Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_189.001 Ganz anders der dramatische Geist! Ihm ist nichts pst_189.013 pst_189.001 Ganz anders der dramatische Geist! Ihm ist nichts pst_189.013 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0193" n="189"/><lb n="pst_189.001"/> die Dinge begegnen, in seinem Bewußtsein aufzudämmern <lb n="pst_189.002"/> beginnt. Zeus ist aber mehr dem Namen nach <lb n="pst_189.003"/> als faktisch der höchste Gott. Die anderen Götter fechten <lb n="pst_189.004"/> ihn an, und über ihm, in einem undurchdringlichen <lb n="pst_189.005"/> Dunkel, waltet Moira. Das heißt, die Welt ist <lb n="pst_189.006"/> gleichsam noch offen. Die Umrisse stehen für das bewußte <lb n="pst_189.007"/> Erkennen Homers nicht eindeutig fest, und statt <lb n="pst_189.008"/> sich zu schließen, verlieren sie sich im Nebel seiner Vergeßlichkeit, <lb n="pst_189.009"/> die nur nach Neuem begehrt und Unstimmigkeiten, <lb n="pst_189.010"/> Widersprüche mit leichtem Herzen auf sich <lb n="pst_189.011"/> beruhen läßt.</p> <lb n="pst_189.012"/> <p> Ganz anders der dramatische Geist! Ihm ist nichts <lb n="pst_189.013"/> daran gelegen, nur immer wieder Neues zu sehen. Sein <lb n="pst_189.014"/> Interesse bezieht sich weniger auf die Dinge selber als <lb n="pst_189.015"/> auf das, woraufhin er sie ansieht. Er nimmt sie als Zeichen, <lb n="pst_189.016"/> als Bewährung oder Verdeutlichung seines Problems. <lb n="pst_189.017"/> Unter «Problem». verstanden wir den «Vorwurf» <lb n="pst_189.018"/> im wörtlichen Sinn des Begriffs, das Vorgeworfene, <lb n="pst_189.019"/> das der Werfende einzuholen berufen ist. Es kann <lb n="pst_189.020"/> sich dabei um eine hübsche Pointe handeln wie im <lb n="pst_189.021"/> «Faustin» von Lessing oder um einen moralischen Satz <lb n="pst_189.022"/> wie in der Fabel Aesops. Im höchsten Sinne handelt es <lb n="pst_189.023"/> sich um ideelle Problematik. Die «Idee», von der in <lb n="pst_189.024"/> dramatischer Dichtung so oft die Rede ist, darf keineswegs <lb n="pst_189.025"/> nur als beliebiger Vorwurf neben anderen gelten. <lb n="pst_189.026"/> Sie steht in einer aufwärts führenden Reihe am obersten <lb n="pst_189.027"/> Platz. Die Frage «Worumwillen?» nämlich, die <lb n="pst_189.028"/> den dramatischen Dichter leitet, kann sich zwar aus <lb n="pst_189.029"/> Schwäche wohl bei dem und jenem zufrieden geben. <lb n="pst_189.030"/> Wenn sie jedoch mit Kraft gestellt wird, drängt sie unablässig <lb n="pst_189.031"/> weiter und findet Ruhe erst, wenn sich ein letzter </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [189/0193]
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die Dinge begegnen, in seinem Bewußtsein aufzudämmern pst_189.002
beginnt. Zeus ist aber mehr dem Namen nach pst_189.003
als faktisch der höchste Gott. Die anderen Götter fechten pst_189.004
ihn an, und über ihm, in einem undurchdringlichen pst_189.005
Dunkel, waltet Moira. Das heißt, die Welt ist pst_189.006
gleichsam noch offen. Die Umrisse stehen für das bewußte pst_189.007
Erkennen Homers nicht eindeutig fest, und statt pst_189.008
sich zu schließen, verlieren sie sich im Nebel seiner Vergeßlichkeit, pst_189.009
die nur nach Neuem begehrt und Unstimmigkeiten, pst_189.010
Widersprüche mit leichtem Herzen auf sich pst_189.011
beruhen läßt.
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Ganz anders der dramatische Geist! Ihm ist nichts pst_189.013
daran gelegen, nur immer wieder Neues zu sehen. Sein pst_189.014
Interesse bezieht sich weniger auf die Dinge selber als pst_189.015
auf das, woraufhin er sie ansieht. Er nimmt sie als Zeichen, pst_189.016
als Bewährung oder Verdeutlichung seines Problems. pst_189.017
Unter «Problem». verstanden wir den «Vorwurf» pst_189.018
im wörtlichen Sinn des Begriffs, das Vorgeworfene, pst_189.019
das der Werfende einzuholen berufen ist. Es kann pst_189.020
sich dabei um eine hübsche Pointe handeln wie im pst_189.021
«Faustin» von Lessing oder um einen moralischen Satz pst_189.022
wie in der Fabel Aesops. Im höchsten Sinne handelt es pst_189.023
sich um ideelle Problematik. Die «Idee», von der in pst_189.024
dramatischer Dichtung so oft die Rede ist, darf keineswegs pst_189.025
nur als beliebiger Vorwurf neben anderen gelten. pst_189.026
Sie steht in einer aufwärts führenden Reihe am obersten pst_189.027
Platz. Die Frage «Worumwillen?» nämlich, die pst_189.028
den dramatischen Dichter leitet, kann sich zwar aus pst_189.029
Schwäche wohl bei dem und jenem zufrieden geben. pst_189.030
Wenn sie jedoch mit Kraft gestellt wird, drängt sie unablässig pst_189.031
weiter und findet Ruhe erst, wenn sich ein letzter
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(2015-09-30T09:54:39Z)
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