Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946.

Bild:
<< vorherige Seite
pst_091.001

Homer ist weit entfernt, die Gemütsbewegung des Königs pst_091.002
zu teilen. Vielmehr überträgt sich seine Beschaulichkeit pst_091.003
auf Agamemnon, der, unbekümmert um die pst_091.004
dringliche Lage, eine Geschichte von Tydeus' Tapferkeit pst_091.005
zu erzählen beginnt:

pst_091.006

"Nie hat Tydeus wahrlich so gar zu verzagen geliebet, pst_091.007
Sondern weit den Genossen voraus in die Feinde zu pst_091.008
sprengen. pst_091.009
Also erzählt, wer ihn sah in der Kriegsarbeit: denn ich pst_091.010
selber pst_091.011
Traf und erblickt' ihn nie; doch strebet' er, sagt man, pst_091.012
vor andern. pst_091.013
Vormals kam, sich entfernend vom Krieg, der Held in pst_091.014
Mykene pst_091.015
Gastlich, samt Polyneikes, dem Göttlichen, Volk zu pst_091.016
versammeln, pst_091.017
Weil sie mit Streit bezogen die heiligen Mauern von pst_091.018
Thebe; pst_091.019
Und sie fleheten sehr um rühmliche Bundesgenossen. pst_091.020
Jen' auch wollten gewähren und billigten, was sie pst_091.021
gefordert; pst_091.022
Doch Zeus wendete solches durch unglückdrohende pst_091.023
Zeichen ..."
   (IV, 370 ff.)

pst_091.024

Und so fort über zwanzig Verse, nach deren gelassenem pst_091.025
Vortrag sich Agamemnon wieder zum Grimm pst_091.026
aufrafft:

pst_091.027
"So war Tydeus einst, der Ätolier! Aber der Sohn hier pst_091.028
Ist ein schlechterer Held in der Schlacht, doch ein pst_091.029
besserer Redner."
pst_091.001

Homer ist weit entfernt, die Gemütsbewegung des Königs pst_091.002
zu teilen. Vielmehr überträgt sich seine Beschaulichkeit pst_091.003
auf Agamemnon, der, unbekümmert um die pst_091.004
dringliche Lage, eine Geschichte von Tydeus' Tapferkeit pst_091.005
zu erzählen beginnt:

pst_091.006

«Nie hat Tydeus wahrlich so gar zu verzagen geliebet, pst_091.007
Sondern weit den Genossen voraus in die Feinde zu pst_091.008
sprengen. pst_091.009
Also erzählt, wer ihn sah in der Kriegsarbeit: denn ich pst_091.010
selber pst_091.011
Traf und erblickt' ihn nie; doch strebet' er, sagt man, pst_091.012
vor andern. pst_091.013
Vormals kam, sich entfernend vom Krieg, der Held in pst_091.014
Mykene pst_091.015
Gastlich, samt Polyneikes, dem Göttlichen, Volk zu pst_091.016
versammeln, pst_091.017
Weil sie mit Streit bezogen die heiligen Mauern von pst_091.018
Thebe; pst_091.019
Und sie fleheten sehr um rühmliche Bundesgenossen. pst_091.020
Jen' auch wollten gewähren und billigten, was sie pst_091.021
gefordert; pst_091.022
Doch Zeus wendete solches durch unglückdrohende pst_091.023
Zeichen ...»
   (IV, 370 ff.)

pst_091.024

Und so fort über zwanzig Verse, nach deren gelassenem pst_091.025
Vortrag sich Agamemnon wieder zum Grimm pst_091.026
aufrafft:

