Geltung der Führung des Prädikats (bei Taufen, Firmen, Bestal- lungen u. s. w.) nicht anerkannt werden. Das Wesen der Freiheit des Adels als gesellschaftliche Beziehung liegt daher, soweit seine Vorrechte beseitigt sind, nicht in seiner Vernichtung, sondern in seiner Erwerb- barkeit für jedermann, aber in der Rückkehr des Adelswesens zur Geschlechterbildung.
Die deutsche Literatur hat sich mit dem Adel fast nur so weit beschäftigt, als er vermöge seiner Vorrechte Gegenstand des deutschen Privatrechts und der Rechtsgeschichte war. Die höhere Auffassung von Adel tritt in Europa erst durch Montesquieu auf (Esprit des Lois L. V. Ch. 8); Ende vorigen Jahr- hunderts Suarez, Entwurf des Allgem. preuß. Landrechts, Adel als "Stütze des Thrones;" Kamptz, Jahrbücher XLI. S. 1681; Steins Princip der Aufhebung aller Vorrechte des Adels; RönneI. §. 95. Das preuß. Land- recht bleibt jedoch mit seinem System des Adelswesens bestehen II. 472. Die neue Staatenbildung Deutschlands bringt dann das Element der Standesherren hinzu, deren Rechte vertragsmäßig garantirt werden und auf die neueren Verfassungen übergehen. In Oesterreich vollständige Aufhebung aller Vorrechte; dagegen noch immer System des Adelsrechts mit den Grundsätzen über Ver- leihung und Verlust und Rechte auf Wappen etc.: RönneI. §. 95; Pözl, Verfassungsrecht §. 40 ff.; Mohl, württemb. Verfassungsrecht I. 498 ff. Die neuere Auffassung, wie sie namentlich Eisenlohr über den Beruf des Adels 1852 vertritt, ist allerdings eine viel höhere; allein sie verwechselt Adel und Geschlecht, und das Wahre, das sie unverkennbar enthält, gehört dem Wesen des letzteren und nicht dem des ersteren an.
Das Geschlechter-Erbrecht und die Majbrate.
Wo nun einmal eine bevorrechtigte Stellung des Adels ist, da ist das Interesse an der Erhaltung derselben für das ganze Geschlecht die natürliche Consequenz. Und da nun die materielle Basis dieser Stellung auch hier wie aller gesellschaftlichen Ordnung der Besitz ist, so erzeugt jenes Interesse das Streben, den Besitz selbst dauernd in dem Geschlechte zu erhalten. Das nun kann nur geschehen, indem der Besitz dem Verkehr entzogen und ein ungetheilter Gegenstand der Erbfolge wird. Einen solchen Geschlechterbesitz nennen wir ein Ma- jorat oder Fideicommiß. Der Ausschluß aus dem Verkehr kann nun in zwei Weisen erfolgen. Zuerst durch das Erbrecht, dann durch einen Akt des Landesherrn. Das Recht auf die Bestimmung, nach welchem der Besitz der Erbtheilung durch den Willen des Familien- hauptes dauernd entzogen, und die Ordnung der Erbfolge für die Nachkommen festgestellt wird, nennen wir die Autonomie, deren histo- risches Princip die ursprüngliche Selbstherrlichkeit der Grundherren war, und die in einzelnen Fällen noch ausnahmsweise erhalten ist. Dem
Geltung der Führung des Prädikats (bei Taufen, Firmen, Beſtal- lungen u. ſ. w.) nicht anerkannt werden. Das Weſen der Freiheit des Adels als geſellſchaftliche Beziehung liegt daher, ſoweit ſeine Vorrechte beſeitigt ſind, nicht in ſeiner Vernichtung, ſondern in ſeiner Erwerb- barkeit für jedermann, aber in der Rückkehr des Adelsweſens zur Geſchlechterbildung.
Die deutſche Literatur hat ſich mit dem Adel faſt nur ſo weit beſchäftigt, als er vermöge ſeiner Vorrechte Gegenſtand des deutſchen Privatrechts und der Rechtsgeſchichte war. Die höhere Auffaſſung von Adel tritt in Europa erſt durch Montesquieu auf (Esprit des Lois L. V. Ch. 8); Ende vorigen Jahr- hunderts Suarez, Entwurf des Allgem. preuß. Landrechts, Adel als „Stütze des Thrones;“ Kamptz, Jahrbücher XLI. S. 1681; Steins Princip der Aufhebung aller Vorrechte des Adels; RönneI. §. 95. Das preuß. Land- recht bleibt jedoch mit ſeinem Syſtem des Adelsweſens beſtehen II. 472. Die neue Staatenbildung Deutſchlands bringt dann das Element der Standesherren hinzu, deren Rechte vertragsmäßig garantirt werden und auf die neueren Verfaſſungen übergehen. In Oeſterreich vollſtändige Aufhebung aller Vorrechte; dagegen noch immer Syſtem des Adelsrechts mit den Grundſätzen über Ver- leihung und Verluſt und Rechte auf Wappen ꝛc.: RönneI. §. 95; Pözl, Verfaſſungsrecht §. 40 ff.; Mohl, württemb. Verfaſſungsrecht I. 498 ff. Die neuere Auffaſſung, wie ſie namentlich Eiſenlohr über den Beruf des Adels 1852 vertritt, iſt allerdings eine viel höhere; allein ſie verwechſelt Adel und Geſchlecht, und das Wahre, das ſie unverkennbar enthält, gehört dem Weſen des letzteren und nicht dem des erſteren an.
