nur einen Credit des Einzelnen. Es ist überflüssig, das hier zu begründen. Jedem Creditgeben muß daher das wirthschaftliche Urtheil des Einzelnen über die Creditfähigkeit des Einzelnen voraufgehen; denn im höheren Sinne ist nicht der Creditbedarf, sondern die Credit fähig- keit die sowohl wirthschaftliche als gesellschaftliche Berechtigung zum Credit. Der Staat als Persönlichkeit hat nun dieses Urtheil faktisch nicht, weil es seiner Natur widerspricht, es zu besitzen. Denn vor dem Staate sind alle Angehörigen gleich; ein gleicher Credit für Alle ist ein Unsinn. Soll daher dennoch der Staat in das Creditwesen eingreifen, so kann er das organisch nur in der Form, in welcher er in seiner ganzen Verwaltung, also auch im Creditwesen, dasjenige Element zur Geltung und zur Theilnahme an seiner Thätigkeit bringt, ohne welches kein Creditwesen bestehen kann. Das Element ist das der Individualität und ihrer individuellen Auffassung und Thätigkeit im öffentlichen Leben. Die große Form, in welcher der Staat das Element der individuellen Persönlichkeit für seine Verwaltung verwendet, ist nun das Vereinswesen. Das Vereinswesen allein hat die Fähigkeit, in seiner allgemeinen Thätigkeit auch das individuelle Leben, die individuelle Wirthschaft und Tüchtigkeit wie das individuelle Be- dürfniß zur Geltung zu bringen. Das Vereinswesen ist daher auch allein fähig, das öffentliche Element in dem Creditwesen zum Ver- ständniß und zur Verwirklichung zu bringen, während es ohne das- selbe ein ewig unfertiger Widerspruch bleibt. Es bedarf nicht einmal des Bewußtseins davon, daß es diese Funktion hat; es vollzieht dieselbe seiner Natur nach von selbst. Und wir sagen daher, daß aus der wirthschaftlichen Organisation des Creditwesens die öffentliche auf dem Punkte wird, wo das Vereinswesen durch seine Creditvereine im weitesten Sinne des Wortes die Creditverwaltung der Volkswirthschaft in die Hand nimmt.
Natürlich nun übernimmt das Vereinswesen das Creditwesen weder in seinem ganzen Umfang, noch ohne Unterschied, noch wird es gesetzlich oder durch die Regierung dazu berufen, noch arbeitet es, einmal in Bewegung gesetzt, von jenem höchsten Standpunkt eines allgemeinen Interesses. Im Gegentheil tritt es langsam, stückweise, vorsichtig an die Stelle des Einzelcredits; es bildet sich von selbst, und tritt nur insofern auf, als es aus dem Creditgeben einen Erwerb macht; es will eben nur diesen Erwerb, und überläßt mit vollem Recht die wirth- schaftlichen und gesellschaftlichen Folgen jener Thätigkeit der Natur der Dinge. Die Creditvereine sind daher zuerst Erwerbgesellschaften. Als solche haben sie ihre historische Entwicklung, die von Gesetzgebung und Theorie unabhängig, sich wesentlich nach dem Gesetze der Produk-
nur einen Credit des Einzelnen. Es iſt überflüſſig, das hier zu begründen. Jedem Creditgeben muß daher das wirthſchaftliche Urtheil des Einzelnen über die Creditfähigkeit des Einzelnen voraufgehen; denn im höheren Sinne iſt nicht der Creditbedarf, ſondern die Credit fähig- keit die ſowohl wirthſchaftliche als geſellſchaftliche Berechtigung zum Credit. Der Staat als Perſönlichkeit hat nun dieſes Urtheil faktiſch nicht, weil es ſeiner Natur widerſpricht, es zu beſitzen. Denn vor dem Staate ſind alle Angehörigen gleich; ein gleicher Credit für Alle iſt ein Unſinn. Soll daher dennoch der Staat in das Creditweſen eingreifen, ſo kann er das organiſch nur in der Form, in welcher er in ſeiner ganzen Verwaltung, alſo auch im Creditweſen, dasjenige Element zur Geltung und zur Theilnahme an ſeiner Thätigkeit bringt, ohne welches kein Creditweſen beſtehen kann. Das Element iſt das der Individualität und ihrer individuellen Auffaſſung und Thätigkeit im öffentlichen Leben. Die große Form, in welcher der Staat das Element der individuellen Perſönlichkeit für ſeine Verwaltung verwendet, iſt nun das Vereinsweſen. Das Vereinsweſen allein hat die Fähigkeit, in ſeiner allgemeinen Thätigkeit auch das individuelle Leben, die individuelle Wirthſchaft und Tüchtigkeit wie das individuelle Be- dürfniß zur Geltung zu bringen. Das Vereinsweſen iſt daher auch allein fähig, das öffentliche Element in dem Creditweſen zum Ver- ſtändniß und zur Verwirklichung zu bringen, während es ohne das- ſelbe ein ewig unfertiger Widerſpruch bleibt. Es bedarf nicht einmal des Bewußtſeins davon, daß es dieſe Funktion hat; es vollzieht dieſelbe ſeiner Natur nach von ſelbſt. Und wir ſagen daher, daß aus der wirthſchaftlichen Organiſation des Creditweſens die öffentliche auf dem Punkte wird, wo das Vereinsweſen durch ſeine Creditvereine im weiteſten Sinne des Wortes die Creditverwaltung der Volkswirthſchaft in die Hand nimmt.
