Das Recht des Maßes für die Anwendung des Zwanges entsteht dadurch, daß an sich der Wille des Staates absolut ist, und daher keinem Einzelwillen das Recht zugestehen kann, sich ihm zu widersetzen. An sich hat daher die Zwangsgewalt gar kein Maß, und damit ist grundsätzlich der Satz festgestellt, daß das Organ, welches den Zwang ausübt, auch einseitig über sein Maß zu urtheilen berechtigt ist, sobald der Zwang als solcher einmal als begründet erscheint.
Es ist klar, daß dieser Grundsatz wieder die höchste Gefährdung des Einzelrechts enthält, die man sich denken kann. Sobald daher die individuelle Rechtssphäre des Einzelnen einmal anerkannt ist, so tritt eine Bewegung ein, welche jenem absoluten Zwangsrecht der vollziehen- den Organe eine gesetzliche Gränze zu setzen bestrebt ist. Da nun aber der Zwang selbst doch nur ein Mittel für den Verwaltungszweck ist, so ändert sich das Maß des Zwanges je nach der Natur und der Wichtigkeit jenes Zweckes; und so entstehen eine Reihe von Gesetzgebungen oder Ver- ordnungen, welche zum Inhalte haben, neben der Form des Zwanges namentlich das Maß desselben für die einzelnen Verwaltungsgebiete zu bestimmen. Diese nun gruppiren sich selbstverständlich nach den drei großen Verwaltungsgebieten: den Finanzen, dem Gericht, und der innern Verwaltung.
Die Lehre von der Vollziehung würde daher hier, um vollständig zu sein, in diese Gebiete speziell eingehen müssen. Unsere Aufgabe kann es nur sein, dieselben ihrem Charakter nach zu bestimmen.
Das Maß des Zwanges in der Finanzverwaltung ist in den Ver- ordnungen über die Steuerexekution, in den Regulativen für die Zoll- und Finanzwache, und zum Theil in den Monopolsordnungen gegeben, und gehört in die Finanzwissenschaft.
Das Maß des Zwanges beim bürgerlichen Verfahren ist die Exe- kutionsordnung und was dahin gehört; beim strafrechtlichen Verfahren im Criminalproceß; die Lehre vom Verfahren enthält bekanntlich das Genauere.
In der innern Verwaltung dagegen nimmt das Maß einen andern Charakter an. Hier erscheint die Verpflichtung des Einzelnen durch die Verordnung der zuständigen Behörde bestimmt, und das Recht auf den Erlaß dieser Verordnung ist eben das Regierungsrecht, das man Polizei- recht nennt. Der Gehorsam des Einzelnen gegen diese Verordnungen wird nun dadurch erzwungen, daß die Nichtbefolgung derselben als Ueber- tretung betrachtet und mit einer Strafe bedroht ist. Das ist die so- genannte Polizeistrafe. Die Polizeistrafe ist daher nichts anderes als
Stein, die Verwaltungslehre. I. 14
IV. Das Maß des Zwanges. Polizeiſtrafen.
Das Recht des Maßes für die Anwendung des Zwanges entſteht dadurch, daß an ſich der Wille des Staates abſolut iſt, und daher keinem Einzelwillen das Recht zugeſtehen kann, ſich ihm zu widerſetzen. An ſich hat daher die Zwangsgewalt gar kein Maß, und damit iſt grundſätzlich der Satz feſtgeſtellt, daß das Organ, welches den Zwang ausübt, auch einſeitig über ſein Maß zu urtheilen berechtigt iſt, ſobald der Zwang als ſolcher einmal als begründet erſcheint.
Es iſt klar, daß dieſer Grundſatz wieder die höchſte Gefährdung des Einzelrechts enthält, die man ſich denken kann. Sobald daher die individuelle Rechtsſphäre des Einzelnen einmal anerkannt iſt, ſo tritt eine Bewegung ein, welche jenem abſoluten Zwangsrecht der vollziehen- den Organe eine geſetzliche Gränze zu ſetzen beſtrebt iſt. Da nun aber der Zwang ſelbſt doch nur ein Mittel für den Verwaltungszweck iſt, ſo ändert ſich das Maß des Zwanges je nach der Natur und der Wichtigkeit jenes Zweckes; und ſo entſtehen eine Reihe von Geſetzgebungen oder Ver- ordnungen, welche zum Inhalte haben, neben der Form des Zwanges namentlich das Maß deſſelben für die einzelnen Verwaltungsgebiete zu beſtimmen. Dieſe nun gruppiren ſich ſelbſtverſtändlich nach den drei großen Verwaltungsgebieten: den Finanzen, dem Gericht, und der innern Verwaltung.