Das Geſchlechter-Erbrecht und die Majbrate.
Wo nun einmal eine bevorrechtigte Stellung des Adels iſt, da iſt das Intereſſe an der Erhaltung derſelben für das ganze Geſchlecht die natürliche Conſequenz. Und da nun die materielle Baſis dieſer Stellung auch hier wie aller geſellſchaftlichen Ordnung der Beſitz iſt, ſo erzeugt jenes Intereſſe das Streben, den Beſitz ſelbſt dauernd in dem Geſchlechte zu erhalten. Das nun kann nur geſchehen, indem der Beſitz dem Verkehr entzogen und ein ungetheilter Gegenſtand der Erbfolge wird. Einen ſolchen Geſchlechterbeſitz nennen wir ein Ma- jorat oder Fideicommiß. Der Ausſchluß aus dem Verkehr kann nun in zwei Weiſen erfolgen. Zuerſt durch das Erbrecht, dann durch einen Akt des Landesherrn. Das Recht auf die Beſtimmung, nach welchem der Beſitz der Erbtheilung durch den Willen des Familien- hauptes dauernd entzogen, und die Ordnung der Erbfolge für die Nachkommen feſtgeſtellt wird, nennen wir die Autonomie, deren hiſto- riſches Princip die urſprüngliche Selbſtherrlichkeit der Grundherren war, und die in einzelnen Fällen noch ausnahmsweiſe erhalten iſt. Dem
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Geltung der Führung des Prädikats (bei Taufen, Firmen, Beſtal-
lungen u. ſ. w.) nicht anerkannt werden. Das Weſen der Freiheit des
Adels als geſellſchaftliche Beziehung liegt daher, ſoweit ſeine Vorrechte
beſeitigt ſind, nicht in ſeiner Vernichtung, ſondern in ſeiner Erwerb-
barkeit für jedermann, aber in der Rückkehr des Adelsweſens zur
Geſchlechterbildung.
Die deutſche Literatur hat ſich mit dem Adel faſt nur ſo weit beſchäftigt,
als er vermöge ſeiner Vorrechte Gegenſtand des deutſchen Privatrechts und der
Rechtsgeſchichte war. Die höhere Auffaſſung von Adel tritt in Europa erſt
durch Montesquieu auf (Esprit des Lois L. V. Ch. 8); Ende vorigen Jahr-
hunderts Suarez, Entwurf des Allgem. preuß. Landrechts, Adel als „Stütze
des Thrones;“ Kamptz, Jahrbücher XLI. S. 1681; Steins Princip der
Aufhebung aller Vorrechte des Adels; Rönne I. §. 95. Das preuß. Land-
recht bleibt jedoch mit ſeinem Syſtem des Adelsweſens beſtehen II. 472. Die
neue Staatenbildung Deutſchlands bringt dann das Element der Standesherren
hinzu, deren Rechte vertragsmäßig garantirt werden und auf die neueren
Verfaſſungen übergehen. In Oeſterreich vollſtändige Aufhebung aller Vorrechte;
dagegen noch immer Syſtem des Adelsrechts mit den Grundſätzen über Ver-
leihung und Verluſt und Rechte auf Wappen ꝛc.: Rönne I. §. 95; Pözl,
Verfaſſungsrecht §. 40 ff.; Mohl, württemb. Verfaſſungsrecht I. 498 ff. Die
neuere Auffaſſung, wie ſie namentlich Eiſenlohr über den Beruf des Adels
1852 vertritt, iſt allerdings eine viel höhere; allein ſie verwechſelt Adel und
Geſchlecht, und das Wahre, das ſie unverkennbar enthält, gehört dem Weſen
des letzteren und nicht dem des erſteren an.
Das Geſchlechter-Erbrecht und die Majbrate.
Wo nun einmal eine bevorrechtigte Stellung des Adels iſt, da
iſt das Intereſſe an der Erhaltung derſelben für das ganze Geſchlecht
die natürliche Conſequenz. Und da nun die materielle Baſis dieſer
Stellung auch hier wie aller geſellſchaftlichen Ordnung der Beſitz
iſt, ſo erzeugt jenes Intereſſe das Streben, den Beſitz ſelbſt dauernd
in dem Geſchlechte zu erhalten. Das nun kann nur geſchehen, indem
der Beſitz dem Verkehr entzogen und ein ungetheilter Gegenſtand der
Erbfolge wird. Einen ſolchen Geſchlechterbeſitz nennen wir ein Ma-
jorat oder Fideicommiß. Der Ausſchluß aus dem Verkehr kann
nun in zwei Weiſen erfolgen. Zuerſt durch das Erbrecht, dann durch
einen Akt des Landesherrn. Das Recht auf die Beſtimmung, nach
welchem der Beſitz der Erbtheilung durch den Willen des Familien-
hauptes dauernd entzogen, und die Ordnung der Erbfolge für die
Nachkommen feſtgeſtellt wird, nennen wir die Autonomie, deren hiſto-
riſches Princip die urſprüngliche Selbſtherrlichkeit der Grundherren war,
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 408. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/432>, abgerufen am 22.11.2024.
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