Natürlich nun übernimmt das Vereinsweſen das Creditweſen weder in ſeinem ganzen Umfang, noch ohne Unterſchied, noch wird es geſetzlich oder durch die Regierung dazu berufen, noch arbeitet es, einmal in Bewegung geſetzt, von jenem höchſten Standpunkt eines allgemeinen Intereſſes. Im Gegentheil tritt es langſam, ſtückweiſe, vorſichtig an die Stelle des Einzelcredits; es bildet ſich von ſelbſt, und tritt nur inſofern auf, als es aus dem Creditgeben einen Erwerb macht; es will eben nur dieſen Erwerb, und überläßt mit vollem Recht die wirth- ſchaftlichen und geſellſchaftlichen Folgen jener Thätigkeit der Natur der Dinge. Die Creditvereine ſind daher zuerſt Erwerbgeſellſchaften. Als ſolche haben ſie ihre hiſtoriſche Entwicklung, die von Geſetzgebung und Theorie unabhängig, ſich weſentlich nach dem Geſetze der Produk-
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nur einen Credit des Einzelnen. Es iſt überflüſſig, das hier zu
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des Einzelnen über die Creditfähigkeit des Einzelnen voraufgehen; denn
im höheren Sinne iſt nicht der Creditbedarf, ſondern die Credit fähig-
keit die ſowohl wirthſchaftliche als geſellſchaftliche Berechtigung zum
Credit. Der Staat als Perſönlichkeit hat nun dieſes Urtheil faktiſch
nicht, weil es ſeiner Natur widerſpricht, es zu beſitzen. Denn vor
dem Staate ſind alle Angehörigen gleich; ein gleicher Credit für Alle
iſt ein Unſinn. Soll daher dennoch der Staat in das Creditweſen
eingreifen, ſo kann er das organiſch nur in der Form, in welcher er
in ſeiner ganzen Verwaltung, alſo auch im Creditweſen, dasjenige
Element zur Geltung und zur Theilnahme an ſeiner Thätigkeit bringt,
ohne welches kein Creditweſen beſtehen kann. Das Element iſt das
der Individualität und ihrer individuellen Auffaſſung und Thätigkeit
im öffentlichen Leben. Die große Form, in welcher der Staat das
Element der individuellen Perſönlichkeit für ſeine Verwaltung verwendet,
iſt nun das Vereinsweſen. Das Vereinsweſen allein hat die
Fähigkeit, in ſeiner allgemeinen Thätigkeit auch das individuelle Leben,
die individuelle Wirthſchaft und Tüchtigkeit wie das individuelle Be-
dürfniß zur Geltung zu bringen. Das Vereinsweſen iſt daher auch
allein fähig, das öffentliche Element in dem Creditweſen zum Ver-
ſtändniß und zur Verwirklichung zu bringen, während es ohne das-
ſelbe ein ewig unfertiger Widerſpruch bleibt. Es bedarf nicht einmal
des Bewußtſeins davon, daß es dieſe Funktion hat; es vollzieht dieſelbe
ſeiner Natur nach von ſelbſt. Und wir ſagen daher, daß aus der
wirthſchaftlichen Organiſation des Creditweſens die öffentliche auf dem
Punkte wird, wo das Vereinsweſen durch ſeine Creditvereine
im weiteſten Sinne des Wortes die Creditverwaltung der
Volkswirthſchaft in die Hand nimmt.
Natürlich nun übernimmt das Vereinsweſen das Creditweſen weder
in ſeinem ganzen Umfang, noch ohne Unterſchied, noch wird es geſetzlich
oder durch die Regierung dazu berufen, noch arbeitet es, einmal in
Bewegung geſetzt, von jenem höchſten Standpunkt eines allgemeinen
Intereſſes. Im Gegentheil tritt es langſam, ſtückweiſe, vorſichtig an
die Stelle des Einzelcredits; es bildet ſich von ſelbſt, und tritt nur
inſofern auf, als es aus dem Creditgeben einen Erwerb macht; es
will eben nur dieſen Erwerb, und überläßt mit vollem Recht die wirth-
ſchaftlichen und geſellſchaftlichen Folgen jener Thätigkeit der Natur der
Dinge. Die Creditvereine ſind daher zuerſt Erwerbgeſellſchaften.
Als ſolche haben ſie ihre hiſtoriſche Entwicklung, die von Geſetzgebung
und Theorie unabhängig, ſich weſentlich nach dem Geſetze der Produk-
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/272>, abgerufen am 22.11.2024.
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