Die Lehre von der Vollziehung würde daher hier, um vollſtändig zu ſein, in dieſe Gebiete ſpeziell eingehen müſſen. Unſere Aufgabe kann es nur ſein, dieſelben ihrem Charakter nach zu beſtimmen.
Das Maß des Zwanges in der Finanzverwaltung iſt in den Ver- ordnungen über die Steuerexekution, in den Regulativen für die Zoll- und Finanzwache, und zum Theil in den Monopolsordnungen gegeben, und gehört in die Finanzwiſſenſchaft.
Das Maß des Zwanges beim bürgerlichen Verfahren iſt die Exe- kutionsordnung und was dahin gehört; beim ſtrafrechtlichen Verfahren im Criminalproceß; die Lehre vom Verfahren enthält bekanntlich das Genauere.
In der innern Verwaltung dagegen nimmt das Maß einen andern Charakter an. Hier erſcheint die Verpflichtung des Einzelnen durch die Verordnung der zuſtändigen Behörde beſtimmt, und das Recht auf den Erlaß dieſer Verordnung iſt eben das Regierungsrecht, das man Polizei- recht nennt. Der Gehorſam des Einzelnen gegen dieſe Verordnungen wird nun dadurch erzwungen, daß die Nichtbefolgung derſelben als Ueber- tretung betrachtet und mit einer Strafe bedroht iſt. Das iſt die ſo- genannte Polizeiſtrafe. Die Polizeiſtrafe iſt daher nichts anderes als
Stein, die Verwaltungslehre. I. 14
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><pbfacs="#f0233"n="209"/><divn="5"><head><hirendition="#b"><hirendition="#aq">IV.</hi> Das Maß des Zwanges. Polizeiſtrafen.</hi></head><lb/><p>Das Recht des Maßes für die Anwendung des Zwanges entſteht<lb/>
dadurch, daß an ſich der Wille des Staates abſolut iſt, und daher<lb/>
keinem Einzelwillen das Recht zugeſtehen kann, ſich ihm zu widerſetzen.<lb/>
An ſich hat daher die Zwangsgewalt gar kein Maß, und damit iſt<lb/>
grundſätzlich der Satz feſtgeſtellt, daß das Organ, welches den Zwang<lb/>
ausübt, auch einſeitig über ſein Maß zu urtheilen berechtigt iſt, ſobald<lb/>
der Zwang als ſolcher einmal als begründet erſcheint.</p><lb/><p>Es iſt klar, daß dieſer Grundſatz wieder die höchſte Gefährdung<lb/>
des Einzelrechts enthält, die man ſich denken kann. Sobald daher die<lb/>
individuelle Rechtsſphäre des Einzelnen einmal anerkannt iſt, ſo tritt<lb/>
eine Bewegung ein, welche jenem abſoluten Zwangsrecht der vollziehen-<lb/>
den Organe eine geſetzliche Gränze zu ſetzen beſtrebt iſt. Da nun aber<lb/>
der Zwang ſelbſt doch nur ein Mittel für den Verwaltungszweck iſt, ſo<lb/>
ändert ſich das Maß des Zwanges je nach der Natur und der Wichtigkeit<lb/>
jenes Zweckes; und ſo entſtehen eine Reihe von Geſetzgebungen oder Ver-<lb/>
ordnungen, welche zum Inhalte haben, neben der Form des Zwanges<lb/>
namentlich das <hirendition="#g">Maß</hi> deſſelben für die einzelnen Verwaltungsgebiete zu<lb/>
beſtimmen. Dieſe nun gruppiren ſich ſelbſtverſtändlich nach den drei<lb/>
großen Verwaltungsgebieten: den Finanzen, dem Gericht, und der innern<lb/>
Verwaltung.</p><lb/><p>Die Lehre von der Vollziehung würde daher hier, um vollſtändig<lb/>
zu ſein, in dieſe Gebiete ſpeziell eingehen müſſen. Unſere Aufgabe kann<lb/>
es nur ſein, dieſelben ihrem Charakter nach zu beſtimmen.</p><lb/><p>Das Maß des Zwanges in der Finanzverwaltung iſt in den Ver-<lb/>
ordnungen über die Steuerexekution, in den Regulativen für die Zoll-<lb/>
und Finanzwache, und zum Theil in den Monopolsordnungen gegeben,<lb/>
und gehört in die Finanzwiſſenſchaft.</p><lb/><p>Das Maß des Zwanges beim bürgerlichen Verfahren iſt die Exe-<lb/>
kutionsordnung und was dahin gehört; beim ſtrafrechtlichen Verfahren<lb/>
im Criminalproceß; die Lehre vom Verfahren enthält bekanntlich das<lb/>
Genauere.</p><lb/><p>In der innern Verwaltung dagegen nimmt das Maß einen andern<lb/>
Charakter an. Hier erſcheint die Verpflichtung des Einzelnen durch die<lb/>
Verordnung der zuſtändigen Behörde beſtimmt, und das Recht auf den<lb/>
Erlaß dieſer Verordnung iſt eben das Regierungsrecht, das man Polizei-<lb/>
recht nennt. Der Gehorſam des Einzelnen gegen dieſe Verordnungen<lb/>
wird nun dadurch erzwungen, daß die Nichtbefolgung derſelben als Ueber-<lb/>
tretung betrachtet und mit einer Strafe bedroht iſt. Das iſt die ſo-<lb/>
genannte Polizeiſtrafe. Die Polizeiſtrafe iſt daher nichts anderes als<lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#g">Stein</hi>, die Verwaltungslehre. <hirendition="#aq">I.</hi> 14</fw><lb/></p></div></div></div></div></div></body></text></TEI>
[209/0233]
