn pst_125.016
darum dreht sich im Grunde der Streit. Noch immer pst_125.017
protestiert der Laie im Namen Goethes gegen Wolf. pst_125.018
Und Goethe fühlte sich von dem Ergebnis der Wolfschen pst_125.019
Kritik so beunruhigt, weil er sich eine Dichtung pst_125.020
nicht anders denn als organisches Gebilde vorstellen pst_125.021
konnte. Nehmen wir diesen Begriff aber ernst – so ernst, pst_125.022
wie ihn Goethe selber nahm – dann müssen wir sagen: pst_125.023
ein Organismus ist ein Gebilde, in dem jeder einzelne pst_125.024
Teil zugleich Zweck und Mittel ist 2, also selbständig pst_125.025
und funktional in einem, wertvoll an sich selbst und pst_125.026
gleichzeitig auf das Ganze bezogen. Ein solcher Organismus pst_125.027
ist zweifellos Goethes «Hermann und Dorothea», pst_125.028
die «Odyssee» und die «Ilias» aber nicht. Aus einem
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Vgl. W. Schadewaldt, Iliasstudien, Abh. der sächs. Akad. der Wiss., pst_125.030
phil.-hist. Klasse, 1938; Renata von Scheliha, Patroklos, Basel 1943.
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Kant: Kritik der Urteilskraft, Inselausgabe 1924, S. 260 ff.
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