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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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Menschen und redeten keine menschliche Sprache. Wie pst_188.002
jeder, der einen Satz ausspricht, beim ersten Wort schon pst_188.003
die Fuge, in welche die Worte gehören, erspäht haben pst_188.004
muß, so muß auch jeder, der etwas bemerkt, ein Ganzes pst_188.005
kennen, worein es gehört. Es gibt für den Menschen pst_188.006
nichts Einzelnes. Er ist das zoon logon ekhon, das Wesen, pst_188.007
das sammelt, zusammenfaßt.

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Doch damit geben wir nur wieder zu, daß jede Dichtung pst_188.009
als solche an allen Gattungen Anteil haben müsse, pst_188.010
so wie in jedem sprachlichen Ausdruck, und sei er noch pst_188.011
so primitiv, das ganze Wesen der Sprache beteiligt oder pst_188.012
doch mindestens angelegt ist. Wir kennen in Wirklichkeit pst_188.013
nur vornehmlich lyrische oder vornehmlich epische pst_188.014
und dramatische Poesie. Diese drei Möglichkeiten aber pst_188.015
sind nun gerade auch durch ihr Verhältnis zur Welt abgestuft. pst_188.016
Der lyrische Dichter weiß nichts von Welt. Er pst_188.017
ist auch in dieser Beziehung "weltfremd". Jetzt rührt pst_188.018
ihn dies an, jetzt ein anderes. Obwohl ihn nichts berühren, pst_188.019
obwohl er nichts Berührendes auffassen könnte, pst_188.020
wenn keine Welt erschlossen wäre, so fragt er doch nie pst_188.021
nach einem Ganzen und kümmert sich um den Zusammenhang pst_188.022
nicht. Den epischen Dichter dürfen wir mit pst_188.023
dem Seefahrer oder dem Wanderer vergleichen. Er pst_188.024
zieht mit seinem Helden aus, um fremde Länder und pst_188.025
Menschen zu sehen. Er befährt den orbis terrarum. Immer pst_188.026
wieder Neues begegnet seiner Neugier. Das Alte pst_188.027
versinkt wie eine Stadt am Horizont. Doch weil er alles pst_188.028
unter dem gleichen, unter seinem Gesichtspunkt betrachtet, pst_188.029
findet er wohl, daß alles, was ist, zu ein und pst_188.030
demselben Kosmos gehört. Die Inthronisierung des Zeus pst_188.031
durch Homer bedeutet, daß die Welt, aus der dem Dichter

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Menschen und redeten keine menschliche Sprache. Wie pst_188.002
jeder, der einen Satz ausspricht, beim ersten Wort schon pst_188.003
die Fuge, in welche die Worte gehören, erspäht haben pst_188.004
muß, so muß auch jeder, der etwas bemerkt, ein Ganzes pst_188.005
kennen, worein es gehört. Es gibt für den Menschen pst_188.006
nichts Einzelnes. Er ist das ζῷον λόγον ἔχον, das Wesen, pst_188.007
das sammelt, zusammenfaßt.

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  Doch damit geben wir nur wieder zu, daß jede Dichtung pst_188.009
als solche an allen Gattungen Anteil haben müsse, pst_188.010
so wie in jedem sprachlichen Ausdruck, und sei er noch pst_188.011
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Der lyrische Dichter weiß nichts von Welt. Er pst_188.017
ist auch in dieser Beziehung «weltfremd». Jetzt rührt pst_188.018
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Menschen zu sehen. Er befährt den orbis terrarum. Immer pst_188.026
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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 188. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/192>, abgerufen am 25.11.2024.