pst_091.027
«So war Tydeus einst, der Ätolier! Aber der Sohn hier pst_091.028
Ist ein schlechterer Held in der Schlacht, doch ein pst_091.029
besserer Redner.»
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0095" n="91"/>
          <lb n="pst_091.001"/>
          <p>Homer ist weit entfernt, die Gemütsbewegung des Königs <lb n="pst_091.002"/>
zu teilen. Vielmehr überträgt sich seine Beschaulichkeit <lb n="pst_091.003"/>
auf Agamemnon, der, unbekümmert um die <lb n="pst_091.004"/>
dringliche Lage, eine Geschichte von Tydeus' Tapferkeit <lb n="pst_091.005"/>
zu erzählen beginnt:</p>
          <p><lb n="pst_091.006"/><lg><l>«Nie hat Tydeus wahrlich so gar zu verzagen geliebet,</l><lb n="pst_091.007"/><l>Sondern weit den Genossen voraus in die Feinde zu</l><lb n="pst_091.008"/><l><hi rendition="#et">sprengen.</hi></l><lb n="pst_091.009"/><l>Also erzählt, wer ihn sah in der Kriegsarbeit: denn ich</l><lb n="pst_091.010"/><l><hi rendition="#et">selber</hi></l><lb n="pst_091.011"/><l>Traf und erblickt' ihn nie; doch strebet' er, sagt man,</l><lb n="pst_091.012"/><l><hi rendition="#et">vor andern.</hi></l><lb n="pst_091.013"/><l>Vormals kam, sich entfernend vom Krieg, der Held in</l><lb n="pst_091.014"/><l><hi rendition="#et">Mykene</hi></l><lb n="pst_091.015"/><l>Gastlich, samt Polyneikes, dem Göttlichen, Volk zu</l><lb n="pst_091.016"/><l><hi rendition="#et">versammeln,</hi></l><lb n="pst_091.017"/><l>Weil sie mit Streit bezogen die heiligen Mauern von</l><lb n="pst_091.018"/><l><hi rendition="#et">Thebe;</hi></l><lb n="pst_091.019"/><l>Und sie fleheten sehr um rühmliche Bundesgenossen.</l><lb n="pst_091.020"/><l>Jen' auch wollten gewähren und billigten, was sie</l><lb n="pst_091.021"/><l><hi rendition="#et">gefordert;</hi></l><lb n="pst_091.022"/><l>Doch Zeus wendete solches durch unglückdrohende</l><lb n="pst_091.023"/><l><hi rendition="#et">Zeichen ...»</hi></l></lg><space dim="horizontal"/>(IV, 370 ff.)</p>
          <lb n="pst_091.024"/>
          <p>Und so fort über zwanzig Verse, nach deren gelassenem <lb n="pst_091.025"/>
Vortrag sich Agamemnon wieder zum Grimm <lb n="pst_091.026"/>
aufrafft:</p>
          <lb n="pst_091.027"/>
          <lg>
            <l>«So war Tydeus einst, der Ätolier! Aber der Sohn hier</l>
            <lb n="pst_091.028"/>
            <l>Ist ein schlechterer Held in der Schlacht, doch ein</l>
            <lb n="pst_091.029"/>
            <l> <hi rendition="#et">besserer Redner.»</hi> </l>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[91/0095] pst_091.001 Homer ist weit entfernt, die Gemütsbewegung des Königs pst_091.002 zu teilen. Vielmehr überträgt sich seine Beschaulichkeit pst_091.003 auf Agamemnon, der, unbekümmert um die pst_091.004 dringliche Lage, eine Geschichte von Tydeus' Tapferkeit pst_091.005 zu erzählen beginnt: pst_091.006 «Nie hat Tydeus wahrlich so gar zu verzagen geliebet, pst_091.007 Sondern weit den Genossen voraus in die Feinde zu pst_091.008 sprengen. pst_091.009 Also erzählt, wer ihn sah in der Kriegsarbeit: denn ich pst_091.010 selber pst_091.011 Traf und erblickt' ihn nie; doch strebet' er, sagt man, pst_091.012 vor andern. pst_091.013 Vormals kam, sich entfernend vom Krieg, der Held in pst_091.014 Mykene pst_091.015 Gastlich, samt Polyneikes, dem Göttlichen, Volk zu pst_091.016 versammeln, pst_091.017 Weil sie mit Streit bezogen die heiligen Mauern von pst_091.018 Thebe; pst_091.019 Und sie fleheten sehr um rühmliche Bundesgenossen. pst_091.020 Jen' auch wollten gewähren und billigten, was sie pst_091.021 gefordert; pst_091.022 Doch Zeus wendete solches durch unglückdrohende pst_091.023 Zeichen ...» (IV, 370 ff.) pst_091.024 Und so fort über zwanzig Verse, nach deren gelassenem pst_091.025 Vortrag sich Agamemnon wieder zum Grimm pst_091.026 aufrafft: pst_091.027 «So war Tydeus einst, der Ätolier! Aber der Sohn hier pst_091.028 Ist ein schlechterer Held in der Schlacht, doch ein pst_091.029 besserer Redner.»

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Technische Universität Darmstadt, Universität Stuttgart: Bereitstellung der Scan-Digitalisate und der Texttranskription. (2015-09-30T09:54:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
TextGrid/DARIAH-DE: Langfristige Bereitstellung der TextGrid/DARIAH-DE-Repository-Ausgabe
Stefan Alscher: Bearbeitung der digitalen Edition - Annotation des Metaphernbegriffs
Hans-Werner Bartz: Bearbeitung der digitalen Edition - Tustep-Unterstützung
Michael Bender: Bearbeitung der digitalen Edition - Koordination, Konzeption (Korpusaufbau, Annotationsschema, Workflow, Publikationsformen), Annotation des Metaphernbegriffs, XML-Auszeichnung)
Leonie Blumenschein: Bearbeitung der digitalen Edition - XML-Auszeichnung
David Glück: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung, Annotation des Metaphernbegriffs, XSL+JavaScript
Constanze Hahn: Bearbeitung der digitalen Edition - Korpusaufbau, XML-Auszeichnung
Philipp Hegel: Bearbeitung der digitalen Edition - XML/XSL/CSS-Unterstützung
Andrea Rapp: ePoetics-Projekt-Koordination

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: keine Angabe; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: wie Vorlage; I/J in Fraktur: wie Vorlage; Kolumnentitel: nicht übernommen; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): wie Vorlage; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): wie Vorlage; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: nicht übernommen; u/v bzw. U/V: wie Vorlage; Vokale mit übergest. e: wie Vorlage; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: ja;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/95
Zitationshilfe: Staiger, Emil: Grundbegriffe der Poetik. Zürich, 1946, S. 91. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/staiger_poetik_1946/95>, abgerufen am 23.11.2024.