für das richtige Verständniß jeder Thatsache, also auch der des Staats- lebens. Sie hat damit ihr eigenes System; es ist die Logik und Dia- lektik der Erscheinungen neben der des Gedankens. Ihre Elemente sind folgende.
Der Akt, durch welchen ich das Dasein einer Thatsache mir zum Bewußtsein bringe, indem ich denselben messe, ist die Beobachtung. Der Werth der Beobachtung wird daher bestimmt von der Genauigkeit und Zweckmäßigkeit des Maßes, und steigt in umgekehrtem Verhält- niß zu der Kleinheit der Differenzen, welche sie ergibt. Diese Diffe- renzen verschwinden nie ganz, möge der Grund nun liegen wo er will. Ich kann daher mit gar keiner einzelnen Beobachtung eine Thatsache genau messen, sondern ich muß einen Durchschnitt bilden, dessen Werth -- oder Wahrheit -- um so größer ist, je größer die Zahl der Beobachtungen und je geringer der Grad ihrer Differenz. So gelange ich zu der Thatsache, deren Begriff daher die durch die Beobachtung gemessene einheitliche Erscheinung ist. Jedes gewisse, als eine selb- ständige Einheit erkannte Dasein ist demnach eine Thatsache.
Diese Thatsache wechselt. Der Wechsel enthält zwei Momente, welche ich Grund und Folge nenne. Wenn ich nun Grund und Folge selbst wieder als selbständige Thatsache beobachte und mithin messe, so entstehen die Begriffe von Ursache und Wirkung. Die Ursache ist der beobachtete Grund, die Wirkung ist die beobachtete Folge. Allein die Ursache ist mit ihrer einmaligen Wirkung nicht erschöpft; denn die letztere ist nicht bloß Erscheinung des Grundes, sondern auch Erscheinung der auf denselben einwirkenden unendlichen Mannichfaltig- keit anderer Kräfte. Das wahre Maß des Grundes liegt daher nicht in ihm selbst, sondern in seiner Kraft dritte Erscheinungen durch sich zu bestimmen. An diesem erscheint jene Kraft. Ich messe daher den Grund, indem ich die möglichen Wirkungen nach den vorhandenen und beobachteten berechne; und das so entstandene Maß der Kraft, die ich in Beziehung auf ihre einmalige Erscheinung die Wirkung nannte, ist dann die Wahrscheinlichkeit. Die Wahrscheinlichkeit also ist das durch die Wirkung dritter Kräfte gesetzte Maß der beob- achteten Grundkraft. Indem ich durch dieses Maß zur Gewißheit der selbstwirkend vorhandenen Kraft gelange, entsteht der Begriff des Ge- setzes. Jede Beobachtung strebt daher zum Gesetze zu gelangen; jede Thatsache ist nur die Erscheinung eines Gesetzes; die Gesammtheit aller Thatsachen löst sich durch die Gesetze in eine große harmonische Ord- nung aller Dinge auf; und so ist die Wissenschaft der Thatsachen die- jenige Weltanschauung, welche vom Einzelnen zum Ganzen gelangt. Für sie gibt es keinen Zufall und keinen Unterschied des Werthes
für das richtige Verſtändniß jeder Thatſache, alſo auch der des Staats- lebens. Sie hat damit ihr eigenes Syſtem; es iſt die Logik und Dia- lektik der Erſcheinungen neben der des Gedankens. Ihre Elemente ſind folgende.
Der Akt, durch welchen ich das Daſein einer Thatſache mir zum Bewußtſein bringe, indem ich denſelben meſſe, iſt die Beobachtung. Der Werth der Beobachtung wird daher beſtimmt von der Genauigkeit und Zweckmäßigkeit des Maßes, und ſteigt in umgekehrtem Verhält- niß zu der Kleinheit der Differenzen, welche ſie ergibt. Dieſe Diffe- renzen verſchwinden nie ganz, möge der Grund nun liegen wo er will. Ich kann daher mit gar keiner einzelnen Beobachtung eine Thatſache genau meſſen, ſondern ich muß einen Durchſchnitt bilden, deſſen Werth — oder Wahrheit — um ſo größer iſt, je größer die Zahl der Beobachtungen und je geringer der Grad ihrer Differenz. So gelange ich zu der Thatſache, deren Begriff daher die durch die Beobachtung gemeſſene einheitliche Erſcheinung iſt. Jedes gewiſſe, als eine ſelb- ſtändige Einheit erkannte Daſein iſt demnach eine Thatſache.
