Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.pst_090.001 Das Gleichmaß bedeutet den Gleichmut des Dichters, pst_090.004 Ein Urbild solchen Gegenübers ist jene Szene der pst_090.013 pst_090.028 "Wehe mir, Tydeus' Sohn, des feurigen Rossebezähmers, pst_090.029
Wie du erbebst! wie du bang umschaust nach den pst_090.030 Pfaden des Treffens!" pst_090.001 Das Gleichmaß bedeutet den Gleichmut des Dichters, pst_090.004 Ein Urbild solchen Gegenübers ist jene Szene der pst_090.013 pst_090.028 «Wehe mir, Tydeus' Sohn, des feurigen Rossebezähmers, pst_090.029
Wie du erbebst! wie du bang umschaust nach den pst_090.030 Pfaden des Treffens!» <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0094" n="90"/><lb n="pst_090.001"/> wo die Erzählung in eine weitgespannte Strophe <lb n="pst_090.002"/> mit ganz verschiedenen Versen eingelegt ist.</p> <lb n="pst_090.003"/> <p> Das Gleichmaß bedeutet den Gleichmut des Dichters, <lb n="pst_090.004"/> der keiner Stimmung verfällt, dem nicht bald so, <lb n="pst_090.005"/> bald wieder anders zumut ist. Homer steigt aus dem <lb n="pst_090.006"/> Strom des Daseins empor und steht befestigt, unbewegt <lb n="pst_090.007"/> den Dingen gegenüber. Er sieht sie von einem Standpunkt <lb n="pst_090.008"/> aus, in einer bestimmten Perspektive. Die Perspektive <lb n="pst_090.009"/> ist in der Rhythmik seines Verses festgelegt <lb n="pst_090.010"/> und sichert ihm seine Identität, ein Stetiges in der Erscheinungen <lb n="pst_090.011"/> Flucht.</p> <lb n="pst_090.012"/> <p> Ein Urbild solchen Gegenübers ist jene Szene der <lb n="pst_090.013"/> «Ilias», da Zeus die Pferde anschirrt, auf den Ida fährt <lb n="pst_090.014"/> und von dort auf die Feste Troia herabblickt, um über <lb n="pst_090.015"/> das Kriegsglück zu entscheiden; oder die Teichoskopie, <lb n="pst_090.016"/> der Blick von den Mauern herab im dritten Gesang, wo <lb n="pst_090.017"/> Priamos sich von Helena die griechischen Helden nennen <lb n="pst_090.018"/> läßt. So, vom gesicherten Standpunkt aus, schaut <lb n="pst_090.019"/> sich Homer das Leben an. Er nimmt nicht selber daran <lb n="pst_090.020"/> Teil. Er geht nicht auf im Geschehen. Es trägt ihn <lb n="pst_090.021"/> nicht, wie den lyrischen Dichter, dahin. Wie wenig er <lb n="pst_090.022"/> selbst bewegt ist, verrät sich in jenen Abschweifungen, <lb n="pst_090.023"/> an die man sich zwar mit der Zeit gewöhnt, die aber <lb n="pst_090.024"/> jeden, der sie zum erstenmal liest, in Erstaunen versetzen. <lb n="pst_090.025"/> Zum Beispiel im vierten Gesang: Agamemnon <lb n="pst_090.026"/> treibt das Heer zum Kampf; er findet Diomedes müßig <lb n="pst_090.027"/> und fährt ihn unwirsch an:</p> <space dim="vertical"/> <lb n="pst_090.028"/> <lg> <l>«Wehe mir, Tydeus' Sohn, des feurigen Rossebezähmers,</l> <lb n="pst_090.029"/> <l>Wie du erbebst! wie du bang umschaust nach den</l> <lb n="pst_090.030"/> <l> <hi rendition="#et">Pfaden des Treffens!»</hi> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [90/0094]
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wo die Erzählung in eine weitgespannte Strophe pst_090.002
mit ganz verschiedenen Versen eingelegt ist.
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Das Gleichmaß bedeutet den Gleichmut des Dichters, pst_090.004
der keiner Stimmung verfällt, dem nicht bald so, pst_090.005
bald wieder anders zumut ist. Homer steigt aus dem pst_090.006
Strom des Daseins empor und steht befestigt, unbewegt pst_090.007
den Dingen gegenüber. Er sieht sie von einem Standpunkt pst_090.008
aus, in einer bestimmten Perspektive. Die Perspektive pst_090.009
ist in der Rhythmik seines Verses festgelegt pst_090.010
und sichert ihm seine Identität, ein Stetiges in der Erscheinungen pst_090.011
Flucht.
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Ein Urbild solchen Gegenübers ist jene Szene der pst_090.013
«Ilias», da Zeus die Pferde anschirrt, auf den Ida fährt pst_090.014
und von dort auf die Feste Troia herabblickt, um über pst_090.015
das Kriegsglück zu entscheiden; oder die Teichoskopie, pst_090.016
der Blick von den Mauern herab im dritten Gesang, wo pst_090.017
Priamos sich von Helena die griechischen Helden nennen pst_090.018
läßt. So, vom gesicherten Standpunkt aus, schaut pst_090.019
sich Homer das Leben an. Er nimmt nicht selber daran pst_090.020
Teil. Er geht nicht auf im Geschehen. Es trägt ihn pst_090.021
nicht, wie den lyrischen Dichter, dahin. Wie wenig er pst_090.022
selbst bewegt ist, verrät sich in jenen Abschweifungen, pst_090.023
an die man sich zwar mit der Zeit gewöhnt, die aber pst_090.024
jeden, der sie zum erstenmal liest, in Erstaunen versetzen. pst_090.025
Zum Beispiel im vierten Gesang: Agamemnon pst_090.026
treibt das Heer zum Kampf; er findet Diomedes müßig pst_090.027
und fährt ihn unwirsch an:
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«Wehe mir, Tydeus' Sohn, des feurigen Rossebezähmers, pst_090.029
Wie du erbebst! wie du bang umschaust nach den pst_090.030
Pfaden des Treffens!»
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