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Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

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Typus der Pflanze dar. Die "Urpflanze" gibt es in Wirklichkeit pst_220.002
nicht, so wenig es ein rein lyrisches, rein episches pst_220.003
oder rein dramatisches Werk gibt. Doch bei der Pflanze pst_220.004
bedeutet das nur, daß jede einzelne bestimmt und durch pst_220.005
tausend Zufälligkeiten bedingt ist. Auch in solcher Bedingtheit pst_220.006
aber bleibt die Pflanze nichts als Pflanze. Die pst_220.007
rote Farbe, die zackigen Blätter, die für den Typus indifferent pst_220.008
sind, nähern sie nicht der Tierwelt oder dem pst_220.009
Reich des Anorganischen an, sondern zeigen den Typus pst_220.010
individualisiert. Ein lyrisches Gedicht dagegen kann, pst_220.011
gerade weil es ein Gedicht ist, nicht bloß lyrisch sein. Es pst_220.012
nimmt in verschiedenen Graden und Arten an allen pst_220.013
Gattungsideen teil, und nur ein Vorrang des Lyrischen pst_220.014
bestimmt uns, die Verse lyrisch zu nennen.

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Diesen Sachverhalt, auf den des öftern hingewiesen pst_220.016
wurde, müssen wir endlich genauer erkennen. Dann pst_220.017
erst kann sich zeigen, was die Gattungsideen eigentlich pst_220.018
sind, und worin die alte Dreiteilung gründet.

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Es ist keine bloße Analogie, wenn wir, um das Verhältnis pst_220.020
von lyrisch-episch-dramatisch zu erklären, an das pst_220.021
Verhältnis von Silbe, Wort und Satz erinnern. Die Silbe pst_220.022
darf als das eigentlich lyrische Element der Sprache gelten. pst_220.023
Sie bedeutet nichts, sie verlautet nur und ist so pst_220.024
zwar des Ausdrucks, aber nicht der festen Bezeichnung pst_220.025
fähig. Auf Silbenfolgen wie eia popeia, ach, eleleu, pst_220.026
ailinon, om, sind wir als auf letzte musikalische Sprachphänomene pst_220.027
gestoßen. Sie stellen keinen Gegenstand pst_220.028
fest. Sie entbehren der Intentionalität. Wohl aber sind pst_220.029
sie unmittelbar verständlich als "Schreie der Empfindung", pst_220.030
wie Herder sie beschrieben hat (vergleiche pst_220.031
Seite 58). Wo immer in der Sprache sich die Macht der

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Typus der Pflanze dar. Die «Urpflanze» gibt es in Wirklichkeit pst_220.002
nicht, so wenig es ein rein lyrisches, rein episches pst_220.003
oder rein dramatisches Werk gibt. Doch bei der Pflanze pst_220.004
bedeutet das nur, daß jede einzelne bestimmt und durch pst_220.005
tausend Zufälligkeiten bedingt ist. Auch in solcher Bedingtheit pst_220.006
aber bleibt die Pflanze nichts als Pflanze. Die pst_220.007
rote Farbe, die zackigen Blätter, die für den Typus indifferent pst_220.008
sind, nähern sie nicht der Tierwelt oder dem pst_220.009
Reich des Anorganischen an, sondern zeigen den Typus pst_220.010
individualisiert. Ein lyrisches Gedicht dagegen kann, pst_220.011
gerade weil es ein Gedicht ist, nicht bloß lyrisch sein. Es pst_220.012
nimmt in verschiedenen Graden und Arten an allen pst_220.013
Gattungsideen teil, und nur ein Vorrang des Lyrischen pst_220.014
bestimmt uns, die Verse lyrisch zu nennen.

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  Diesen Sachverhalt, auf den des öftern hingewiesen pst_220.016
wurde, müssen wir endlich genauer erkennen. Dann pst_220.017
erst kann sich zeigen, was die Gattungsideen eigentlich pst_220.018
sind, und worin die alte Dreiteilung gründet.

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  Es ist keine bloße Analogie, wenn wir, um das Verhältnis pst_220.020
von lyrisch-episch-dramatisch zu erklären, an das pst_220.021
Verhältnis von Silbe, Wort und Satz erinnern. Die Silbe pst_220.022
darf als das eigentlich lyrische Element der Sprache gelten. pst_220.023
Sie bedeutet nichts, sie verlautet nur und ist so pst_220.024
zwar des Ausdrucks, aber nicht der festen Bezeichnung pst_220.025
fähig. Auf Silbenfolgen wie eia popeia, ach, ἐλελεῦ, pst_220.026
αἴλινον, om, sind wir als auf letzte musikalische Sprachphänomene pst_220.027
gestoßen. Sie stellen keinen Gegenstand pst_220.028
fest. Sie entbehren der Intentionalität. Wohl aber sind pst_220.029
sie unmittelbar verständlich als «Schreie der Empfindung», pst_220.030
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Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/224>, abgerufen am 21.11.2024.