Dieſe Thatſache wechſelt. Der Wechſel enthält zwei Momente, welche ich Grund und Folge nenne. Wenn ich nun Grund und Folge ſelbſt wieder als ſelbſtändige Thatſache beobachte und mithin meſſe, ſo entſtehen die Begriffe von Urſache und Wirkung. Die Urſache iſt der beobachtete Grund, die Wirkung iſt die beobachtete Folge. Allein die Urſache iſt mit ihrer einmaligen Wirkung nicht erſchöpft; denn die letztere iſt nicht bloß Erſcheinung des Grundes, ſondern auch Erſcheinung der auf denſelben einwirkenden unendlichen Mannichfaltig- keit anderer Kräfte. Das wahre Maß des Grundes liegt daher nicht in ihm ſelbſt, ſondern in ſeiner Kraft dritte Erſcheinungen durch ſich zu beſtimmen. An dieſem erſcheint jene Kraft. Ich meſſe daher den Grund, indem ich die möglichen Wirkungen nach den vorhandenen und beobachteten berechne; und das ſo entſtandene Maß der Kraft, die ich in Beziehung auf ihre einmalige Erſcheinung die Wirkung nannte, iſt dann die Wahrſcheinlichkeit. Die Wahrſcheinlichkeit alſo iſt das durch die Wirkung dritter Kräfte geſetzte Maß der beob- achteten Grundkraft. Indem ich durch dieſes Maß zur Gewißheit der ſelbſtwirkend vorhandenen Kraft gelange, entſteht der Begriff des Ge- ſetzes. Jede Beobachtung ſtrebt daher zum Geſetze zu gelangen; jede Thatſache iſt nur die Erſcheinung eines Geſetzes; die Geſammtheit aller Thatſachen löst ſich durch die Geſetze in eine große harmoniſche Ord- nung aller Dinge auf; und ſo iſt die Wiſſenſchaft der Thatſachen die- jenige Weltanſchauung, welche vom Einzelnen zum Ganzen gelangt. Für ſie gibt es keinen Zufall und keinen Unterſchied des Werthes
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für das richtige Verſtändniß jeder Thatſache, alſo auch der des Staats-
lebens. Sie hat damit ihr eigenes Syſtem; es iſt die Logik und Dia-
lektik der Erſcheinungen neben der des Gedankens. Ihre Elemente
ſind folgende.
Der Akt, durch welchen ich das Daſein einer Thatſache mir zum
Bewußtſein bringe, indem ich denſelben meſſe, iſt die Beobachtung.
Der Werth der Beobachtung wird daher beſtimmt von der Genauigkeit
und Zweckmäßigkeit des Maßes, und ſteigt in umgekehrtem Verhält-
niß zu der Kleinheit der Differenzen, welche ſie ergibt. Dieſe Diffe-
renzen verſchwinden nie ganz, möge der Grund nun liegen wo er will.
Ich kann daher mit gar keiner einzelnen Beobachtung eine Thatſache
genau meſſen, ſondern ich muß einen Durchſchnitt bilden, deſſen
Werth — oder Wahrheit — um ſo größer iſt, je größer die Zahl der
Beobachtungen und je geringer der Grad ihrer Differenz. So gelange
ich zu der Thatſache, deren Begriff daher die durch die Beobachtung
gemeſſene einheitliche Erſcheinung iſt. Jedes gewiſſe, als eine ſelb-
ſtändige Einheit erkannte Daſein iſt demnach eine Thatſache.
Dieſe Thatſache wechſelt. Der Wechſel enthält zwei Momente,
welche ich Grund und Folge nenne. Wenn ich nun Grund und Folge
ſelbſt wieder als ſelbſtändige Thatſache beobachte und mithin meſſe, ſo
entſtehen die Begriffe von Urſache und Wirkung. Die Urſache
iſt der beobachtete Grund, die Wirkung iſt die beobachtete Folge.
Allein die Urſache iſt mit ihrer einmaligen Wirkung nicht erſchöpft;
denn die letztere iſt nicht bloß Erſcheinung des Grundes, ſondern auch
Erſcheinung der auf denſelben einwirkenden unendlichen Mannichfaltig-
keit anderer Kräfte. Das wahre Maß des Grundes liegt daher nicht
in ihm ſelbſt, ſondern in ſeiner Kraft dritte Erſcheinungen durch ſich
zu beſtimmen. An dieſem erſcheint jene Kraft. Ich meſſe daher den
Grund, indem ich die möglichen Wirkungen nach den vorhandenen
und beobachteten berechne; und das ſo entſtandene Maß der Kraft,
die ich in Beziehung auf ihre einmalige Erſcheinung die Wirkung
nannte, iſt dann die Wahrſcheinlichkeit. Die Wahrſcheinlichkeit
alſo iſt das durch die Wirkung dritter Kräfte geſetzte Maß der beob-
achteten Grundkraft. Indem ich durch dieſes Maß zur Gewißheit der
ſelbſtwirkend vorhandenen Kraft gelange, entſteht der Begriff des Ge-
ſetzes. Jede Beobachtung ſtrebt daher zum Geſetze zu gelangen; jede
Thatſache iſt nur die Erſcheinung eines Geſetzes; die Geſammtheit aller
Thatſachen löst ſich durch die Geſetze in eine große harmoniſche Ord-
nung aller Dinge auf; und ſo iſt die Wiſſenſchaft der Thatſachen die-
jenige Weltanſchauung, welche vom Einzelnen zum Ganzen gelangt.
Für ſie gibt es keinen Zufall und keinen Unterſchied des Werthes
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Stein, Lorenz von: Handbuch der Verwaltungslehre und des Verwaltungsrechts: mit Vergleichung der Literatur und Gesetzgebung von Frankreich, England und Deutschland; als Grundlage für Vorlesungen. Stuttgart, 1870, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_handbuch_1870/83>, abgerufen am 21.11.2024.
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