Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_126.001 pst_126.013 "Selbst wenn also ein einziger Dichter die Ilias erfunden pst_126.014 Der Schwerpunkt der poetischen Tätigkeit! Das pst_126.018 1 pst_126.030 a. a. O. Bd. I, S. 315. 2 pst_126.031
Vgl. dazu jetzt Ernst Howald, Der Dichter der Ilias, Erlenbach 1946. pst_126.001 pst_126.013 «Selbst wenn also ein einziger Dichter die Ilias erfunden pst_126.014 Der Schwerpunkt der poetischen Tätigkeit! Das pst_126.018 1 pst_126.030 a. a. O. Bd. I, S. 315. 2 pst_126.031
Vgl. dazu jetzt Ernst Howald, Der Dichter der Ilias, Erlenbach 1946. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0130" n="126"/><lb n="pst_126.001"/> Organismus kann man nicht große Stücke ausschneiden, <lb n="pst_126.002"/> ohne das Leben des Ganzen zu gefährden. Die «Ilias» <lb n="pst_126.003"/> aber könnte man auf die Hälfte, ja auf ein Drittel verkürzen, <lb n="pst_126.004"/> ohne daß jemand, der den Rest nicht kennte, <lb n="pst_126.005"/> etwas vermissen würde. Das ist nur möglich, weil auch <lb n="pst_126.006"/> im Großen die Selbständigkeit der Teile gewahrt bleibt. <lb n="pst_126.007"/> Man mag sie erklären, wie man will, aus der Häufung <lb n="pst_126.008"/> von altüberlieferten Einzelgesängen oder aus der besonderen <lb n="pst_126.009"/> Situation des Rhapsoden, der jeden Tag ein <lb n="pst_126.010"/> Stück von mäßiger Länge vorzutragen hatte: Finsler <lb n="pst_126.011"/> dürfte Recht behalten mit seiner vorsichtigen Erklärung:</p> <lb n="pst_126.012"/> <lb n="pst_126.013"/> <p> «Selbst wenn also ein einziger Dichter die Ilias erfunden <lb n="pst_126.014"/> hätte, müßte der Schwerpunkt der poetischen <lb n="pst_126.015"/> Tätigkeit auf die einzelnen Teile und nicht auf den Zusammenhang <lb n="pst_126.016"/> des Ganzen fallen»<note xml:id="PST_126_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_126.030"/> a. a. O. Bd. I, S. 315.</note>.</p> <lb n="pst_126.017"/> <p> Der <hi rendition="#g">Schwerpunkt</hi> der poetischen Tätigkeit! Das <lb n="pst_126.018"/> schließt nicht aus, daß der Dichter – oder <hi rendition="#g">ein</hi> Dichter, <lb n="pst_126.019"/> der irgendwann auftrat und episches Gut zusammenzog <lb n="pst_126.020"/> – sich auch von gewissen großen kompositionellen <lb n="pst_126.021"/> Erwägungen leiten ließ und etwa darauf bedacht war, <lb n="pst_126.022"/> eine wohlberechnete Spannung bis zum Tode Hektors <lb n="pst_126.023"/> zu erzielen<note xml:id="PST_126_2" place="foot" n="2"><lb n="pst_126.031"/> Vgl. dazu jetzt Ernst Howald, Der Dichter der Ilias, Erlenbach 1946.</note>. Von unserm Standpunkt aus hieße das, <lb n="pst_126.024"/> daß hier der Spätling Homer bereits die Grenzen des <lb n="pst_126.025"/> Epischen überschreitet und eine Dichtung vorbereitet, <lb n="pst_126.026"/> die dann im Drama vollendet wird. Doch er bereitet <lb n="pst_126.027"/> sie nur vor. Gegen die Beharrlichkeit des Einzelnen <lb n="pst_126.028"/> dringt er nie ganz durch. Sogar in den «modernsten» <lb n="pst_126.029"/> Gesängen der «Ilias» bleibt eine Fülle von Versen, Szenen, </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [126/0130]
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Organismus kann man nicht große Stücke ausschneiden, pst_126.002
ohne das Leben des Ganzen zu gefährden. Die «Ilias» pst_126.003
aber könnte man auf die Hälfte, ja auf ein Drittel verkürzen, pst_126.004
ohne daß jemand, der den Rest nicht kennte, pst_126.005
etwas vermissen würde. Das ist nur möglich, weil auch pst_126.006
im Großen die Selbständigkeit der Teile gewahrt bleibt. pst_126.007
Man mag sie erklären, wie man will, aus der Häufung pst_126.008
von altüberlieferten Einzelgesängen oder aus der besonderen pst_126.009
Situation des Rhapsoden, der jeden Tag ein pst_126.010
Stück von mäßiger Länge vorzutragen hatte: Finsler pst_126.011
dürfte Recht behalten mit seiner vorsichtigen Erklärung:
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«Selbst wenn also ein einziger Dichter die Ilias erfunden pst_126.014
hätte, müßte der Schwerpunkt der poetischen pst_126.015
Tätigkeit auf die einzelnen Teile und nicht auf den Zusammenhang pst_126.016
des Ganzen fallen» 1.
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Der Schwerpunkt der poetischen Tätigkeit! Das pst_126.018
schließt nicht aus, daß der Dichter – oder ein Dichter, pst_126.019
der irgendwann auftrat und episches Gut zusammenzog pst_126.020
– sich auch von gewissen großen kompositionellen pst_126.021
Erwägungen leiten ließ und etwa darauf bedacht war, pst_126.022
eine wohlberechnete Spannung bis zum Tode Hektors pst_126.023
zu erzielen 2. Von unserm Standpunkt aus hieße das, pst_126.024
daß hier der Spätling Homer bereits die Grenzen des pst_126.025
Epischen überschreitet und eine Dichtung vorbereitet, pst_126.026
die dann im Drama vollendet wird. Doch er bereitet pst_126.027
sie nur vor. Gegen die Beharrlichkeit des Einzelnen pst_126.028
dringt er nie ganz durch. Sogar in den «modernsten» pst_126.029
Gesängen der «Ilias» bleibt eine Fülle von Versen, Szenen,
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a. a. O. Bd. I, S. 315.
2 pst_126.031
Vgl. dazu jetzt Ernst Howald, Der Dichter der Ilias, Erlenbach 1946.
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