Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_223.001 Das Lyrische also ist der letzte erreichbare Grund pst_223.018 Diese Folge darf aber nicht literaturgeschichtlich ausgelegt pst_223.026 pst_223.001 Das Lyrische also ist der letzte erreichbare Grund pst_223.018 Diese Folge darf aber nicht literaturgeschichtlich ausgelegt pst_223.026 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0227" n="223"/><lb n="pst_223.001"/> Gattung auf die epische Gattung angewiesen. Das <lb n="pst_223.002"/> Gegenständliche sinkt in ihr zur bloßen Voraussetzung <lb n="pst_223.003"/> herab (Seite 181). Es muß jedoch vorhanden sein, damit <lb n="pst_223.004"/> es in Zusammenhang gebracht und beurteilt werden <lb n="pst_223.005"/> kann. Ist seine Sichtbarkeit reduziert, so wird der dramatische <lb n="pst_223.006"/> Stil abstrakt, wie manchmal in den Novellen <lb n="pst_223.007"/> Kleists, der bei genauestem Beziehen der Teile die Teile <lb n="pst_223.008"/> selbst nur flüchtig ausführt. Daß die epische Gattung <lb n="pst_223.009"/> auf die lyrische angewiesen bleibt, sieht weniger selbstverständlich <lb n="pst_223.010"/> aus. Indes, wer etwas vor-stellen will, muß <lb n="pst_223.011"/> erst damit eins gewesen sein. Sonst geht es ihn und uns <lb n="pst_223.012"/> nichts an, und seine Darstellung ist «trocken» – eben <lb n="pst_223.013"/> weil sie des lyrischen als des flüssigen Elements entbehrt. <lb n="pst_223.014"/> Ursprüngliche Akte der Vorstellung setzen das <lb n="pst_223.015"/> Ineinander voraus. Sie können von gar nichts anderem <lb n="pst_223.016"/> ausgehen.</p> <lb n="pst_223.017"/> <p> Das Lyrische also ist der letzte erreichbare Grund <lb n="pst_223.018"/> alles Dichterischen (vergleiche Seite 54), das «sunder <lb n="pst_223.019"/> warumbe», die Fülle der Tiefe, aus der es entspringt, <lb n="pst_223.020"/> um aufzusteigen zur Höhe dramatischer Poesie, über <lb n="pst_223.021"/> die hinaus es nicht weitergeht, es sei denn in die Grenzsituationen <lb n="pst_223.022"/> des Tragischen oder des Komischen, in denen <lb n="pst_223.023"/> der Mensch sich selbst, als sinnliches oder als geistiges <lb n="pst_223.024"/> Wesen, zerstört.</p> <lb n="pst_223.025"/> <p> Diese Folge darf aber nicht literaturgeschichtlich ausgelegt <lb n="pst_223.026"/> werden, so, als ob behauptet würde, das <hi rendition="#g">Dichten</hi> <lb n="pst_223.027"/> eines einzelnen Menschen oder eines ganzen Volkes beginne <lb n="pst_223.028"/> mit dem Lyrischen und ende mit dem Dramatischen. <lb n="pst_223.029"/> Lyrisches als lyrische <hi rendition="#g">Dichtung,</hi> Episches als <lb n="pst_223.030"/> epische <hi rendition="#g">Dichtung</hi> tritt erst in dem Augenblick hervor, <lb n="pst_223.031"/> da sich die Sprache der Poesie, mehr oder weniger deutlich, </p> </div> </body> </text> </TEI> [223/0227]
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Gattung auf die epische Gattung angewiesen. Das pst_223.002
Gegenständliche sinkt in ihr zur bloßen Voraussetzung pst_223.003
herab (Seite 181). Es muß jedoch vorhanden sein, damit pst_223.004
es in Zusammenhang gebracht und beurteilt werden pst_223.005
kann. Ist seine Sichtbarkeit reduziert, so wird der dramatische pst_223.006
Stil abstrakt, wie manchmal in den Novellen pst_223.007
Kleists, der bei genauestem Beziehen der Teile die Teile pst_223.008
selbst nur flüchtig ausführt. Daß die epische Gattung pst_223.009
auf die lyrische angewiesen bleibt, sieht weniger selbstverständlich pst_223.010
aus. Indes, wer etwas vor-stellen will, muß pst_223.011
erst damit eins gewesen sein. Sonst geht es ihn und uns pst_223.012
nichts an, und seine Darstellung ist «trocken» – eben pst_223.013
weil sie des lyrischen als des flüssigen Elements entbehrt. pst_223.014
Ursprüngliche Akte der Vorstellung setzen das pst_223.015
Ineinander voraus. Sie können von gar nichts anderem pst_223.016
ausgehen.
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Das Lyrische also ist der letzte erreichbare Grund pst_223.018
alles Dichterischen (vergleiche Seite 54), das «sunder pst_223.019
warumbe», die Fülle der Tiefe, aus der es entspringt, pst_223.020
um aufzusteigen zur Höhe dramatischer Poesie, über pst_223.021
die hinaus es nicht weitergeht, es sei denn in die Grenzsituationen pst_223.022
des Tragischen oder des Komischen, in denen pst_223.023
der Mensch sich selbst, als sinnliches oder als geistiges pst_223.024
Wesen, zerstört.
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Diese Folge darf aber nicht literaturgeschichtlich ausgelegt pst_223.026
werden, so, als ob behauptet würde, das Dichten pst_223.027
eines einzelnen Menschen oder eines ganzen Volkes beginne pst_223.028
mit dem Lyrischen und ende mit dem Dramatischen. pst_223.029
Lyrisches als lyrische Dichtung, Episches als pst_223.030
epische Dichtung tritt erst in dem Augenblick hervor, pst_223.031
da sich die Sprache der Poesie, mehr oder weniger deutlich,
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