Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_190.001 Auf die bewußt erfaßte Welt hin ordnet der dramatische pst_190.011 Insofern gleicht er dem Richter, dem ein Fall zur Beurteilung pst_190.029 1 pst_190.030
Vgl. dazu: Hannes Maeder, Versuch über den Zusammenhang von pst_190.031 Sprachgeschichte und Geistesgeschichte, Zürich 1945, S. 35 ff. pst_190.001 Auf die bewußt erfaßte Welt hin ordnet der dramatische pst_190.011 Insofern gleicht er dem Richter, dem ein Fall zur Beurteilung pst_190.029 1 pst_190.030
Vgl. dazu: Hannes Maeder, Versuch über den Zusammenhang von pst_190.031 Sprachgeschichte und Geistesgeschichte, Zürich 1945, S. 35 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0194" n="190"/><lb n="pst_190.001"/> Sinn des Daseins zeigt. Dieser letzte Sinn, dies letzte <lb n="pst_190.002"/> Worumwillen ist jene Welt, die immer schon, als unbegriffene <lb n="pst_190.003"/> Ordnung, das Begehren, das Erkennen, das Fühlen <lb n="pst_190.004"/> und Handeln bestimmte, sich aber jetzt zur expliziten <lb n="pst_190.005"/> «Weltanschauung» kristallisiert. So wird dieselbe <lb n="pst_190.006"/> Welt, die schon in Luthers Sprache dunkel waltet, in <lb n="pst_190.007"/> Goethes «Faust» zur bewußten Idee<note xml:id="PST_190_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_190.030"/> Vgl. dazu: Hannes Maeder, Versuch über den Zusammenhang von <lb n="pst_190.031"/> Sprachgeschichte und Geistesgeschichte, Zürich 1945, S. 35 ff.</note>. Dieselbe Welt, <lb n="pst_190.008"/> die Homers Hexameter trägt, erhellt sich zu den Begriffen <lb n="pst_190.009"/> der vorsokratischen Philosophie.</p> <lb n="pst_190.010"/> <p> Auf die bewußt erfaßte Welt hin ordnet der dramatische <lb n="pst_190.011"/> Dichter die Einzelheiten des Dramas an und rastet <lb n="pst_190.012"/> nicht, bis alles in der einen Idee zusammenhängt, <lb n="pst_190.013"/> auf sie verweist und durch ihr Licht vollkommen klar <lb n="pst_190.014"/> und durchsichtig wird. Was mit der Idee nichts zu <lb n="pst_190.015"/> schaffen hat, das läßt er als gleichgültig beiseite. Sein <lb n="pst_190.016"/> Werk wird deshalb, von außen gesehen, ärmer sein als <lb n="pst_190.017"/> die epische Dichtung. Seine Gestalten haben nicht jene <lb n="pst_190.018"/> unbekümmerte Vielseitigkeit, die uns an homerischen <lb n="pst_190.019"/> Helden entzückt. Die vielen Geräte, die bei Homer <lb n="pst_190.020"/> herumstehen, die Waffen, die Pferdegeschirre, die <lb n="pst_190.021"/> Krüge und Becher sind verschwunden, sofern nicht ein <lb n="pst_190.022"/> Gerät zufällig, wie der zerbrochene Krug bei Kleist, als <lb n="pst_190.023"/> corpus delicti in Frage kommt oder anderweitig bedeutsam <lb n="pst_190.024"/> wird. Dem Essen und Trinken wird in der Regel <lb n="pst_190.025"/> keine Beachtung mehr geschenkt. Der Dramatiker sieht <lb n="pst_190.026"/> darüber hinweg, wie über alles, was nichts mit dem, <lb n="pst_190.027"/> worauf es ankommt, zu schaffen hat.</p> <lb n="pst_190.028"/> <p> Insofern gleicht er dem Richter, dem ein Fall zur Beurteilung <lb n="pst_190.029"/> vorgelegt wird. Der Richter wird bestrebt </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [190/0194]
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Sinn des Daseins zeigt. Dieser letzte Sinn, dies letzte pst_190.002
Worumwillen ist jene Welt, die immer schon, als unbegriffene pst_190.003
Ordnung, das Begehren, das Erkennen, das Fühlen pst_190.004
und Handeln bestimmte, sich aber jetzt zur expliziten pst_190.005
«Weltanschauung» kristallisiert. So wird dieselbe pst_190.006
Welt, die schon in Luthers Sprache dunkel waltet, in pst_190.007
Goethes «Faust» zur bewußten Idee 1. Dieselbe Welt, pst_190.008
die Homers Hexameter trägt, erhellt sich zu den Begriffen pst_190.009
der vorsokratischen Philosophie.
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Auf die bewußt erfaßte Welt hin ordnet der dramatische pst_190.011
Dichter die Einzelheiten des Dramas an und rastet pst_190.012
nicht, bis alles in der einen Idee zusammenhängt, pst_190.013
auf sie verweist und durch ihr Licht vollkommen klar pst_190.014
und durchsichtig wird. Was mit der Idee nichts zu pst_190.015
schaffen hat, das läßt er als gleichgültig beiseite. Sein pst_190.016
Werk wird deshalb, von außen gesehen, ärmer sein als pst_190.017
die epische Dichtung. Seine Gestalten haben nicht jene pst_190.018
unbekümmerte Vielseitigkeit, die uns an homerischen pst_190.019
Helden entzückt. Die vielen Geräte, die bei Homer pst_190.020
herumstehen, die Waffen, die Pferdegeschirre, die pst_190.021
Krüge und Becher sind verschwunden, sofern nicht ein pst_190.022
Gerät zufällig, wie der zerbrochene Krug bei Kleist, als pst_190.023
corpus delicti in Frage kommt oder anderweitig bedeutsam pst_190.024
wird. Dem Essen und Trinken wird in der Regel pst_190.025
keine Beachtung mehr geschenkt. Der Dramatiker sieht pst_190.026
darüber hinweg, wie über alles, was nichts mit dem, pst_190.027
worauf es ankommt, zu schaffen hat.
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Insofern gleicht er dem Richter, dem ein Fall zur Beurteilung pst_190.029
vorgelegt wird. Der Richter wird bestrebt
1 pst_190.030
Vgl. dazu: Hannes Maeder, Versuch über den Zusammenhang von pst_190.031
Sprachgeschichte und Geistesgeschichte, Zürich 1945, S. 35 ff.
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