IV. Das Maß des Zwanges. Polizeiſtrafen.
Das Recht des Maßes für die Anwendung des Zwanges entſteht
dadurch, daß an ſich der Wille des Staates abſolut iſt, und daher
keinem Einzelwillen das Recht zugeſtehen kann, ſich ihm zu widerſetzen.
An ſich hat daher die Zwangsgewalt gar kein Maß, und damit iſt
grundſätzlich der Satz feſtgeſtellt, daß das Organ, welches den Zwang
ausübt, auch einſeitig über ſein Maß zu urtheilen berechtigt iſt, ſobald
der Zwang als ſolcher einmal als begründet erſcheint.
Es iſt klar, daß dieſer Grundſatz wieder die höchſte Gefährdung
des Einzelrechts enthält, die man ſich denken kann. Sobald daher die
individuelle Rechtsſphäre des Einzelnen einmal anerkannt iſt, ſo tritt
eine Bewegung ein, welche jenem abſoluten Zwangsrecht der vollziehen-
den Organe eine geſetzliche Gränze zu ſetzen beſtrebt iſt. Da nun aber
der Zwang ſelbſt doch nur ein Mittel für den Verwaltungszweck iſt, ſo
ändert ſich das Maß des Zwanges je nach der Natur und der Wichtigkeit
jenes Zweckes; und ſo entſtehen eine Reihe von Geſetzgebungen oder Ver-
ordnungen, welche zum Inhalte haben, neben der Form des Zwanges
namentlich das Maß deſſelben für die einzelnen Verwaltungsgebiete zu
beſtimmen. Dieſe nun gruppiren ſich ſelbſtverſtändlich nach den drei
großen Verwaltungsgebieten: den Finanzen, dem Gericht, und der innern
Verwaltung.
Die Lehre von der Vollziehung würde daher hier, um vollſtändig
zu ſein, in dieſe Gebiete ſpeziell eingehen müſſen. Unſere Aufgabe kann
es nur ſein, dieſelben ihrem Charakter nach zu beſtimmen.
Das Maß des Zwanges in der Finanzverwaltung iſt in den Ver-
ordnungen über die Steuerexekution, in den Regulativen für die Zoll-
und Finanzwache, und zum Theil in den Monopolsordnungen gegeben,
und gehört in die Finanzwiſſenſchaft.
Das Maß des Zwanges beim bürgerlichen Verfahren iſt die Exe-
kutionsordnung und was dahin gehört; beim ſtrafrechtlichen Verfahren
im Criminalproceß; die Lehre vom Verfahren enthält bekanntlich das
Genauere.
In der innern Verwaltung dagegen nimmt das Maß einen andern
Charakter an. Hier erſcheint die Verpflichtung des Einzelnen durch die
Verordnung der zuſtändigen Behörde beſtimmt, und das Recht auf den
Erlaß dieſer Verordnung iſt eben das Regierungsrecht, das man Polizei-
recht nennt. Der Gehorſam des Einzelnen gegen dieſe Verordnungen
wird nun dadurch erzwungen, daß die Nichtbefolgung derſelben als Ueber-
tretung betrachtet und mit einer Strafe bedroht iſt. Das iſt die ſo-
genannte Polizeiſtrafe. Die Polizeiſtrafe iſt daher nichts anderes als
Stein, die Verwaltungslehre. I. 14
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Stein, Lorenz von: Die Verwaltungslehre. Bd. 1. Stuttgart, 1865, S. 209. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stein_verwaltungslehre01_1865/233>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.