so wie sie ein solches historisches Recht angriffen, Justizsachen seien, während alle übrigen Funktionen derselben der Verwaltung als Administrativsachen angehörten. Nun aber enthielten jene Rechte auf selbständige Verwaltung eine, wenn auch lehensrechtlich ausgebildete, so doch ihrem Wesen und oft auch ihrer frü- hern Ordnung nach unzweifelhafte Gestalt der Selbstverwaltung, namentlich im alten Gemeinderecht. Die neu entstehende Staatsverwaltung strebte nun, diese Selb- ständigkeit sich zu unterwerfen; die selbständigen Körper vertheidigten sie, und um sie mit Nachdruck vertheidigen zu können, hielten sie das Princip des bürger- lichen Rechts und der gerichtlichen Klage gegen jene Bestrebungen der centralen Staatsgewalt aufrecht. So geschah es, daß die Justizsachen wesentlich die recht- liche Gränze der Selbstverwaltung bezeichneten, während die Administrativsachen die staatliche Verwaltung bedeuteten. Diese Gränze aber konnte, da sie nicht im Begriff von Gesetz und Verordnung wurzelte, auch nicht im Wesen des Rechts, sondern mußte nunmehr in dem Gegenstande gesucht werden; und so entstand jene wunderliche Richtung, welche in dem absolut nutzlosen Versuche nicht müde wurde, das Recht von Gesetz und Verordnung und damit die Gränze beider in den Sachen zu bestimmen, für welche das erste oder die zweite gelten sollten. Die Unmöglichkeit, hier zu einem Resultat zu gelangen, war absolut, denn jeder Gegenstand ist ja seiner Natur nach Gegenstand des Gesetzes und der Vollziehung, und mithin der Justiz und der Administration zugleich. Dennoch wäre man vielleicht weiter gekommen, wenn man in Deutschland nur eine klare Vorstellung oder einen gültigen Begriff von Gesetz und Verordnung gehabt hätte. Allein wir haben gesehen, daß dieser fehlte und noch fehlt. Unterdessen ward die Selbstverwaltung für die Gemeinden und Körperschaften verfassungsmäßig festgestellt, und jetzt war jener Unterschied vollständig unentwirrbar, weil er jetzt den Unterschied zwischen Gegenständen, die nur Gesetzgebung, und solchen, die nur Vollziehung zulassen, bedeuten müßte, was wahrlich keinen Sinn hat. Dazu kam ein fast vollständiger Mangel an einem klaren Begriff von Verwaltung und Verwaltungsrecht, der den letzten Halt wegnahm, und so sehen wir denn theoretisch den Begriff des verfassungs- mäßigen Verwaltungsrechts eigentlich gar nicht entstehen, während er praktisch, namentlich in den einzelnen Momenten und Theilen desselben, sich sehr erkennbar Bahn bricht. Und zwar ist dieß, wie wir gleich hier bemerken wollen, in durchgreifender Nachahmung des französischen Begriffes des contentieux geschehen, indem die neue Organisation auch in Deutschland gesetzlich der Verwaltung gewisse Funktionen der gerichtlichen Thätigkeit übertrug, und damit dem deutschen Unterschied zwischen Justiz- und Administrativsachen einen französischen Inhalt gab, ohne ihm die französische Klarheit zu geben. Wir müssen darauf unten zurückkommen. Im Allgemeinen ist indeß kein Zweifel, daß wir in dieser Be- ziehung in einem Uebergangsstadium uns befinden, und daß die Richtung der Entwicklung dahin geht, das Princip des englischen Rechts mit den durchsichtigen Formen des französischen zu vereinigen. Dazu aber ist allerdings nothwendig, daß man jede allgemeine Phrase fallen läßt, und auf das System des verfassungsmäßigen Verwaltungsrechts im Ganzen wie im Einzelnen eingeht.
ſo wie ſie ein ſolches hiſtoriſches Recht angriffen, Juſtizſachen ſeien, während alle übrigen Funktionen derſelben der Verwaltung als Adminiſtrativſachen angehörten. Nun aber enthielten jene Rechte auf ſelbſtändige Verwaltung eine, wenn auch lehensrechtlich ausgebildete, ſo doch ihrem Weſen und oft auch ihrer frü- hern Ordnung nach unzweifelhafte Geſtalt der Selbſtverwaltung, namentlich im alten Gemeinderecht. Die neu entſtehende Staatsverwaltung ſtrebte nun, dieſe Selb- ſtändigkeit ſich zu unterwerfen; die ſelbſtändigen Körper vertheidigten ſie, und um ſie mit Nachdruck vertheidigen zu können, hielten ſie das Princip des bürger- lichen Rechts und der gerichtlichen Klage gegen jene Beſtrebungen der centralen Staatsgewalt aufrecht. So geſchah es, daß die Juſtizſachen weſentlich die recht- liche Gränze der Selbſtverwaltung bezeichneten, während die Adminiſtrativſachen die ſtaatliche Verwaltung bedeuteten. Dieſe Gränze aber konnte, da ſie nicht im Begriff von Geſetz und Verordnung wurzelte, auch nicht im Weſen des Rechts, ſondern mußte nunmehr in dem Gegenſtande geſucht werden; und ſo entſtand jene wunderliche Richtung, welche in dem abſolut nutzloſen Verſuche nicht müde wurde, das Recht von Geſetz und Verordnung und damit die Gränze beider in den Sachen zu beſtimmen, für welche das erſte oder die zweite gelten ſollten. Die Unmöglichkeit, hier zu einem Reſultat zu gelangen, war abſolut, denn jeder Gegenſtand iſt ja ſeiner Natur nach Gegenſtand des Geſetzes und der Vollziehung, und mithin der Juſtiz und der Adminiſtration zugleich. Dennoch wäre man vielleicht weiter gekommen, wenn man in Deutſchland nur eine klare Vorſtellung oder einen gültigen Begriff von Geſetz und Verordnung gehabt hätte. Allein wir haben geſehen, daß dieſer fehlte und noch fehlt. Unterdeſſen ward die Selbſtverwaltung für die Gemeinden und Körperſchaften verfaſſungsmäßig feſtgeſtellt, und jetzt war jener Unterſchied vollſtändig unentwirrbar, weil er jetzt den Unterſchied zwiſchen Gegenſtänden, die nur Geſetzgebung, und ſolchen, die nur Vollziehung zulaſſen, bedeuten müßte, was wahrlich keinen Sinn hat. Dazu kam ein faſt vollſtändiger Mangel an einem klaren Begriff von Verwaltung und Verwaltungsrecht, der den letzten Halt wegnahm, und ſo ſehen wir denn theoretiſch den Begriff des verfaſſungs- mäßigen Verwaltungsrechts eigentlich gar nicht entſtehen, während er praktiſch, namentlich in den einzelnen Momenten und Theilen deſſelben, ſich ſehr erkennbar Bahn bricht. Und zwar iſt dieß, wie wir gleich hier bemerken wollen, in durchgreifender Nachahmung des franzöſiſchen Begriffes des contentieux geſchehen, indem die neue Organiſation auch in Deutſchland geſetzlich der Verwaltung gewiſſe Funktionen der gerichtlichen Thätigkeit übertrug, und damit dem deutſchen Unterſchied zwiſchen Juſtiz- und Adminiſtrativſachen einen franzöſiſchen Inhalt gab, ohne ihm die franzöſiſche Klarheit zu geben. Wir müſſen darauf unten zurückkommen. Im Allgemeinen iſt indeß kein Zweifel, daß wir in dieſer Be- ziehung in einem Uebergangsſtadium uns befinden, und daß die Richtung der Entwicklung dahin geht, das Princip des engliſchen Rechts mit den durchſichtigen Formen des franzöſiſchen zu vereinigen. Dazu aber iſt allerdings nothwendig, daß man jede allgemeine Phraſe fallen läßt, und auf das Syſtem des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts im Ganzen wie im Einzelnen eingeht.
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[85/0109]
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angehörten. Nun aber enthielten jene Rechte auf ſelbſtändige Verwaltung eine,
wenn auch lehensrechtlich ausgebildete, ſo doch ihrem Weſen und oft auch ihrer frü-
hern Ordnung nach unzweifelhafte Geſtalt der Selbſtverwaltung, namentlich im
alten Gemeinderecht. Die neu entſtehende Staatsverwaltung ſtrebte nun, dieſe Selb-
ſtändigkeit ſich zu unterwerfen; die ſelbſtändigen Körper vertheidigten ſie, und um
ſie mit Nachdruck vertheidigen zu können, hielten ſie das Princip des bürger-
lichen Rechts und der gerichtlichen Klage gegen jene Beſtrebungen der centralen
Staatsgewalt aufrecht. So geſchah es, daß die Juſtizſachen weſentlich die recht-
liche Gränze der Selbſtverwaltung bezeichneten, während die Adminiſtrativſachen
die ſtaatliche Verwaltung bedeuteten. Dieſe Gränze aber konnte, da ſie nicht
im Begriff von Geſetz und Verordnung wurzelte, auch nicht im Weſen des
Rechts, ſondern mußte nunmehr in dem Gegenſtande geſucht werden; und
ſo entſtand jene wunderliche Richtung, welche in dem abſolut nutzloſen Verſuche
nicht müde wurde, das Recht von Geſetz und Verordnung und damit die Gränze
beider in den Sachen zu beſtimmen, für welche das erſte oder die zweite gelten
ſollten. Die Unmöglichkeit, hier zu einem Reſultat zu gelangen, war abſolut,
denn jeder Gegenſtand iſt ja ſeiner Natur nach Gegenſtand des Geſetzes
und der Vollziehung, und mithin der Juſtiz und der Adminiſtration
zugleich. Dennoch wäre man vielleicht weiter gekommen, wenn man in
Deutſchland nur eine klare Vorſtellung oder einen gültigen Begriff von Geſetz
und Verordnung gehabt hätte. Allein wir haben geſehen, daß dieſer fehlte
und noch fehlt. Unterdeſſen ward die Selbſtverwaltung für die Gemeinden
und Körperſchaften verfaſſungsmäßig feſtgeſtellt, und jetzt war jener Unterſchied
vollſtändig unentwirrbar, weil er jetzt den Unterſchied zwiſchen Gegenſtänden,
die nur Geſetzgebung, und ſolchen, die nur Vollziehung zulaſſen, bedeuten
müßte, was wahrlich keinen Sinn hat. Dazu kam ein faſt vollſtändiger Mangel
an einem klaren Begriff von Verwaltung und Verwaltungsrecht, der den letzten
Halt wegnahm, und ſo ſehen wir denn theoretiſch den Begriff des verfaſſungs-
mäßigen Verwaltungsrechts eigentlich gar nicht entſtehen, während er praktiſch,
namentlich in den einzelnen Momenten und Theilen deſſelben, ſich ſehr erkennbar
Bahn bricht. Und zwar iſt dieß, wie wir gleich hier bemerken wollen, in
durchgreifender Nachahmung des franzöſiſchen Begriffes des contentieux geſchehen,
indem die neue Organiſation auch in Deutſchland geſetzlich der Verwaltung
gewiſſe Funktionen der gerichtlichen Thätigkeit übertrug, und damit dem deutſchen
Unterſchied zwiſchen Juſtiz- und Adminiſtrativſachen einen franzöſiſchen Inhalt
gab, ohne ihm die franzöſiſche Klarheit zu geben. Wir müſſen darauf unten
zurückkommen. Im Allgemeinen iſt indeß kein Zweifel, daß wir in dieſer Be-
ziehung in einem Uebergangsſtadium uns befinden, und daß die Richtung der
Entwicklung dahin geht, das Princip des engliſchen Rechts mit den
durchſichtigen Formen des franzöſiſchen zu vereinigen. Dazu
aber iſt allerdings nothwendig, daß man jede allgemeine Phraſe fallen läßt,
und auf das Syſtem des verfaſſungsmäßigen Verwaltungsrechts im Ganzen
wie im Einzelnen eingeht.
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Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/109>, abgerufen am 26.11.2024.
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