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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870.

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weisbare Folge, daß entweder auch in der größten Noth kein Darlehen
gegeben oder der gesetzliche Zinsfuß umgangen wird. Es gibt kein
Mittel der Gesetzgebung oder Verwaltung, diese Folgen zu hindern.
Das erstere aber ist für den Schuldner noch verderblicher wie der hohe
Zins, das zweite untergräbt das Rechtsgefühl im Namen der National-
ökonomie und hindert die wirthschaftlichen Folgen des Wuchers dennoch
nicht. Es ergibt sich daraus, daß der volkswirthschaftliche Wucher durch
staatliche Maßregeln darum nicht zu bekämpfen ist, weil man ihn nie-
mals
von dem wirthschaftlich berechtigten Zinsfuß scheiden kann. Alle
dahinzielenden Versuche enden mit der völligen Erfolglosigkeit derselben.
Es kann als ein durch Jahrhunderte lange Kämpfe definitiv gewonnenes
Ergebniß angesehen werden, daß jeder gesetzliche Zinsfuß geradezu
falsch und jede andere Beschränkung des Darlehens nutzlos ist.

Dennoch ist der zu hohe Zinsfuß ein Uebel, der Wucher ein un-
sittliches und gefährliches Element und das Streben, beide zu beseitigen,
ein natürliches und berechtigtes. Es ist aber klar, daß der nothleidende
Einzelne sich nicht selbst gegen jene Gefahr schützen kann, eben so wenig
vermag es die Regierung. Hier zuerst tritt daher im Credit das Ver-
einswesen
auf. Es besitzt allein die Fähigkeit, ohne Ausbeutung
der Noth den Zins nach seiner wirthschaftlich gerechtfertigten Höhe zu
bestimmen und das Darlehen zu geben. Die Hülfe gegen Wucher und
zu hohen Zins liegt daher im Creditvereinswesen, und wir stellen
daher fest, daß dieses Creditvereinswesen alle Wucher- und Zinsgesetze
überflüssig macht; wo der Creditverein nicht mehr helfen kann, ist jede
Hülfe überhaupt vergebens; das Vereinswesen allein ist fähig und
bestimmt, das gesammte Wucherrecht zu beseitigen und auch hier der
Capitalsbewegung im Darlehen seine volle Freiheit wieder-
zugeben
.

Wenn aber trotzdem die Wuchergesetze bis auf die neueste Zeit
bestanden haben, so muß der Grund dafür, wie die Gewalt welche sie
bewältigt hat, nicht in Nationalökonomie und Verwaltung, sondern
wieder in der Gesellschaft gesucht werden.

Die Geschlechterordnung nämlich sowohl als die Ständeordnung
beruhen auf dem Grundbesitze; jene ganz, diese in allem Wesentlichen.
In beiden ist die Stellung, die Ehre, ja das Recht jedes Einzelnen
durch seinen Grundbesitz bedingt. Nun aber bietet der Grundbesitz
zwar große Sicherheit des Capitals, aber er hat geringe Fähigkeit zur
Rückzahlung und zum Zinserträgniß; je höher der Zinsfuß, je schwerer
die Rückzahlung. Der Darleiher hat daher vermöge seines Rechts auf
Exekution gegen den Grundbesitz, namentlich aber bei hohem Zins,
die ganze gesellschaftliche und rechtliche Stellung des Debitors in der

weisbare Folge, daß entweder auch in der größten Noth kein Darlehen
gegeben oder der geſetzliche Zinsfuß umgangen wird. Es gibt kein
Mittel der Geſetzgebung oder Verwaltung, dieſe Folgen zu hindern.
Das erſtere aber iſt für den Schuldner noch verderblicher wie der hohe
Zins, das zweite untergräbt das Rechtsgefühl im Namen der National-
ökonomie und hindert die wirthſchaftlichen Folgen des Wuchers dennoch
nicht. Es ergibt ſich daraus, daß der volkswirthſchaftliche Wucher durch
ſtaatliche Maßregeln darum nicht zu bekämpfen iſt, weil man ihn nie-
mals
von dem wirthſchaftlich berechtigten Zinsfuß ſcheiden kann. Alle
dahinzielenden Verſuche enden mit der völligen Erfolgloſigkeit derſelben.
Es kann als ein durch Jahrhunderte lange Kämpfe definitiv gewonnenes
Ergebniß angeſehen werden, daß jeder geſetzliche Zinsfuß geradezu
falſch und jede andere Beſchränkung des Darlehens nutzlos iſt.

Dennoch iſt der zu hohe Zinsfuß ein Uebel, der Wucher ein un-
ſittliches und gefährliches Element und das Streben, beide zu beſeitigen,
ein natürliches und berechtigtes. Es iſt aber klar, daß der nothleidende
Einzelne ſich nicht ſelbſt gegen jene Gefahr ſchützen kann, eben ſo wenig
vermag es die Regierung. Hier zuerſt tritt daher im Credit das Ver-
einsweſen
auf. Es beſitzt allein die Fähigkeit, ohne Ausbeutung
der Noth den Zins nach ſeiner wirthſchaftlich gerechtfertigten Höhe zu
beſtimmen und das Darlehen zu geben. Die Hülfe gegen Wucher und
zu hohen Zins liegt daher im Creditvereinsweſen, und wir ſtellen
daher feſt, daß dieſes Creditvereinsweſen alle Wucher- und Zinsgeſetze
überflüſſig macht; wo der Creditverein nicht mehr helfen kann, iſt jede
Hülfe überhaupt vergebens; das Vereinsweſen allein iſt fähig und
beſtimmt, das geſammte Wucherrecht zu beſeitigen und auch hier der
Capitalsbewegung im Darlehen ſeine volle Freiheit wieder-
zugeben
.

Wenn aber trotzdem die Wuchergeſetze bis auf die neueſte Zeit
beſtanden haben, ſo muß der Grund dafür, wie die Gewalt welche ſie
bewältigt hat, nicht in Nationalökonomie und Verwaltung, ſondern
wieder in der Geſellſchaft geſucht werden.

Die Geſchlechterordnung nämlich ſowohl als die Ständeordnung
beruhen auf dem Grundbeſitze; jene ganz, dieſe in allem Weſentlichen.
In beiden iſt die Stellung, die Ehre, ja das Recht jedes Einzelnen
durch ſeinen Grundbeſitz bedingt. Nun aber bietet der Grundbeſitz
zwar große Sicherheit des Capitals, aber er hat geringe Fähigkeit zur
Rückzahlung und zum Zinserträgniß; je höher der Zinsfuß, je ſchwerer
die Rückzahlung. Der Darleiher hat daher vermöge ſeines Rechts auf
Exekution gegen den Grundbeſitz, namentlich aber bei hohem Zins,
die ganze geſellſchaftliche und rechtliche Stellung des Debitors in der

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[254/0278] weisbare Folge, daß entweder auch in der größten Noth kein Darlehen gegeben oder der geſetzliche Zinsfuß umgangen wird. Es gibt kein Mittel der Geſetzgebung oder Verwaltung, dieſe Folgen zu hindern. Das erſtere aber iſt für den Schuldner noch verderblicher wie der hohe Zins, das zweite untergräbt das Rechtsgefühl im Namen der National- ökonomie und hindert die wirthſchaftlichen Folgen des Wuchers dennoch nicht. Es ergibt ſich daraus, daß der volkswirthſchaftliche Wucher durch ſtaatliche Maßregeln darum nicht zu bekämpfen iſt, weil man ihn nie- mals von dem wirthſchaftlich berechtigten Zinsfuß ſcheiden kann. Alle dahinzielenden Verſuche enden mit der völligen Erfolgloſigkeit derſelben. Es kann als ein durch Jahrhunderte lange Kämpfe definitiv gewonnenes Ergebniß angeſehen werden, daß jeder geſetzliche Zinsfuß geradezu falſch und jede andere Beſchränkung des Darlehens nutzlos iſt. Dennoch iſt der zu hohe Zinsfuß ein Uebel, der Wucher ein un- ſittliches und gefährliches Element und das Streben, beide zu beſeitigen, ein natürliches und berechtigtes. Es iſt aber klar, daß der nothleidende Einzelne ſich nicht ſelbſt gegen jene Gefahr ſchützen kann, eben ſo wenig vermag es die Regierung. Hier zuerſt tritt daher im Credit das Ver- einsweſen auf. Es beſitzt allein die Fähigkeit, ohne Ausbeutung der Noth den Zins nach ſeiner wirthſchaftlich gerechtfertigten Höhe zu beſtimmen und das Darlehen zu geben. Die Hülfe gegen Wucher und zu hohen Zins liegt daher im Creditvereinsweſen, und wir ſtellen daher feſt, daß dieſes Creditvereinsweſen alle Wucher- und Zinsgeſetze überflüſſig macht; wo der Creditverein nicht mehr helfen kann, iſt jede Hülfe überhaupt vergebens; das Vereinsweſen allein iſt fähig und beſtimmt, das geſammte Wucherrecht zu beſeitigen und auch hier der Capitalsbewegung im Darlehen ſeine volle Freiheit wieder- zugeben. Wenn aber trotzdem die Wuchergeſetze bis auf die neueſte Zeit beſtanden haben, ſo muß der Grund dafür, wie die Gewalt welche ſie bewältigt hat, nicht in Nationalökonomie und Verwaltung, ſondern wieder in der Geſellſchaft geſucht werden. Die Geſchlechterordnung nämlich ſowohl als die Ständeordnung beruhen auf dem Grundbeſitze; jene ganz, dieſe in allem Weſentlichen. In beiden iſt die Stellung, die Ehre, ja das Recht jedes Einzelnen durch ſeinen Grundbeſitz bedingt. Nun aber bietet der Grundbeſitz zwar große Sicherheit des Capitals, aber er hat geringe Fähigkeit zur Rückzahlung und zum Zinserträgniß; je höher der Zinsfuß, je ſchwerer die Rückzahlung. Der Darleiher hat daher vermöge ſeines Rechts auf Exekution gegen den Grundbeſitz, namentlich aber bei hohem Zins, die ganze geſellſchaftliche und rechtliche Stellung des Debitors in der

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Zitationshilfe: Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/278>, abgerufen am 22.11.2024.