Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_159.001 "Die Hörer teilen das Pathos (sunomoiopathein) des pst_159.006 Nun wird uns klar, daß sich unser moderner Ausdruck pst_159.010 Das Lyrische, wurde gesagt, erweicht (Seite 75). Es pst_159.025 pst_159.001 «Die Hörer teilen das Pathos (συνομοιοπαθεῖν) des pst_159.006 Nun wird uns klar, daß sich unser moderner Ausdruck pst_159.010 Das Lyrische, wurde gesagt, erweicht (Seite 75). Es pst_159.025 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0163" n="159"/><lb n="pst_159.001"/> den Verhältnissen angemessen und außerdem <lb n="pst_159.002"/> «pathetisch» sein, das heißt, auf Leidenschaften wirken <lb n="pst_159.003"/> und so den Menschen bewegen müsse. Auch die Möglichkeit <lb n="pst_159.004"/> des leeren Pathos wird schon angedeutet:</p> <lb n="pst_159.005"/> <p> «Die Hörer teilen das Pathos (<foreign xml:lang="grc">συνομοιοπαθεῖν</foreign>) des <lb n="pst_159.006"/> pathetischen Redners, auch wenn er nichts sagt. Deshalb <lb n="pst_159.007"/> überwältigen viele ihr Publikum mit bloßem <lb n="pst_159.008"/> Lärm.»</p> <lb n="pst_159.009"/> <p> Nun wird uns klar, daß sich unser moderner Ausdruck <lb n="pst_159.010"/> vom griechischen unterscheidet. Wir verstehen <lb n="pst_159.011"/> unter Pathos nicht so sehr die Leidenschaft selbst, als <lb n="pst_159.012"/> vielmehr die pathetische Rede, die Leidenschaften, <lb n="pst_159.013"/> <foreign xml:lang="grc">πάθη</foreign>, erregt. Allein, auch mit dieser Erklärung können <lb n="pst_159.014"/> wir uns noch nicht zufrieden geben. Pathetische Rede, <lb n="pst_159.015"/> die uns bewegt, scheint nun erst recht in die Nähe der <lb n="pst_159.016"/> bewegenden lyrischen Sprache zu rücken. Von den <lb n="pst_159.017"/> Griechen dürfen wir hier wohl keine Auskunft mehr erwarten. <lb n="pst_159.018"/> Alles, was bewegt, aus dem Maß und der Ruhe <lb n="pst_159.019"/> des Geistes rückt, ist für sie in gleicher Weise «patho»- <lb n="pst_159.020"/> logisch. Sie haben keinen Anlaß, zwischen Lyrik und <lb n="pst_159.021"/> Pathos zu unterscheiden. Für uns aber spitzt sich die <lb n="pst_159.022"/> Frage so zu: Wie unterscheidet sich die pathetische von <lb n="pst_159.023"/> der lyrischen Bewegung?</p> <lb n="pst_159.024"/> <p> Das Lyrische, wurde gesagt, erweicht (Seite 75). Es <lb n="pst_159.025"/> war die Rede von lyrischem Schmelz. Das Schmelzende <lb n="pst_159.026"/> wird uns eingeflößt als eine flüssige Substanz, die alles <lb n="pst_159.027"/> Feste löst und unser Dasein in seinem Fluß mitträgt. <lb n="pst_159.028"/> Die Wirkung ist unmerklich, innig. Sie setzt das Einverständnis <lb n="pst_159.029"/> einer gleichgestimmten Seele voraus. Wo <lb n="pst_159.030"/> dies Einverständnis fehlt, geht sie vorüber und ist <lb n="pst_159.031"/> nichts.</p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [159/0163]
pst_159.001
den Verhältnissen angemessen und außerdem pst_159.002
«pathetisch» sein, das heißt, auf Leidenschaften wirken pst_159.003
und so den Menschen bewegen müsse. Auch die Möglichkeit pst_159.004
des leeren Pathos wird schon angedeutet:
pst_159.005
«Die Hörer teilen das Pathos (συνομοιοπαθεῖν) des pst_159.006
pathetischen Redners, auch wenn er nichts sagt. Deshalb pst_159.007
überwältigen viele ihr Publikum mit bloßem pst_159.008
Lärm.»
pst_159.009
Nun wird uns klar, daß sich unser moderner Ausdruck pst_159.010
vom griechischen unterscheidet. Wir verstehen pst_159.011
unter Pathos nicht so sehr die Leidenschaft selbst, als pst_159.012
vielmehr die pathetische Rede, die Leidenschaften, pst_159.013
πάθη, erregt. Allein, auch mit dieser Erklärung können pst_159.014
wir uns noch nicht zufrieden geben. Pathetische Rede, pst_159.015
die uns bewegt, scheint nun erst recht in die Nähe der pst_159.016
bewegenden lyrischen Sprache zu rücken. Von den pst_159.017
Griechen dürfen wir hier wohl keine Auskunft mehr erwarten. pst_159.018
Alles, was bewegt, aus dem Maß und der Ruhe pst_159.019
des Geistes rückt, ist für sie in gleicher Weise «patho»- pst_159.020
logisch. Sie haben keinen Anlaß, zwischen Lyrik und pst_159.021
Pathos zu unterscheiden. Für uns aber spitzt sich die pst_159.022
Frage so zu: Wie unterscheidet sich die pathetische von pst_159.023
der lyrischen Bewegung?
pst_159.024
Das Lyrische, wurde gesagt, erweicht (Seite 75). Es pst_159.025
war die Rede von lyrischem Schmelz. Das Schmelzende pst_159.026
wird uns eingeflößt als eine flüssige Substanz, die alles pst_159.027
Feste löst und unser Dasein in seinem Fluß mitträgt. pst_159.028
Die Wirkung ist unmerklich, innig. Sie setzt das Einverständnis pst_159.029
einer gleichgestimmten Seele voraus. Wo pst_159.030
dies Einverständnis fehlt, geht sie vorüber und ist pst_159.031
nichts.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |