langsam aber systematisch fortschreitende rechtliche Befreiung der Land- wirthschaft von der Grundherrlichkeit enthält, und die wir als Grund- entlastungs- und Ablösungswesen bezeichnen. Beides sind nicht Maßregeln für die Entwicklung der eigentlichen Landwirthschaft, sondern nur die rechtlichen Voraussetzungen derselben. Erst da, wo beide wenig- stens principiell zur Geltung gelangt sind, entstehen die beiden großen, die Landwirthschaft besonders betreffenden Fragen und ihr Recht, das Recht der Theilbarkeit und das Recht des Schutzes durch den Kornzoll. Die erste beginnt bei der Frage nach den Gemein- heitstheilungen bereits im vorigen Jahrhundert und geht allmählig von dem Princip der absoluten Theilungspflicht über zu dem Gedanken, die Gemeindeweide als Grundlage der Gemeindefinanzen zu betrachten; die Kornzollfrage, ursprünglich das Gebiet strengen Schutzes, wird mit unserem Jahrhundert die eigentliche Heimath des Freihandels. Die erste schließt sich daher mehr an die socialen Gegensätze, die zweite an die Entwicklung der Industrie an. Je bestimmter nun alle diese Ge- biete im Sinne der freien Bewegung des Besitzes, wie der Produktion sich entscheiden, um so enger wird das Gebiet der eigentlichen Land- wirthschaftspflege, und es bildet sich mehr und mehr die Ueberzeugung heraus, daß die wahre Sorge des Staats für den Landbau zwar innerhalb der Aufgaben der allgemeinen wirthschaftlichen Verwal- tung liege, daß dieselbe aber allerdings die Fähigkeit habe, speciell die Interessen der Landwirthschaft in ihren Anwendungen zur Geltung zu bringen. Die Verwaltung der Landwirthschaft muß daher jetzt von einem allgemeinen und von einem besonderen Theile reden, welche wieder beide durch ihr gemeinsames Princip zusammengehalten, das gegenwärtige System der Landwirthschaftspflege bilden.
Wir glauben in Beziehung auf die Befreiung des Grundes und Bodens und die auf Entlastung und Ablösung bezüglichen Gesetze und ihre Geschichte auf unsere Darstellung in der "Entwährungslehre" (Innere Verwaltungs- lehre Bd. 7) verweisen zu können. In ihrer Anwendung auf die obigen Prin- cipien erscheinen folgende Sätze. England kennt eigentlich keine selbständige Landwirthschaftspflege, da durch das System der Verpachtung jede Landwirth- schaft den Charakter eines freien Unternehmens hat. Auch Frankreich besitzt dafür mit Ausnahme der Flurpolizei keine Theorie und keine systematischen Gesetze. In Deutschland ist der Charakter der preußischen Gesetzgebung von dem der österreichischen wesentlich dadurch verschieden, daß Preußen allerdings viel früher und systematischer die Befreiung des Grundes und Bodens von den ständischen Lasten herstellte (Aufhebung der Unterthänigkeit schon im Edikt vom 9. Okt. 1807: "Fortan soll es nur freie Leute in Preußen geben") was durch das Landesculturedikt vom 15. Sept. 1811 und durch die Ablösung der Reallasten (Gesetz vom 7. Jan. 1831) weiter ausgeführt ward; das Gesetz
langſam aber ſyſtematiſch fortſchreitende rechtliche Befreiung der Land- wirthſchaft von der Grundherrlichkeit enthält, und die wir als Grund- entlaſtungs- und Ablöſungsweſen bezeichnen. Beides ſind nicht Maßregeln für die Entwicklung der eigentlichen Landwirthſchaft, ſondern nur die rechtlichen Vorausſetzungen derſelben. Erſt da, wo beide wenig- ſtens principiell zur Geltung gelangt ſind, entſtehen die beiden großen, die Landwirthſchaft beſonders betreffenden Fragen und ihr Recht, das Recht der Theilbarkeit und das Recht des Schutzes durch den Kornzoll. Die erſte beginnt bei der Frage nach den Gemein- heitstheilungen bereits im vorigen Jahrhundert und geht allmählig von dem Princip der abſoluten Theilungspflicht über zu dem Gedanken, die Gemeindeweide als Grundlage der Gemeindefinanzen zu betrachten; die Kornzollfrage, urſprünglich das Gebiet ſtrengen Schutzes, wird mit unſerem Jahrhundert die eigentliche Heimath des Freihandels. Die erſte ſchließt ſich daher mehr an die ſocialen Gegenſätze, die zweite an die Entwicklung der Induſtrie an. Je beſtimmter nun alle dieſe Ge- biete im Sinne der freien Bewegung des Beſitzes, wie der Produktion ſich entſcheiden, um ſo enger wird das Gebiet der eigentlichen Land- wirthſchaftspflege, und es bildet ſich mehr und mehr die Ueberzeugung heraus, daß die wahre Sorge des Staats für den Landbau zwar innerhalb der Aufgaben der allgemeinen wirthſchaftlichen Verwal- tung liege, daß dieſelbe aber allerdings die Fähigkeit habe, ſpeciell die Intereſſen der Landwirthſchaft in ihren Anwendungen zur Geltung zu bringen. Die Verwaltung der Landwirthſchaft muß daher jetzt von einem allgemeinen und von einem beſonderen Theile reden, welche wieder beide durch ihr gemeinſames Princip zuſammengehalten, das gegenwärtige Syſtem der Landwirthſchaftspflege bilden.
