Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_243.001 Solche Differenzen sind ärgerlich und können kaum pst_243.021 pst_243.001 Solche Differenzen sind ärgerlich und können kaum pst_243.021 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0247" n="243"/><lb n="pst_243.001"/> und Drama ergeben. So fanden wir denn auch den reinsten <lb n="pst_243.002"/> lyrischen Stil in Liedern, den reinsten epischen <lb n="pst_243.003"/> Stil im homerischen Epos, während die Bühne, für mancherlei <lb n="pst_243.004"/> Zwecke geeignet, zunächst als Konsequenz des <lb n="pst_243.005"/> dramatischen Stils begreiflich wurde. Vom Standpunkt <lb n="pst_243.006"/> der deutschen Sprache aus zeigen sich hier keine ernstlichen <lb n="pst_243.007"/> Schwierigkeiten. Wohl gibt es auch deutsche Bühnendichter, <lb n="pst_243.008"/> die keinen dramatischen Zug aufweisen. <lb n="pst_243.009"/> Doch neben den großen Klassikern der Bühne kommen <lb n="pst_243.010"/> sie für die Begriffsbestimmung des Dramas kaum in Betracht. <lb n="pst_243.011"/> Ebenso gibt es unzählige deutsche Gedichte, die <lb n="pst_243.012"/> gar nicht lyrisch sind. Dennoch bildet das lyrische Lied <lb n="pst_243.013"/> die Mitte dessen, was Lyrik heißt. Im Englischen, in <lb n="pst_243.014"/> den romanischen Sprachen dagegen sieht alles ganz anders <lb n="pst_243.015"/> aus. Der Engländer wird es kaum verstehen, daß <lb n="pst_243.016"/> Shakespeare nicht als unzweideutig dramatischer Dichter <lb n="pst_243.017"/> gelten soll. Der Italiener denkt, wenn er «lirica» <lb n="pst_243.018"/> sagt, an Petrarcas «Canzoniere». Für uns aber ist Petrarcas <lb n="pst_243.019"/> Werk kein Prototyp des lyrischen Stils.</p> <lb n="pst_243.020"/> <p> Solche Differenzen sind ärgerlich und können kaum <lb n="pst_243.021"/> behoben werden. Indes, genau besehen, liegt hier nur <lb n="pst_243.022"/> ein technisches Problem vor, wie es sich immer stellt, <lb n="pst_243.023"/> wenn Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, <lb n="pst_243.024"/> miteinander zu reden beginnen. Wenn wir dem Engländer <lb n="pst_243.025"/> mitteilen können, was mit den Gattungsbegriffen <lb n="pst_243.026"/> gemeint ist, läßt er sich eine Auslegung von Shakespeares <lb n="pst_243.027"/> Bühnendichtung mit unseren Kategorien vielleicht <lb n="pst_243.028"/> gefallen. Ausgeschlossen wäre es nicht, daß manches <lb n="pst_243.029"/> damit erfaßt werden könnte, was bisher unausgesprochen <lb n="pst_243.030"/> blieb. Ebensowenig würden wir von vornherein <lb n="pst_243.031"/> daran verzweifeln, Calderon oder Lope de Vega </p> </div> </body> </text> </TEI> [243/0247]
pst_243.001
und Drama ergeben. So fanden wir denn auch den reinsten pst_243.002
lyrischen Stil in Liedern, den reinsten epischen pst_243.003
Stil im homerischen Epos, während die Bühne, für mancherlei pst_243.004
Zwecke geeignet, zunächst als Konsequenz des pst_243.005
dramatischen Stils begreiflich wurde. Vom Standpunkt pst_243.006
der deutschen Sprache aus zeigen sich hier keine ernstlichen pst_243.007
Schwierigkeiten. Wohl gibt es auch deutsche Bühnendichter, pst_243.008
die keinen dramatischen Zug aufweisen. pst_243.009
Doch neben den großen Klassikern der Bühne kommen pst_243.010
sie für die Begriffsbestimmung des Dramas kaum in Betracht. pst_243.011
Ebenso gibt es unzählige deutsche Gedichte, die pst_243.012
gar nicht lyrisch sind. Dennoch bildet das lyrische Lied pst_243.013
die Mitte dessen, was Lyrik heißt. Im Englischen, in pst_243.014
den romanischen Sprachen dagegen sieht alles ganz anders pst_243.015
aus. Der Engländer wird es kaum verstehen, daß pst_243.016
Shakespeare nicht als unzweideutig dramatischer Dichter pst_243.017
gelten soll. Der Italiener denkt, wenn er «lirica» pst_243.018
sagt, an Petrarcas «Canzoniere». Für uns aber ist Petrarcas pst_243.019
Werk kein Prototyp des lyrischen Stils.
pst_243.020
Solche Differenzen sind ärgerlich und können kaum pst_243.021
behoben werden. Indes, genau besehen, liegt hier nur pst_243.022
ein technisches Problem vor, wie es sich immer stellt, pst_243.023
wenn Menschen, die verschiedene Sprachen sprechen, pst_243.024
miteinander zu reden beginnen. Wenn wir dem Engländer pst_243.025
mitteilen können, was mit den Gattungsbegriffen pst_243.026
gemeint ist, läßt er sich eine Auslegung von Shakespeares pst_243.027
Bühnendichtung mit unseren Kategorien vielleicht pst_243.028
gefallen. Ausgeschlossen wäre es nicht, daß manches pst_243.029
damit erfaßt werden könnte, was bisher unausgesprochen pst_243.030
blieb. Ebensowenig würden wir von vornherein pst_243.031
daran verzweifeln, Calderon oder Lope de Vega
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription.
(2015-09-30T09:54:39Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination
Weitere Informationen:Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |