Wir wollen nun dabei versuchen, auch bei den einzelnen Gebieten desselben durch die Zurückführung der in den drei Landen geltenden Punkte auf jenen allgemeinen Charakter dieses Rechts so viel als möglich beizutragen.
Erstes Gebiet. Das persönliche Vollziehungsrecht des Staatsoberhaupts.
Die Grundlage dieses sowie des folgenden Begriffes des Regie- rungsrechts ist die Auflösung der allgemeinen und unklaren Vorstellung von der "Staatsgewalt" in ihre einzelnen Funktionen. Ein Recht der- selben kann nur dann gedacht werden, wenn man diese Funktionen als selbständig innerhalb des allgemeinen Begriffes der Staatsgewalt denkt; in diesem Sinne ist dann dieß Recht die verfassungsmäßige Gränze der einen Funktion gegenüber der andern, und erst dadurch entsteht ein organischer Begriff des Staatsrechts.
Das Staatsoberhaupt vertritt die Persönlichkeit des Staats an sich; er vertritt sie in ihrem Verhalten zur Gesetzgebung; er vertritt sie in ihrem Verhalten zur Vollziehung. Die "einzelnen Rechte" des Staatsoberhaupts sind daher die rechtlichen Bestimmungen des Antheils, den der individuelle Wille des Staatsoberhaupts an dem organischen Leben des Staats hat. Damit erscheint das Recht der vollziehenden Staatsgewalt als das Rechtsverhältniß zwischen den zwei großen Fak- toren der Vollziehung, dem Staatsoberhaupt als persönlichem Haupt der Vollziehung, und der Regierungsgewalt als organischer Gestalt derselben.
Das Staatsoberhaupt ist nämlich zuerst das Haupt jeder That des Staats; indem es der Träger der Persönlichkeit des Staats ist, muß jede Aktion des Staats in seinem Namen geschehen. Allein es kann dasselbe diese Funktion entweder als eine individuelle, als einen Akt des persönlichen Willens des Souveräns, vollziehen, oder es kann die Vollziehung durch den Organismus der Regierungsge- walt, also als einen Regierungsakt, zur Ausführung bringen. Beide Funktionen sind wesentlich verschieden. Aus dieser Verschiedenheit entsteht die Frage, nach welchen Grundsätzen sich die Gränze für das Gebiet jeder persönlich freien, von dem Einfluß der Regierungsgewalt unab- hängigen vollziehenden Gewalt des Staatsoberhaupts bildet; diese Gränze kann keine willkürliche sein; sie muß auf einem Recht beruhen, welches einen Theil des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts bildet; und dieß Recht der, im individuellen Willen des Staatsoberhaupts liegenden vollziehenden Gewalt nennen wir das Vollziehungsrecht des
Wir wollen nun dabei verſuchen, auch bei den einzelnen Gebieten deſſelben durch die Zurückführung der in den drei Landen geltenden Punkte auf jenen allgemeinen Charakter dieſes Rechts ſo viel als möglich beizutragen.
Erſtes Gebiet. Das perſönliche Vollziehungsrecht des Staatsoberhaupts.
Die Grundlage dieſes ſowie des folgenden Begriffes des Regie- rungsrechts iſt die Auflöſung der allgemeinen und unklaren Vorſtellung von der „Staatsgewalt“ in ihre einzelnen Funktionen. Ein Recht der- ſelben kann nur dann gedacht werden, wenn man dieſe Funktionen als ſelbſtändig innerhalb des allgemeinen Begriffes der Staatsgewalt denkt; in dieſem Sinne iſt dann dieß Recht die verfaſſungsmäßige Gränze der einen Funktion gegenüber der andern, und erſt dadurch entſteht ein organiſcher Begriff des Staatsrechts.
Das Staatsoberhaupt vertritt die Perſönlichkeit des Staats an ſich; er vertritt ſie in ihrem Verhalten zur Geſetzgebung; er vertritt ſie in ihrem Verhalten zur Vollziehung. Die „einzelnen Rechte“ des Staatsoberhaupts ſind daher die rechtlichen Beſtimmungen des Antheils, den der individuelle Wille des Staatsoberhaupts an dem organiſchen Leben des Staats hat. Damit erſcheint das Recht der vollziehenden Staatsgewalt als das Rechtsverhältniß zwiſchen den zwei großen Fak- toren der Vollziehung, dem Staatsoberhaupt als perſönlichem Haupt der Vollziehung, und der Regierungsgewalt als organiſcher Geſtalt derſelben.
Das Staatsoberhaupt iſt nämlich zuerſt das Haupt jeder That des Staats; indem es der Träger der Perſönlichkeit des Staats iſt, muß jede Aktion des Staats in ſeinem Namen geſchehen. Allein es kann daſſelbe dieſe Funktion entweder als eine individuelle, als einen Akt des perſönlichen Willens des Souveräns, vollziehen, oder es kann die Vollziehung durch den Organismus der Regierungsge- walt, alſo als einen Regierungsakt, zur Ausführung bringen. Beide Funktionen ſind weſentlich verſchieden. Aus dieſer Verſchiedenheit entſteht die Frage, nach welchen Grundſätzen ſich die Gränze für das Gebiet jeder perſönlich freien, von dem Einfluß der Regierungsgewalt unab- hängigen vollziehenden Gewalt des Staatsoberhaupts bildet; dieſe Gränze kann keine willkürliche ſein; ſie muß auf einem Recht beruhen, welches einen Theil des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts bildet; und dieß Recht der, im individuellen Willen des Staatsoberhaupts liegenden vollziehenden Gewalt nennen wir das Vollziehungsrecht des
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0110"n="86"/><p>Wir wollen nun dabei verſuchen, auch bei den einzelnen Gebieten deſſelben<lb/>
durch die Zurückführung der in den drei Landen geltenden Punkte auf jenen<lb/>
allgemeinen Charakter dieſes Rechts ſo viel als möglich beizutragen.</p><lb/><divn="3"><head><hirendition="#b">Erſtes Gebiet.</hi><lb/><hirendition="#g">Das perſönliche Vollziehungsrecht des Staatsoberhaupts</hi>.</head><lb/><p>Die Grundlage dieſes ſowie des folgenden Begriffes des Regie-<lb/>
rungsrechts iſt die Auflöſung der allgemeinen und unklaren Vorſtellung<lb/>
von der „Staatsgewalt“ in ihre einzelnen Funktionen. Ein <hirendition="#g">Recht</hi> der-<lb/>ſelben kann nur dann gedacht werden, wenn man dieſe Funktionen als<lb/><hirendition="#g">ſelbſtändig</hi> innerhalb des allgemeinen Begriffes der Staatsgewalt<lb/>
denkt; in dieſem Sinne iſt dann dieß Recht die verfaſſungsmäßige Gränze<lb/>
der einen Funktion gegenüber der andern, und erſt dadurch entſteht ein<lb/>
organiſcher Begriff des Staatsrechts.</p><lb/><p>Das Staatsoberhaupt vertritt die Perſönlichkeit des Staats an<lb/>ſich; er vertritt ſie in ihrem Verhalten zur Geſetzgebung; er vertritt ſie<lb/>
in ihrem Verhalten zur Vollziehung. Die „einzelnen Rechte“ des<lb/>
Staatsoberhaupts ſind daher die rechtlichen Beſtimmungen des Antheils,<lb/>
den der individuelle Wille des Staatsoberhaupts an dem organiſchen<lb/>
Leben des Staats hat. Damit erſcheint das Recht der vollziehenden<lb/>
Staatsgewalt als das Rechtsverhältniß zwiſchen den zwei großen Fak-<lb/>
toren der Vollziehung, dem Staatsoberhaupt als perſönlichem Haupt<lb/>
der Vollziehung, und der Regierungsgewalt als organiſcher Geſtalt<lb/>
derſelben.</p><lb/><p>Das Staatsoberhaupt iſt nämlich <hirendition="#g">zuerſt</hi> das Haupt <hirendition="#g">jeder</hi> That<lb/>
des Staats; indem es der Träger der Perſönlichkeit des Staats iſt,<lb/>
muß jede Aktion des Staats in ſeinem Namen geſchehen. Allein es<lb/>
kann daſſelbe dieſe Funktion entweder als eine <hirendition="#g">individuelle</hi>, als<lb/>
einen Akt des perſönlichen Willens des Souveräns, vollziehen, oder<lb/>
es kann die Vollziehung durch den Organismus der <hirendition="#g">Regierungsge-<lb/>
walt</hi>, alſo als einen Regierungsakt, zur Ausführung bringen. Beide<lb/>