Wir glauben in Beziehung auf die Befreiung des Grundes und Bodens und die auf Entlaſtung und Ablöſung bezüglichen Geſetze und ihre Geſchichte auf unſere Darſtellung in der „Entwährungslehre“ (Innere Verwaltungs- lehre Bd. 7) verweiſen zu können. In ihrer Anwendung auf die obigen Prin- cipien erſcheinen folgende Sätze. England kennt eigentlich keine ſelbſtändige Landwirthſchaftspflege, da durch das Syſtem der Verpachtung jede Landwirth- ſchaft den Charakter eines freien Unternehmens hat. Auch Frankreich beſitzt dafür mit Ausnahme der Flurpolizei keine Theorie und keine ſyſtematiſchen Geſetze. In Deutſchland iſt der Charakter der preußiſchen Geſetzgebung von dem der öſterreichiſchen weſentlich dadurch verſchieden, daß Preußen allerdings viel früher und ſyſtematiſcher die Befreiung des Grundes und Bodens von den ſtändiſchen Laſten herſtellte (Aufhebung der Unterthänigkeit ſchon im Edikt vom 9. Okt. 1807: „Fortan ſoll es nur freie Leute in Preußen geben“) was durch das Landesculturedikt vom 15. Sept. 1811 und durch die Ablöſung der Reallaſten (Geſetz vom 7. Jan. 1831) weiter ausgeführt ward; das Geſetz
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langſam aber ſyſtematiſch fortſchreitende rechtliche Befreiung der Land-
wirthſchaft von der Grundherrlichkeit enthält, und die wir als Grund-
entlaſtungs- und Ablöſungsweſen bezeichnen. Beides ſind nicht
Maßregeln für die Entwicklung der eigentlichen Landwirthſchaft, ſondern
nur die rechtlichen Vorausſetzungen derſelben. Erſt da, wo beide wenig-
ſtens principiell zur Geltung gelangt ſind, entſtehen die beiden großen,
die Landwirthſchaft beſonders betreffenden Fragen und ihr Recht, das
Recht der Theilbarkeit und das Recht des Schutzes durch den
Kornzoll. Die erſte beginnt bei der Frage nach den Gemein-
heitstheilungen bereits im vorigen Jahrhundert und geht allmählig
von dem Princip der abſoluten Theilungspflicht über zu dem Gedanken,
die Gemeindeweide als Grundlage der Gemeindefinanzen zu betrachten;
die Kornzollfrage, urſprünglich das Gebiet ſtrengen Schutzes, wird mit
unſerem Jahrhundert die eigentliche Heimath des Freihandels. Die
erſte ſchließt ſich daher mehr an die ſocialen Gegenſätze, die zweite an
die Entwicklung der Induſtrie an. Je beſtimmter nun alle dieſe Ge-
biete im Sinne der freien Bewegung des Beſitzes, wie der Produktion
ſich entſcheiden, um ſo enger wird das Gebiet der eigentlichen Land-
wirthſchaftspflege, und es bildet ſich mehr und mehr die Ueberzeugung
heraus, daß die wahre Sorge des Staats für den Landbau zwar
innerhalb der Aufgaben der allgemeinen wirthſchaftlichen Verwal-
tung liege, daß dieſelbe aber allerdings die Fähigkeit habe, ſpeciell
die Intereſſen der Landwirthſchaft in ihren Anwendungen zur Geltung
zu bringen. Die Verwaltung der Landwirthſchaft muß daher jetzt von
einem allgemeinen und von einem beſonderen Theile reden, welche
wieder beide durch ihr gemeinſames Princip zuſammengehalten, das
gegenwärtige Syſtem der Landwirthſchaftspflege bilden.
Wir glauben in Beziehung auf die Befreiung des Grundes und Bodens
und die auf Entlaſtung und Ablöſung bezüglichen Geſetze und ihre Geſchichte
auf unſere Darſtellung in der „Entwährungslehre“ (Innere Verwaltungs-
lehre Bd. 7) verweiſen zu können. In ihrer Anwendung auf die obigen Prin-
cipien erſcheinen folgende Sätze. England kennt eigentlich keine ſelbſtändige
Landwirthſchaftspflege, da durch das Syſtem der Verpachtung jede Landwirth-
ſchaft den Charakter eines freien Unternehmens hat. Auch Frankreich beſitzt
dafür mit Ausnahme der Flurpolizei keine Theorie und keine ſyſtematiſchen
Geſetze. In Deutſchland iſt der Charakter der preußiſchen Geſetzgebung
von dem der öſterreichiſchen weſentlich dadurch verſchieden, daß Preußen
allerdings viel früher und ſyſtematiſcher die Befreiung des Grundes und Bodens
von den ſtändiſchen Laſten herſtellte (Aufhebung der Unterthänigkeit ſchon im
Edikt vom 9. Okt. 1807: „Fortan ſoll es nur freie Leute in Preußen geben“)
was durch das Landesculturedikt vom 15. Sept. 1811 und durch die Ablöſung
der Reallaſten (Geſetz vom 7. Jan. 1831) weiter ausgeführt ward; das Geſetz
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/355>, abgerufen am 22.11.2024.
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