Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_204.001 "Dien' ich einem, mir pst_204.005 pst_204.006Das andere fehlet ..."1 Und je treuer der Dienst ist, je folgerichtiger sich der pst_204.007 Die Frage nach der tragischen Schuld, so wie sie oft pst_204.014 1 pst_204.029 Hölderlin: "Der Einzige". 2 pst_204.030
Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Halle 1927, S. 280 ff. pst_204.001 «Dien' ich einem, mir pst_204.005 pst_204.006Das andere fehlet ...»1 Und je treuer der Dienst ist, je folgerichtiger sich der pst_204.007 Die Frage nach der tragischen Schuld, so wie sie oft pst_204.014 1 pst_204.029 Hölderlin: «Der Einzige». 2 pst_204.030
Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Halle 1927, S. 280 ff. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0208" n="204"/><lb n="pst_204.001"/> ausschließt. In der Welt des asketischen <lb n="pst_204.002"/> Christentums kommen die Sinne nicht zu ihrem Recht <lb n="pst_204.003"/> und rächen sich durch Rebellion. Überall ist es so, daß</p> <lb n="pst_204.004"/> <lg> <l> «Dien' ich einem, mir</l> <lb n="pst_204.005"/> <l>Das andere fehlet ...»<note xml:id="PST_204_1" place="foot" n="1"><lb n="pst_204.029"/> Hölderlin: «Der Einzige».</note></l> </lg> <lb n="pst_204.006"/> <p> Und je treuer der Dienst ist, je folgerichtiger sich der <lb n="pst_204.007"/> Mensch ihm hingibt, desto weniger kann er dem Fluch <lb n="pst_204.008"/> entrinnen, daß ihm «das andere fehlt». Der Schwankende <lb n="pst_204.009"/> aber verfährt nicht besser, sondern verfehlt sich <lb n="pst_204.010"/> an allen und verwischt nur seine Endlichkeit. Endlichkeit <lb n="pst_204.011"/> ist die Schuld, die mit dem Wesen des Menschen <lb n="pst_204.012"/> schon besteht und jede wirkliche Schuld begründet<note xml:id="PST_204_2" place="foot" n="2"><lb n="pst_204.030"/> Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Halle 1927, S. 280 ff.</note>.</p> <lb n="pst_204.013"/> <p> Die Frage nach der tragischen Schuld, so wie sie oft <lb n="pst_204.014"/> in der Ästhetik gestellt wird, erweckt den Verdacht, daß <lb n="pst_204.015"/> sie eher bestimmt sei, über das Tragische zu beruhigen, <lb n="pst_204.016"/> als seine im Menschen selber angelegte Möglichkeit aufzudecken. <lb n="pst_204.017"/> Sie gibt den Anschein, «unschuldige Schuld» <lb n="pst_204.018"/> sei nur das Schicksal Einzelner, die ein besonders dämonisches <lb n="pst_204.019"/> Unglück heimsucht. Die Schuld liegt aber schon <lb n="pst_204.020"/> vor der Tat und wird durch verantwortungsbewußtes, <lb n="pst_204.021"/> entschlossenes Handeln bloß evident. Auch der Schwärmer <lb n="pst_204.022"/> eilt vor, ja er gerade am unbedenklichsten. Dennoch <lb n="pst_204.023"/> stellt seine Schuld sich nicht in deutlichen Katastrophen <lb n="pst_204.024"/> dar. Wer wäre voreiliger als der romantische <lb n="pst_204.025"/> Mensch, dessen Dasein der Prinz von Homburg im ersten <lb n="pst_204.026"/> Aufzug repräsentiert? Die Schlegel, Tieck und Novalis <lb n="pst_204.027"/> jedoch sind dem Tragischen niemals ausgesetzt. <lb n="pst_204.028"/> Damit es sich zeige, muß die Idee in der Gegenwart </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [204/0208]
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ausschließt. In der Welt des asketischen pst_204.002
Christentums kommen die Sinne nicht zu ihrem Recht pst_204.003
und rächen sich durch Rebellion. Überall ist es so, daß
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«Dien' ich einem, mir pst_204.005
Das andere fehlet ...» 1
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Und je treuer der Dienst ist, je folgerichtiger sich der pst_204.007
Mensch ihm hingibt, desto weniger kann er dem Fluch pst_204.008
entrinnen, daß ihm «das andere fehlt». Der Schwankende pst_204.009
aber verfährt nicht besser, sondern verfehlt sich pst_204.010
an allen und verwischt nur seine Endlichkeit. Endlichkeit pst_204.011
ist die Schuld, die mit dem Wesen des Menschen pst_204.012
schon besteht und jede wirkliche Schuld begründet 2.
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Die Frage nach der tragischen Schuld, so wie sie oft pst_204.014
in der Ästhetik gestellt wird, erweckt den Verdacht, daß pst_204.015
sie eher bestimmt sei, über das Tragische zu beruhigen, pst_204.016
als seine im Menschen selber angelegte Möglichkeit aufzudecken. pst_204.017
Sie gibt den Anschein, «unschuldige Schuld» pst_204.018
sei nur das Schicksal Einzelner, die ein besonders dämonisches pst_204.019
Unglück heimsucht. Die Schuld liegt aber schon pst_204.020
vor der Tat und wird durch verantwortungsbewußtes, pst_204.021
entschlossenes Handeln bloß evident. Auch der Schwärmer pst_204.022
eilt vor, ja er gerade am unbedenklichsten. Dennoch pst_204.023
stellt seine Schuld sich nicht in deutlichen Katastrophen pst_204.024
dar. Wer wäre voreiliger als der romantische pst_204.025
Mensch, dessen Dasein der Prinz von Homburg im ersten pst_204.026
Aufzug repräsentiert? Die Schlegel, Tieck und Novalis pst_204.027
jedoch sind dem Tragischen niemals ausgesetzt. pst_204.028
Damit es sich zeige, muß die Idee in der Gegenwart
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Hölderlin: «Der Einzige».
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Vgl. Martin Heidegger, Sein und Zeit, Halle 1927, S. 280 ff.
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