Funktionen ſind weſentlich verſchieden. Aus dieſer Verſchiedenheit entſteht<lb/>
die Frage, nach welchen Grundſätzen ſich die <hirendition="#g">Gränze</hi> für das Gebiet<lb/>
jeder perſönlich freien, von dem Einfluß der Regierungsgewalt unab-<lb/>
hängigen vollziehenden Gewalt des Staatsoberhaupts bildet; dieſe Gränze<lb/>
kann keine willkürliche ſein; ſie muß auf einem Recht beruhen, welches<lb/>
einen Theil des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts bildet; und dieß<lb/>
Recht der, im individuellen Willen des Staatsoberhaupts liegenden<lb/>
vollziehenden Gewalt nennen wir das <hirendition="#g">Vollziehungsrecht des<lb/></hi></p></div></div></div></body></text></TEI>
[86/0110]
Wir wollen nun dabei verſuchen, auch bei den einzelnen Gebieten deſſelben
durch die Zurückführung der in den drei Landen geltenden Punkte auf jenen
allgemeinen Charakter dieſes Rechts ſo viel als möglich beizutragen.
Erſtes Gebiet.
Das perſönliche Vollziehungsrecht des Staatsoberhaupts.
Die Grundlage dieſes ſowie des folgenden Begriffes des Regie-
rungsrechts iſt die Auflöſung der allgemeinen und unklaren Vorſtellung
von der „Staatsgewalt“ in ihre einzelnen Funktionen. Ein Recht der-
ſelben kann nur dann gedacht werden, wenn man dieſe Funktionen als
ſelbſtändig innerhalb des allgemeinen Begriffes der Staatsgewalt
denkt; in dieſem Sinne iſt dann dieß Recht die verfaſſungsmäßige Gränze
der einen Funktion gegenüber der andern, und erſt dadurch entſteht ein
organiſcher Begriff des Staatsrechts.
Das Staatsoberhaupt vertritt die Perſönlichkeit des Staats an
ſich; er vertritt ſie in ihrem Verhalten zur Geſetzgebung; er vertritt ſie
in ihrem Verhalten zur Vollziehung. Die „einzelnen Rechte“ des
Staatsoberhaupts ſind daher die rechtlichen Beſtimmungen des Antheils,
den der individuelle Wille des Staatsoberhaupts an dem organiſchen
Leben des Staats hat. Damit erſcheint das Recht der vollziehenden
Staatsgewalt als das Rechtsverhältniß zwiſchen den zwei großen Fak-
toren der Vollziehung, dem Staatsoberhaupt als perſönlichem Haupt
der Vollziehung, und der Regierungsgewalt als organiſcher Geſtalt
derſelben.
Das Staatsoberhaupt iſt nämlich zuerſt das Haupt jeder That
des Staats; indem es der Träger der Perſönlichkeit des Staats iſt,
muß jede Aktion des Staats in ſeinem Namen geſchehen. Allein es
kann daſſelbe dieſe Funktion entweder als eine individuelle, als
einen Akt des perſönlichen Willens des Souveräns, vollziehen, oder
es kann die Vollziehung durch den Organismus der Regierungsge-
walt, alſo als einen Regierungsakt, zur Ausführung bringen. Beide
Funktionen ſind weſentlich verſchieden. Aus dieſer Verſchiedenheit entſteht
die Frage, nach welchen Grundſätzen ſich die Gränze für das Gebiet
jeder perſönlich freien, von dem Einfluß der Regierungsgewalt unab-
hängigen vollziehenden Gewalt des Staatsoberhaupts bildet; dieſe Gränze
kann keine willkürliche ſein; ſie muß auf einem Recht beruhen, welches
einen Theil des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts bildet; und dieß
Recht der, im individuellen Willen des Staatsoberhaupts liegenden
vollziehenden Gewalt nennen wir das Vollziehungsrecht des
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 86. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/110>, abgerufen am 26.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.